Seit einigen Jahren setze ich für Fernreisen nur noch die Bahn ein – privat und geschäftlich. Für mich ein Grundsatz, den ich möglichst auch in Zukunft weiterverfolgen möchte. Im letzten Monat verbrachte ich darum unzählige Stunden in Fernverkehrszügen: Ob nach Antwerpen, Bologna, Berlin oder Hamburg – ich schätze die Zeit in der Bahn. Die Reisen lassen sich zum Arbeiten nutzen oder zum Ausruhen. Dinge, die im Auto oder im Flugzeug nicht in gleichem Maße möglich wären.

Doch im muss zugeben: Angesichts von Verspätungen, schlechten Anschlüssen und zugigen Bahnhöfen gibt es immer wieder Momente, an denen ich geneigt bin, der Bahn den Rücken zu kehren und mich wieder ins Flugzeug zu setzen. Klar, widerstehen ist Pflicht, ich will ja das Klima schonen. Doch wo könnte die Bahn von den Airlines lernen?

1. Überwinde das Denken in Landesgrenzen

Erreicht ein Zug die Grenze, ändert sich das Zugsicherungssystem, manchmal auch die Sprache. Das Lokführungspersonal muss ausgewechselt werden. Man stelle sich vor, die Airlines müssten bei jeder Grenzüberquerung ihr Personal wechseln! 

Bereits in den 1990er-Jahren hatte man in der Luftfahrt die Vorteile einer grenzüberschreitenden Flugsicherung erkannt. Der zuvor zersplitterte europäische Luftraum wurde zu sogenannten funktionalen Luftraumblöcken zusammengefasst. Das Programm „Single European Sky“ zeigt aber auch, wie langwierig solche Vereinheitlichungen sind. Und dass die Politik hier zunächst den Rahmen abstecken muss. 

„Kürzlich hatte ich im Nachtzug das Kaffeeerlebnis des Grauens“

Thomas Hug

Doch auch die Bahnen selbst könnten mehr tun. Zum Beispiel, indem sie sich das auf Kooperation ausgerichtete Mindset der Luftfahrt zueigen machen: Airlines stimmen in internationalen Verbünden ihre Flugpläne aufeinander ab, gleichen ihre Qualitätsstandards einander an, vereinheitlichen ihre Tickets oder beschaffen gemeinsam Flugzeuge – so entstand überhaupt erst das weltumspannende Netz an Flugverbindungen, die optimal aufeinander passen.

2. Sei für deine Kund*innen da, nicht für die Politik

Die Bahn ist in der Vergangenheit zum Spielball der Politik geworden. In Debatten um die Zukunft der Schiene geht es in der Regel vor allem um die Versäumnisse der Vergangenheit und den massiven Investitionsstau – weniger um die große, positive Vision. Dabei ist das Ziel etwas aus den Augen verloren gegangen, das mit Blick auf die Fernverkehrswende zentral sein muss: das Kundenerlebnis.

Airlines sind da konsequenter unterwegs. Sie stellen die Kund*innen ins Zentrum und richten sich bestmöglich nach deren Bedürfnissen aus. Das beginnt beim Innendesign der Flugzeuge, wo oft aufwändige Mockups zuerst getestet werden, oder beim einfachen Buchungssystem – und endet bei der Schokolade, die man am Ende des Flugs erhält (zumindest bei den Schweizer Airlines ein Klassiker). Vielleicht symptomatisch: Während der Kaffee im Flugzeug schon seit Jahren absolut trinkbar ist, hatte ich kürzlich im Nachtzug das Kaffeeerlebnis des Grauens. Das sind kleine Dinge, aber Dinge, die aber in Erinnerung bleiben.

Das gleiche gilt für die Bahnhöfe. Der Abstand zu Flughäfen in Sachen Service, Sauberkeit und Komfort – kurz: Aufenthaltsqualität – ist gewaltig. Doch deren Niveau setzt den Standard, den die Bahn nicht nur matchen, sondern besser noch übertreffen muss. Vor allem, wenn sie Geschäftsreisende gewinnen will. 

3. Biete den attraktivsten Preis

Während die Flugpreise kaufkraftbereinigt seit Jahren eher sinken, ist bei der Bahn das Gegenteil der Fall. Im Fernverkehr sind die Flugzeuge tendenziell schon heute günstiger als die Bahn und diese Unterschiede verstärken sich aktuell noch. Sicher, die Steuerfreiheit von Kerosin ist ein unfairer Vorteil gegenüber der Bahn und mit Blick auf den Klimaschutz äußerst fragwürdig. Doch zugleich hat die brutale Konkurrenz der Airlines ein extrem effizientes System geschaffen. Der Wettbewerb im Fernverkehr auf der Schiene ist dagegen nach wie vor überschaubar.

Dabei hängt der Erfolg der Bahn am Ende vor allem vom Preis ab. Wenn ich mit der ganzen Familie im Nachtzug verreisen möchte, ist das heute ein Privileg, das man sich leisten können muss. Dementsprechend ist es auch nicht erstaunlich, dass der Flugverkehr nicht merklich abnimmt, denn rund zwei Drittel des Luftverkehrs sind Privatreisen. Und dabei handelt es sich nicht um Fernreisen. Ab dem Flughafen Zürich liegen 77 Prozent der Reiseziele in Europa und somit – abgesehen von Ferienzielen auf Inseln – in Reichweite des Zuges.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Luftfahrt erst richtig zum Durchbruch gekommen ist, als die Flugpreise deutlich zu sinken begannen und für breite Bevölkerungsschichten bezahlbar wurden. Die Fernverkehrswende kann nur gelingen, wenn die Bahn für Strecken bis acht Stunden die Luftfahrt preislich unterbieten kann. Besonders im Privatverkehr ist – im Gegensatz zum Geschäftsverkehr – die Preissensibliität groß. Da das System Bahn selbst aber nur sehr langsam effizienter wird, muss hier kurzfristig die Politik nachhelfen: mit Abgaben auf Kurzstreckenflüge oder gar Verboten wie jüngst in Frankreich.

4. Besinne dich auf deine Stärken 

Nicht immer ist die Luftfahrt ein Vorbild. Zwar bieten Fluggesellschaften einige Annehmlichkeiten, die man im Zug nicht findet, aber der Komfort in einem Zug ist oft höher. So genießen Passagiere hier mehr Platz und Bewegungsfreiheit, man kann aufstehen und herumlaufen.

Die Sitzplätze sind meist bequemer und bieten mehr Beinfreiheit, dank WLAN und großzügigen Tischen lässt es sich gut arbeiten, lesen oder einmal eine Serie streamen – wie es gerade beliebt. Mit den großen Fenstern kann ich auch einfach mal die Gedanken schweifen lassen und die vorbeiziehende Landschaft geniessen. Dank „Last Minute Check-in“ und der Freiheit, beliebige Flüssigkeiten an Bord zu sich nehmen zu können, brauche ich auch nicht schon Stunden vor der Abfahrt am Bahnhof eintreffen.

„Keine Airline hält mit dem Komfort der Bahn mit“

Anders gesagt: Keine Airline hält mit dem Komfort der Bahn mit – und das ist gut so. Denn dieser Komfort ist mit ein Grund, weshalb ich es schätze, mit der Bahn zu reisen. Die große Herausforderung für die Bahn besteht deshalb darin, mehr Menschen überhaupt einmal in den Zug zu holen. Und nicht nur um die Feiertage herum, wenn Reisen in überfüllten Zügen alles andere als angenehm ist.    

Einiges ginge noch besser beim Zugfahren, wenn die Bahn sich an den Standards der Airlines messen würde. Aber wie an den Schwächen gearbeitet werden muss, sollte die Bahn genauso darauf achten, ihre vorhandenen Stärken beizubehalten oder besser noch auszubauen.

Thomas Hug

Der Experte für Raumentwicklung und Infrastruktursysteme aus Zürich ist Mitgründer und Co-Geschäftsführer von urbanista.ch. Die Agentur entwirft Konzepte für die Transformation von städtischen Räumen und begleitet deren Umsetzung. Dies geschieht in Form integrierter Strategien der Raum- und Mobilitätsentwicklung. Dabei unterstützen Hug und seine Kolleg*innen ihre Auftraggeber bei komplexen Planungsprozessen sowie der Entwicklung innovativer Ansätze der Nutzungsplanung. Thomas Hugs Schwerpunkte in diesem Kontexts sind Mobilitätskonzepte, Datenanalyse, Moderation und die Kommunikation mit der Politik.