Wie definierst du für dich die Verkehrswende?

Verkehrswende heißt für mich konsequent ressourcenoptimierte Mobilität – also weniger CO2, Schadstoffemissionen und Lärm, weniger Energieverbrauch, weniger Flächenverbrauch, besser für die Gesundheit – und dabei konsequent vom Menschen aus gedacht. Ich habe auch noch eine systematischere Antwort: Mobilität muss aus einer Perspektive der nachhaltigen Ressourcenregulation gedacht werden. Also ein Generationenvertrag im Sinne: unsere Ressourcennutzung heute darf nicht die Möglichkeiten zukünftiger Generationen einschränken. Also endliche Ressourcen nur nutzen, wenn wir sie nach Nutzung rückgewinnen können – zum Beispiel durch Recycling – und regenerative Ressourcen nur in einem Ausmaß nutzen, in dem sie sich erneuern können. Solange ich also nur die Kraft der Sonne beziehungsweise nachwachsende Rohstoffe wie Holz sparsam nutze, ist somit alles fein. Leider nicht so einfach.

Wie sieht dein persönlicher Mobilitätsmix aus?

Ja, da hat man oft so ein bisschen eine kognitive Verzerrung. Ich würde sagen 85% Fahrrad, 10% E-Auto und 5% ÖV. Also da zähle ich jetzt mal nicht Laufstrecken und Spaziergänge dazu. Aber die Radstrecken sind natürlich meist viel kürzer als Auto und ÖPNV. Und am Ende zählt natürlich nicht der Anteil der Wege mit dem Auto, sondern die Gesamtstrecke pro Jahr. Wir waren zum Beispiel letzten Herbst als Familie mit dem Elektroauto in Italien. 1.500 Kilometer Hin- und Rückweg, jeweils an einem Tag. Schön, dass das inzwischen problemlos möglich ist. Aber bei meinem Jahresenergieverbrauch schlägt das natürlich schon sehr zu Buche. Carsharing nutze ich bisher maximal dienstlich – wir haben bei uns ja das Reallabor nutzerzentriertes bidirektionales Laden, kurz ReNuBiL, aufgebaut. Da steht auch manchmal eine Testfahrt auf meiner To-Do-Liste. Aber meine Dienstreisen in 2021 kann ich an einer Hand abzählen.

Und wie sollte er aussehen, damit du glücklich bist?

Ich bin eigentlich nahezu 100% glücklich mit meinem Mobilitätsmix. Ich freue mich, dass ich seit 2019 nicht mehr geflogen bin – auch wenn es mich schon sehr in die Ferne zieht – und die 10% E-Auto, oder was es auch immer in Wirklichkeit ist, die finde ich okay. Bei drei Kindern und großem Haushalt sind es viele Hol- und Bringfahrten, Wocheneinkäufe, oder Wochenendausflüge an die nahe Ostsee bei Lübeck. Für meine Kinder würde ich mir manchmal noch eine deutlich bessere Bus-Anbindung hier auf dem Dorf wünschen. Ansonsten finde ich meinen Mobilitätsmix eigentlich schon wirklich okay. Ach ja, und unser Tesla Model 3 SR+, also Basisausstattung mit kobaltfreier LFP-Batterie, ist eigentlich schon ziemlich gut ausgelastet, weil meine Frau es auch beruflich für ihre Holz-Projekte in Schulen, Kitas, Museen und so weiter nutzt. Aber in der besten aller möglichen Welten gäbe es eine günstige Versicherung und eine App, mit der ich mein E-Auto problemlos anderen Menschen bei uns im Dorf als Carsharing-Auto zur Verfügung stellen könnte. Ah – und mit dem unintelligenten Laden bin ich auch noch unglücklich und würde lieber so laden, dass mein E-Auto die effiziente Einspeisung von Windstrom ins Stromnetz beziehungsweise die effiziente Nutzung von Überschuss-Windstrom unterstützen würde oder alternativ 100 Prozent aus meiner Solaranlage geladen wird. Aber leider ist die Solaranlage bei uns mit Miethaus trotz super Süd-Dach noch ein Wunschtraum. Zum Mobilitätsmix gehört ja eigentlich nicht nur, welche Räder sich unter mir drehen, sondern auch woher die Energie dafür kommt.

Hast du eine Agenda, die du mit deinem Profil verfolgst?

Ich versuche auf Twitter einen möglichst authentischen Einblick in das Leben als Wissenschaftler zu geben, ganz besonders in die vielen Projekte im Kontext Ingenieurpsychologie und Ressourcenregulation an meiner Professur. Die reichen von EcoDriving, intelligentem Laden und Shared Mobility, über Energieeffizienz in der Schifffahrt, bis zum Thema KI für die Behandlung von Diabetes oder die Erkennung von Tiefvenenthrombosen. Also eine ziemlich bunte Mischung. Ab und zu teile ich auch ein Video von unserem Youtube-Kanal. Aber das mache ich eigentlich viel zu selten. Und als Sprecher der Fachgruppe Ingenieurpsychologie in der deutschen Gesellschaft für Psychologie möchte ich natürlich für dieses Fach begeistern und zeigen, in wie vielen Alltagssituationen wir von dieser Forschung profitieren – meist ohne es zu wissen. Ach ja, und als stellvertretender Studiengangsleiter des Studiengangs Medieninformatik an der Uni Lübeck, versuche ich auch Lust zu machen – auf den besten Studiengang der Welt. Uns werden die Studierenden schon vor dem Abschluss mit Top-Stellen abgeworben – der Jobmarkt braucht so dringend mehr Gestalter:innen unserer digitalen Zukunft. Also ist meine Aufgabe als Prof mehr Abiturientinnen für dieses Fach zu begeistern. Ich möchte auch generell für wissenschaftsbasiertes nachhaltiges Handeln werben und schließlich bin ich auch einfach Mensch und teile viele Dinge, die mich irgendwie inspirieren oder die ich für wissenswert erachte. Also nein, die eine Agenda habe ich nicht.

Wie gehst du mit Hatern um?

Bisher habe ich damit überhaupt keine Probleme. Ich glaube, ich habe ein einziges Mal in meinem Twitter-Leben einen Account blockiert, der mich wie ein Bot zugespammt hat. Ansonsten habe ich fast nur mit netten Menschen zu tun. Außer wenn ich mich vielleicht mal wieder dazu hinreißen lasse, etwas über den Ressourcenhunger von Bitcoin zu posten. Ich versuche grundlegend alle Kommentare zu beantworten und mag den empathischen Dialog auf Augenhöhe. Nebenbei: Man erreicht mich auf Twitter oft sogar besser als per Mail. Man nennt das glaube ich Prokrastination.

Die aktuell größte Herausforderung in der Mobilitätswende ist …? 

Bildung. Ganz klar die Bildung. Wir sind alle Klima-Analphabeten. Dazu gibt es übrigens auch ein kurzes Drei-Minuten-Pitch-Video auf unserem YouTube-Kanal von der FutureEnergies 2019. Die allermeisten Menschen haben noch sehr wenig Wissen, wenn es um den Ressourcenverbrauch ihrer Mobilität geht und es kursieren so viele wissenschaftlich nicht haltbare Thesen. Das fängt schon beim Autokauf an. Viele warten immer noch auf den Wasserstoff-Pkw oder träumen von E-Fuels. In der Mobilität brauchen wir grünen Wasserstoff aber zunächst für Schiffe und Flugzeuge – und erst wenn die weitgehend dekarbonisiert sind, haben wir was übrig für den Straßenverkehr. Also wenn wir die extrem knappe Ressource grünen Wasserstoff nach rationalen Prinzipien verteilen. Und Solarzellen auf dem Autodach reichen auch nicht, um einen Pkw anzutreiben. Und es macht überhaupt keinen Sinn, das Licht auszuschalten, um die Reichweite beim Elektroauto zu erhöhen. Und anstatt nur sparsamer zu fahren, kann ich auch erstmal schauen, ob es nicht einfach auch eine kürzere Route von A nach B gibt. Und ich könnte hier ewig weitermachen. Deshalb forschen wir auch genau an diesen Themen. Wir entwickeln und untersuchen zum Beispiel nutzerzentrierte Entscheidungsunterstützungssysteme für Energieeffizienz auf Schiffen, EcoDriving-Assistenzsysteme für Elektrofahrzeuge und intelligente Agenten für die Ladeoptimierung. Technik, die unsere begrenzte Rationalität augmentiert und uns dabei unterstützt, unsere Ziele zu erreichen – für mehr Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in der Mobilität.

„Mich macht es verrückt, wenn ich sehe, wie technikzentriert wir in Deutschland denken“

Thomas Franke

Deine Forderungen an Politik, Wirtschaft und Mobilitätsnutzer:innen?

Ich greife mal nur die Politik raus, aber vielleicht auch etwas die Wirtschaft. Mein Credo ist: Nachhaltigkeit = technisches Potenzial x Nutzerverhalten. Also: Wir können noch so tolle Energietechnik und Mobilitätskonzepte entwickeln – wenn wir nicht von Sekunde eins an den Menschen mitdenken, werden wir einen großen Teil des Nachhaltigkeitspotenzials nie ausschöpfen. Mich macht es regelmäßig verrückt, wenn ich sehe, wie technikzentriert wir in Deutschland oft in der Innovationspolitik oder überhaupt bei Innovationen für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Energieeffizienz denken und handeln. Ich habe Psychologie wegen einem Zitat von Ludwig Erhardt studiert – das ich in der elften Klasse aufgeschnappt hatte: „50% der Wirtschaft sind Psychologie“. Und ich wünsche mir sehr, dass wir dieses Mantra endlich zum Leitsatz machen und Ingenieurpsychologie nicht mehr als „Begleitfoschung“ zu Technikprojekten einsortieren, sondern konsequent die Potenziale heben, die durch eine wirklich menschzentrierte Technikentwicklung realisiert werden können. Und: Wollen wir uns nicht alle gern weniger über Technik ärgern, die nicht das macht, was wir uns wünschen? Also es geht hier um mehr als Akzeptanz – also dieser passive Ansatz – „wir bauen eine tolle Energietechnik und dann kümmern sich die Psychologen darum, dass sie akzeptiert wird“ – nein, wir brauchen einen genauen Blick auf die Mensch-Technik-Interaktion; eine Partnerschaft von Mensch und Technik in der nachhaltigkeitsorientierten Ressourcenregulation.

Welche Personen und Firmen sind in Sachen Verkehrswende gerade richtig gut unterwegs? 

Ich gehe mal auf die Firmen – bei den Personen würden mir einfach zu viele extrem inspirierende Menschen einfallen. Und eigentlich möchte ich jetzt nicht unbedingt die Automobilkonzerne über den grünen Klee loben, aber bei den deutschen OEMs macht Volkswagen inzwischen schon einen ganz guten Job aus meiner Sicht. Zumindest bringen sie das Thema gesteuertes und bidirektionales Laden endlich groß in den Markt, was bisher nur Honda wirklich für Normalnutzer bei BEV angeboten hatte, und was es bei Nissan nur für absolute Insider gab. Ganz klar sind aber die allermeisten Elektroautos einfach immer noch massiv überdimensioniert und gerade in der aktuellen Chip-Krise drängt sich ja manchmal der Eindruck auf, dass eher die margenstarken Modelle ausgeliefert werden. Zum Glück gibt es jetzt wieder den VW e-Up – das optimale Fahrzeug für die allermeisten Pendler. Man sieht, ich laufe forschungsbedingt etwas mit der Auto-Brille durch die Welt. Die wirklichen Helden der Verkehrswende sind natürlich ganz klar im Bereich der innovativen Fahrradbranche und da ganz besonders im Bereich der Cargobikes zu finden. In meinen kühnsten Träumen möchte ich da auch noch hin. Zumindest steht bei mir im Carport eine halbfertige Fahrradsauna. Im Sommer 2022 möchte ich die endlich mit meinem Sohn fertigbauen – er ist bei uns in der Familie der Experte für Schweißen und Fahrradbau.

Welchen Menschen in der Mobilitätsbranche sollte man – neben dir – folgen?

Ich denke tatsächlich immer wieder darüber nach, wen ich denn vielleicht mal an einem #FollowFriday empfehlen könnte. Aber neben quasi ‚Standard-Accounts‘ wie @kkklawitter, @Elektro_Robin, @nextmove_de, @Stefan_Hajek, @Herbert_Diess und @stang2k besteht mein Twitter-Feed eigentlich aus gar nicht so wahnsinnig viel Mobilitäts-Content. Ach, eine schöne Abwechslung ist vielleicht mal @beamng. Das ist die Software auf der wir unseren Elektroauto-Fahrsimulator bei uns an der Uni Lübeck aufbauen und ich sehe es als das beste Spiel, in dem wir unseren Enkeln einst zeigen können, wie das mit diesen Verbrennerautos war. Ich fahre dort aber nur Elektroauto. Ah – und unbedingt noch @dorfman_baruch. Seinen Account finde ich extrem inspirierend, weil er zeigt, was Fahrrad alles sein kann beziehungsweise könnte.

Gibt es einen Ort, der für dich die Zukunft der Mobilität erlebbar macht? 

Klar – Lübeck. Im Ernst: Wir hatten in Lübeck schon 2017 E-Busse im ÖPNV und haben uns ab 2018 mit Reichweitenmanagement beschäftigt. Wir haben in Lübeck eines der ältesten Carsharing-Unternehmen in Deutschland, das seit fast 30 Jahren im Markt ist und auch extrem früh das Thema E-Carsharing aufgebaut hat. Wir haben bei uns in Lübeck den ersten kommunalen ÖPNV-Betreiber in Deutschland, der schon seit 2018 einen Ride-Pooling-Dienst mit Elektrofahrzeugen betreibt. Und wir haben das erste Reallabor in Deutschland, wo seit 2021 bidirektionales Laden mit E-Carsharing im Kundenbetrieb läuft. Wir sind mit dem Energiecluster Digitales Lübeck deutschlandweit ausgezeichnet und auch die Klimaleitstelle der Hansestadt Lübeck hat die Mobilität im Blick. Also nicht nur Marzipan, Weltkulturerbe und Ostsee – sondern auch innovative Mobilität in der südlichsten Großstadt im Land der Energiewende.

Dein bislang schönster Mobilitätswende-Moment?

Puh – das ist wirklich schwierig. Ich werfe vielleicht ein paar schöne Momente aus den letzten zwei Jahren rein. Erstmal die Erkenntnis – Mensch, investiere in gute Fahrräder und fahre Riemen. Ich war lange knausrig bei meinen Fahrrädern und habe sie mir immer von einem früheren Mechaniker eines Rennradteams im Erzgebirge zusammenbauen lassen mit Preisgrenze 500 Euro. Da habe ich zwar auch mal ein Kardanwellen-Fahrrad bekommen, aus einem alten Prototypen-Rahmen, aber so richtig glücklich war ich am Ende doch nicht. Ende 2020 bin ich endlich über meinen Schatten gesprungen und habe 1.400 Euro für ein wartungsarmes Square Urban X10 von Ghost ausgeben – und dieses Rad hat meine Blick auf die Effekte von Qualität vollkommen verändert. Und als wir letzten September unser Tesla Model 3 vom Händler in Hamburg abgeholt haben und er entgeistert meinte: „Also Sie haben wirklich noch nichts zum Auto gelesen, keine Videos gesehen und sind nicht Probe gefahren?“ Dieser Blick war unbezahlbar. Die Antwort war einfach: Es war das einzige kompakte und windschnittige E-Auto-Modell mit 1.000 kg Anhängelast und Anhängerkupplung ab Werk, die meine Frau für ihre Transporte braucht. Und ich hatte vorher keine Zeit für Videos. Zwei Wochen später sind wir dann ohne Vorbereitungen von Lübeck in die Toskana gefahren. Ziel ins Navi und los. Das ist schon verrückt, dass das heute einfach so funktioniert und man nie auf freie Ladesäulen warten muss oder sich Gedanken um defekte Säulen machen muss.

THOMAS FRANKE

Der Inhaber der Professur für Ingenieurpsychologie an der Uni Lübeck versucht die Regulierung menschlicher Ressourcen zu verstehen, um „gute“ Technologie zu ermöglichen – so beschreibt Thomas Franke sein Ziel auf Twitter, wo er als @HiThomasFranke unterwegs ist. Der Lübecker Professor forscht zu Nachhaltigkeit und Energieeffizienz, Gesundheit, Mobilität und Automation. Sein erklärtes Ziel als Wissenschaftler: in einer zunehmend technisierten Umwelt zu einer optimalen Gestaltung der Mensch-Technik-Kooperation beizutragen und dabei Theorien und Methoden der Ingenieurpsychologie zu bereichern.