Die Bahn braucht ein Update, heißt es oft. Denn marode Strecken, veraltete Züge und analoge Prozesse sorgen dafür, dass die Schiene nicht das leisten kann, was für eine Verkehrswende unbedingt nötig wäre: mehr Menschen und Fracht von der Straße zu holen. Tatsächlich ist es mit einem Update jedoch nicht getan. Die Bahn braucht vielmehr ein komplett neues Betriebssystem. Erst nach einer weitgehenden Digitalisierung des Schienennetzes könnten 20 bis 25 Prozent mehr Züge über die vorhandenen Gleise rollen.

„Deutschland trägt leider in Europa die rote Laterne“

Maria Leenen, CEO von SCI Verkehr

Könnten. Denn beim Thema Digitalisierung der Infrastruktur steht die Bahn in Deutschland im europäischen Vergleich nicht gerade glänzend da. Die Schweiz, Dänemark und Belgien gehen bei der Einführung des European Train Control Systems (ETCS) voran. Die Technologie wird eine Automatisierung des Schienenverkehrs ermöglichen. Die Folge sind eine engere Zugtaktungen und dadurch eine erhebliche Steigerung der Kapazität. Aber: „Deutschland trägt leider in Europa die rote Laterne, was die Realisierung angeht“, sagt Maria Leenen, CEO der Bahn-Strategieberatungen SCI Verkehr in der aktuellen Episode des FUTURE MOVES-Podcasts.

„Alles dauert bei der Bahn lange – auch die Digitalisierung“, sagt Leenen. Doch gerade hier sei der zeitliche Verzug tragisch, weil die Digitalisierung des Netzes die Voraussetzung für weitere Innovationen schafft. Startups, deren Businessmodelle auf dem ETCS aufsetzen, hätten immenses Potenzial, so Leenen. „Wir müssen auch ein bisschen die alte Denke im Bahnsektor aufbrechen.“ An vielen Stelle werde noch mit Zettel und Stift gearbeitet oder – „wenn man modern ist“ – mit Excel-Tabellen.

Konkret berichtet sie von Ideen, die Prozesse verschlanken, automatisierte und dazu beitragen, die Infrastruktur besser zu nutzen. Beispielsweise durch eine Automatisierung der Trassenvergabe samt dynamischer Bepreisung. Oder die Nutzung von Fahrzeugdaten, um festen Intervallen zu einer Wartung nach Bedarf zu gelangen. Eine KI-gestützte Schichtplanung könnte helfen, den Beruf der Lockführer*in deutlich attraktiver zu machen, so Leenen.

Die aktuelle Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Passagierkapazität der Bahn bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln. Wobei es sich hier um Wunschdenken handelt, Analysten haben errechnet, dass die angekündigten Projekte erst 2071 fertig sein werden, sollte sich am Niveau der Investitionen nichts ändern.  

„Das langlebigste ist die Infrastruktur“

Maria Leenen

Auch Leenen meint es durchaus wörtlich, wenn sie den Ausbau der „Hardware“ als „Jahrhundertaufgabe“ bezeichnet. „Das langlebigste ist die Infrastruktur“, sagt die Expertin und verweist auf die langen Lebenszyklen des rollenden Materials – Personenzüge werden 30 bis 40 Jahre genutzt, Güterwaggons zum Teil erheblich länger – sowie der Infrastruktur. Die Hälfte aller in Betrieb befindlichen Stellwerke seien inzwischen älter als 50 Jahre. 

Leenen appelliert darum neben mehr Schub (und Geld) für die Digitalisierung der Schiene für mehr Pragmatismus. So sei durch die Verlängerung von unscheinbaren Überholgleisen für das Gesamtsystem mehr zu gewinnen als durch manches schillernde Prestigeprojekt.  

Warum Maria Leenen den pauschalen Ruf nach Reaktivierung alter Strecken skeptisch sieht, weshalb sie nicht glaubt, dass mehr Konkurrenz automatisch zu einem besseren Angebot führt und wieso die SCI-Chefin Sorge hat, dass das kommende 49-Euro-Ticket einige der Probleme der Bahn eher verstärken als lösen könnte, das erzählt sie in der aktuellen Episode des FUTURE MOVES Podcasts. 

Über diese Themen spricht Maria Leenen im FUTURE MOVES Podcast 

… Innovationszyklen und Planungshorizonte bei der Bahn (2:19) 

… die Digitalisierung der Schieneninfrastruktur (5:53)

… die digitale Kupplung als Gamechanger im Güterverkehr (9:43) 

… wie Logistikkunden die Bahn zu Innovation drängen (14:23)

… welche Rolle Startups bei der Digitalisierung der Bahn spielen (16:42)

… Staaten, die in Sachen Bahninfrastruktur vorbildhaft sind (21:39)

… den Austausch mit Branchen wie Automotive und Luftfahrt (24:01)

… Status Quo der Antriebswende auf der Schiene (26:17) 

… Konkurrenz, volle Trassen und offene Buchungssysteme (29:08)

… das künftige Deutschlandticket aka 49-Euro-Ticket (41:00)

… Zukunft des Güterverkehrs und Reaktivierung von Strecken (45:20)

… ihren „Mix der Woche“ (49:06)

… alternative Schienenverkehrsmittel wie Monorail und Transrapid (50:33)

… den aktuellen Hype um Nachtzüge (54:09)