„Wir brauchen Flagship-Stores der Mobilitätswende“
FUTURE MOVES Podcast #17: Von Autokonzernen lernen – die Kieler Kommunikationsberaterin Bärbel Boy rät dem ÖPNV zu mehr Selbstbewusstsein
Keine Mobilitätswende ohne Bus und Bahn. Der Tausch von Verbrenner- gegen E-Autos ist eben nur eine Antriebswende. Am Ende stehen alle zwar lokal emissionsfrei, aber eben doch im Stau. Die große Frage lautet darum: Wie bekommt man mehr Menschen in Busse und Bahnen? Und zwar nicht nur solche, die auf den ÖPNV angewiesen sind, sondern prinzipiell jeden. Die Kommunikationsexpertin und Strategieberaterin Bärbel Boy macht sich professionell Gedanken über genau diese Frage.
Zu den Kund:innen ihrer Agentur gehören zahlreiche Player aus dem Mobilitätsbereich. Die Kieler stecken beispielsweise hinter Rolph, der im Jahr 2019 gelaunchten Dachmarke des Nahverkehrs in Rheinland-Pfalz. Boy rät den Anbieter zu mehr Selbstbewusstsein, statt sich selbst kleinzumachen. Zum Teil sei der ÖPNV selbst Schuld an seinem Verlierer-Image. In der neuen Episode des FUTURE MOVES Podcasts erklärt Boy, warum sich die Anbieter komplett anders positionieren müssen als bisher.
ÖPVN, das klingt nach Verspätung, nervigen Sitznachbar:innen, Kaugummi auf den Polstern und Uringeruch an der Haltestelle. So ungefähr sehen Bus und Bahn in der Vorstellung von gemeinen – um auf der Ebene des Klischees zu bleiben – SUV-Fahr:innen aus. In Wahrheit ist das natürlich Quatsch. Doch leider würden die Anbieter selbst wenig tun, das eigene Image zu verändern, sagt Bärbel Boy. Etwa, wenn sie während der Pandemie lautstark über sinkenden Fahrgastzahlen und finanzielle Sorgen klagten, statt noch lauter und mit Stolz mitzuteilen, dass die eben trotz der Umstände verlässlich unterwegs sind. Für Boy nur eine vertane Chance, das Narrativ zu den eigenen Gunsten zu drehen.
Aktuelles Beispiel ist in ihren Augen die Debatte um das Neun-Euro-Ticket. Das als „Rabatt“, „Entlastungsaktion“ oder gar „Billigticket“ verkauft werde. Botschaft zwischen den Zeilen: Der ÖPNV ist zu teuer und man muss das Produkt offensichtlich verramschen, damit sich überhaupt jemand dafür interessiert, der nicht darauf angewiesen ist. Man könne das auch ganz anders kommunizieren, sagt Boy, und zwar „als ein großes Gesellschaftsexperiment für eine andere Form von Mobilität“. Die Maßnahme sei ein großes Zeichen pro ÖPNV. „Und so könnte man es auch spielen.“
„Der öffentliche Nahverkehr ist längst die bessere Alternative und nicht der Ersatz“
Bärbel Boy
Es geht Boy um eine radikale Abkehr von der Art und Weise, wie Bus und Bahn bislang angepriesen werden. Als erstes sollte der ÖPNV aufhören, sich immer mit dem Auto zu vergleichen, sagt die Kielerin. Denn diese Argumentation bestätige ein ums andere Mal das Auto als Maß der Dinge. Diese Vorstellung aber ist ein ihren Augen überholt: „Der öffentliche Nahverkehr ist längst die bessere Alternative und nicht der Ersatz.“ Das sollte die Branche auch zeigen, so Boy.
Ihr Vorschlag dazu klingt zunächst etwas over the top – aber vielleicht ist er genau deshalb bedenkenswert. „Auf dem Ku’damm oder auf der Friedrichstraße müsste es mindestens mal einen Flagship Store der Mobilitätswende geben“, sagt Boy. Wie die Autokonzerne, die in ihren Showrooms in AAA-Lagen die eigene Vision von Mobilität darstellen – warum inszeniere sich nicht auch der ÖPNV als fein und edel und ein bisschen glamourös, fragt Boy.
Warum Bus und Bahn ein bisschen „Fake it till you make it“-Haltung gut tun würde, wie sie das individuelle Mobilitätsverhalten zum Statussymbol machen will und auf welche überraschenden Influencer:innen sie dabei setzen würde, das verrät Bärbel Boy in der aktuellen Ausgabe des FUTURE MOVES Podcasts.
Über diese Themen spricht Bärbel Boy im FUTURE MOVES Podcast
… das 9-Euro-Ticket und ihre Kritik an der Debatte (3:03)
… den Fehler des ÖPNV, sich am Auto zu messen (6:12)
… mangelndes Selbstvertrauen des ÖPNV und positive Ausnahmen (9:07)
… nachhaltige Mobilität als Statussymbol (15:45)
… instagramable Busse und überraschende Influencer (18:39)
… New-Mobility-Start-ups als Vorbilder für den ÖV (23:09)
… Standortfaktor Klimafreundlichkeit und Beteiligungsprozesse (27:13)
… wie heute anders über Mobilität geredet wird als vor 20 Jahren (36:02)
… Mutlosigkeit in der Kommunikation von Verkehrsunternehmen (38:23)
… autofreie Verkehrskonzepte und Mobilitätsexperimente (42:08)
… das Revival des Spazierengehens und Gemeinschaftsbewusstsein (46:15)
… ihren „Mix der Woche“ (47:52)
… die Wichtigkeit von Mobilitätswende-„Mitläufer:innen“ (49:32)