„Häufig wird gar nicht angezweifelt, wie gut die Daten sind“
FUTURE MOVES Podcast #34: Mobilitätsforscherin Ines Kawgan-Kagan über Produkte von Männern für Männer, falsche Fragen an die richtigen Leute und die Rolle des Faktors Gender für ein Gelingen der Mobilitätswende
Wer Frauen für Carsharing begeistern will, muss dafür sorgen, dass sie mehr Fahrrad fahren. Denn, dass Frauen Sharingautos seltener nutzen, liegt unter anderem daran, dass viele nur ungern in der Stadt mit dem Pkw unterwegs sind. Das wiederum hat damit zu tun, dass ihnen oftmals einfach die Praxis fehlt. „Traditionell bedingt ist es ja eher so, dass der Mann das Steuer in der Hand hat und fährt“, sagt Ines Kawgan-Kagan in der aktuellen Episode des FUTURE MOVES-Podcasts. Darum sei es zentral, Frauen ein Gefühl zu geben, sich im Verkehrschaos in den Städten zurechtfinden zu können.
„Wenn man es nicht gewohnt ist, kann das sehr anstrengend sein“, sagt die Mobilitätsforscherin Kawgan-Kagan. „Es gibt viele Frauen, die möchten das gar nicht mehr.“ Damit gehe eine große Gruppe potenzieller Carsharing-Nutzer:innen verloren. Die interessante Erkenntnis aus Kawgan-Kagans Forschung: Sobald Frauen jedoch häufiger das Rad nutzen, würde die Scheu vor der „aktiven Verkehrsteilnahme“ schwinden. Und letztlich steige dann auch die Attraktivität von Carsharing-Angeboten. Ein Zusammenhang, der sich nicht gerade aufdrängt – weshalb es umso wichtiger ist, ihn zu erkennen.
„Ach cool, Hauptsache Häkchen dran: Repräsentativität“
Ines Kawgan-Kagan
Ines Kawgan-Kagan befasst sich seit Jahren mit dem Thema „Gender und Mobilität“ und hat 2021 über „Geschlechterungleichheit bei innovativen und nachhaltigen Mobilitätslösungen“ promoviert. Mit ihrem AEM Institute berät sie Menschen aus Unternehmen und Kommunen, die auf den Feldern Mobilität und Verkehr aktiv sind: Wie lässt sich das Thema Gender und Diversität stärker in den Fokus rücken? Sie hat nicht nur erforscht, warum neue Mobilitätsangebote oft wirken wie „von Männern für Männer“ entwickelt (Spoiler: Weil sie es unbewusst meistens auch sind), sondern Kawgan-Kagan weiß auch, was man tun muss, um diesen Gender Bias zu überwinden, damit Produkte und Services entstehen können, die sich tatsächlich an alle richten.
Dass sich bei der Entwicklung neuer Mobilitätsangebote immer wieder ein Gender Bias einschlecht, hat viel mit falschen Gewissheiten ganz am Anfang des Prozesses zu tun. So würde zwar viel getan, Entscheidungen evidenzbasiert und auf Grundlage umfassender, repräsentativ erhobener Datensätze zu fällen, so Kawgan-Kagan. Doch dann werde „ganz häufig gar nicht angezweifelt, wie gut die Daten sind“, sagt die Expertin. Es herrsche eher die Einstellung: „Ach cool, Hauptsache Häkchen dran: Repräsentativität“.
Das sei jedoch problematisch, weil vorgeblich repräsentative Daten in Wahrheit oft eben doch nicht die gesamte Gesellschaft abbilden. Zum Beispiel in dem Fall, wenn „einzelne Fragen von ganz vielen Leuten aus einer bestimmten Gruppe nicht beantwortet werden, weil die mit der Frage nichts anfangen können“, sagt Kawgan-Kagan. Etwa, wenn Fragen auf Menschen abzielten, die in Vollzeit berufstätig seien – und damit aus einer anderen Perspektive gestellt würden als der von häufig in Teilzeit arbeitenden Frauen oder Rentner:innen.
Daneben gebe es eine Reihe weiterer Fehlerquellen, die Datensätze verzerren würden, so Kawgan-Kagan. Beispielsweise die klassische Frage nach dem „Wegezweck“. Wenn als Antworten „Arbeitsweg“, „Begleitfahrt von Kindern“, „Einkauf“ oder „Freizeitaktivität“ zur Wahl stünden, wie solle sich eine Person entscheiden, die auf dem Rückweg von der Arbeit das Kind in der Kita abhole, unterwegs einkaufe und sich anschließend mit anderen Eltern treffe, fragt die Mobilitätsexpertin.
Was zu tun ist, um von Vornherein zu vermeiden, bestimmte Gruppen „per Design“ von der Nutzung neuer Mobilitätsangebote auszuschließen, darum geht es in der aktuellen Episode des FUTURE MOVES-Podcasts mit Ines Kawgan-Kagan. Außerdem um das Phänomen, dass im Bereich Mobilität oft auf technische Lösungen gesetzt wird, um soziale Probleme beherrschbar zu machen. Und um die Frage, wie sich Verkehrspolitik verändern könnte, wenn sich mehr Frauen in Entscheider:innen-Positionen befinden würden.
Über diese Themen spricht Ines Kawgan-Kagan im FUTURE MOVES Podcast:
… Mobilität, Emanzipation und Zugang zu Innovationen für Frauen (2:39)
… Unterschiedliche beim Zugang zu Innovationen bei Männern und Frauen (3:40)
… woher der Bias kommt und wie Angebote inklusiver werden (5:12)
… fehlende Kindersitze in Carsharing-Autos (11:22)
… die Herausforderung, wirklich objektive Daten zu erheben (13:22)
… das 9-Euro-Ticket und wachsendes Bewusstsein für Inklusion (22:19)
… Projekte, die hinsichtlich Gender-Bewusstsein beispielhaft sind (25:46)
… warum von Veränderungen zugunsten Benachteiligter alle profitieren (28:44)
… Sicherheit und Free-Floating-Konzepte vs. Mobility Hubs (32:45)
… wie Fahrradfahren und Akzeptanz von Carsharing zusammenhängen (35:46)
… Vorgaben und Regeln, um Mobilitätsangebote inklusiver zu machen (40:16)
… Veränderungen durch das autonome Fahren (44:57)
… gut gemeinte, aber schlecht gemachte Maßnahmen für mehr Sicherheit (48:24)
… den Effekt von mehr Frauen in Entscheidungspositionen (51:43)
… ihren „Mix der Woche“ (54:19)