Elektrisierendes Wettrennen unter dem Asphalt
Teure, schwere Akkus, für die rare Rohstoffe benötigt werden – sie gelten als Flaschenhals der Mobilitätswende. Dabei liegt die Alternative wortwörtlich auf der Straße
Irgendetwas läuft schief beim Aufbau der Elektromobilität in Deutschland. Statt kleiner, effizienter City Cars rollen immer mehr und immer größere E-Saurier auf die Straße. Nehmen wir den BMW iX M60 – einen SUV mit 2,7 Tonnen Leergewicht, der einen Riesen-Akku mit 112 kWh Kapazität im Bauch hat. Mit ihm fährt er 500 Kilometer weit, ehe er 35 Minuten lang nachlädt. Macht das wirklich Sinn? Brauchen wir diese großen Batterien und die dafür nötigen Schnellladeparks? Und wie versorgen wir erst die elektrischen Trucks von Tesla, Volvo, Scania und Mercedes-Benz, wenn sie auf die Straße kommen?
Die Roadmap, auf der Industrie und Staat fahren, führt in die Irre, sagen kreative Köpfe. Viel smarter wäre es doch, die Autos mit Strom aus einer elektrischen Straße zu versorgen – wenn sie stehen und wenn sie fahren. Und nicht nur Autos, sondern auch Busse und Lastwagen. Jedes Fahrzeug bekommt so viel Strom, wie es für sein Tempo braucht. Es besitzt zwar noch immer eine Speicherbatterie, weil sie weiterhin Sinn macht – aber sie kann viel kleiner sein als heute. Zukunftsmusik? Ja, aber eine hochinteressante. FUTURE MOVES hat sich über drei Projekte informiert – zwei im innovativen Schweden und eins in Deutschland.
„Induktives Laden ist bequemer als Laden per Kabel“
Jochen Rohm, Entwicklungsingenieur EDAG
Am Hauptbahnhof von Hannover will der Ingenieurdienstleister EDAG zusammen mit der örtlichen Hochschule Ladespulen verlegen. Das Projekt Lane Charge zielt darauf ab, E-Taxis vom Typ Nissan Leaf auf ihren Halteplätzen induktiv zu laden. Diese Primärspulen werden 2,5 Zentimeter tief im Asphalt liegen und über ein Magnetfeld Wechselstrom an die Sekundärspulen im Auto übertragen, die hinter der Vorderachse montiert sind. Trotz des Luftspalts von 18 Zentimeter soll der Wirkungsgrad bis zu 94 Prozent erreichen.
Jochen Rohm, Entwicklungsingenieur bei EDAG, zählt die Vorteile auf. „Der Einbau im Asphalt macht unsere Technik wetterfest. Das Magnetfeld baut sich nur dann auf, wenn sich eine Empfängerspule über ihm befindet, ist also ungefährlich für Passanten und Tiere. Induktives Laden ist bequemer als Laden per Kabel, beeinträchtigt das Stadtbild nicht und macht Kupferklau unmöglich.“ Was Rohm aber auch weiß: „Zum Erfolg wird die Technologie nur dann, wenn die Autoindustrie und die Städte an einem Strang ziehen.“ Und ob das klappt, ist offen. Deutschland ist nicht nur das Land der methodisch vorgehenden Ingenieure, sondern auch das Land der Flickenteppiche – ein Labyrinth der Möglichkeiten, das von einem Dickicht aus Regularien eingehegt wird und in dem sich die Entscheider nur zu oft verlaufen.
Weiter nach Schweden. Dorthin, wo die Elektromobilität viel schneller vorankommt. Auf der Insel Gotland hat das israelische Unternehmen Electreon eine zwei Kilometer lange Teststrecke installiert, auf der ein Linienbus und ein 40-Tonnen-Truck mit E-Antrieb verkehren. Management Units, die in 100 Meter Abstand zueinander stehen, versorgen jeweils 60 miteinander verbundene Ladespulen, die gut acht Zentimeter tief im Asphalt liegen.
Auch in der elektrischen Straße von Electreon fließt nicht permanent und überall Strom – vielmehr aktivieren die Fahrzeuge jene Spulen, über denen sie sich gerade befinden. Jede Spule kann Gleichstrom mit 25 kW Leistung übertragen; eine Lkw-Zugmaschine, die drei Empfängerspulen an Bord hat, lässt sich so mit 75 kW versorgen. In der nächsten Generation soll die Leistung auf das Doppelte steigen, damit ließe sich ein Truck mit Energie für 80 km/h Tempo füttern.
Das Unternehmen fokussiert sich auf den Nutzfahrzeugsektor, weil es dort immer um Zeit und Geld geht, sagt Andreas Wendt, Regionaldirektor Deutschland von Electreon. Die Firma betreibt momentan kleine E-Teststrecken in fünf Ländern und bewirbt sich für größere Projekte, die in Schweden und Frankreich ausgeschrieben sind. Ein Netzwerk von Partnern, auch aus dem Straßenbau, flankiert die Aktivitäten. Das Start-up, 2013 gegründet, wächst seit Jahren – aber wie gut ist es für den Sprung in den Industriemaßstab und für den Kampf der Systeme gerüstet?
„Wir wollen Ökostrom nicht verwenden, um die Landschaft zu heizen“
Toby Hörnlein, Elonroad
Wendt hat Antworten parat. „Wir sind technisch robuster und preislich viel günstiger als E-Highways mit ihren Lkw-Oberleitungen.“ Ein Kilometer elektrische Straße koste nur eine halbe Million Euro und werde von einer Partnerfirma von Elektreon in nur zwei Nächten installiert. „Gegenüber dem stationären Hochleistungsladen für den Schwerlastverkehr, sparen wir den Platz für die Ladeparks und die Zeit für den Ladevorgang“, sagt Wendt. Und das System bilde eine Plattform für alle Fahrzeugtypen vom Pkw bis zum Lkw. Diese Fahrzeuge könne man dann mit deutlich kleineren und leichteren Batterien ausstattet, was eine enorme Kostenersparnis bedeutet. Die benötigten Empfängerspulen kosteten für einen Pkw dagegen nur einen dreistelligen Betrag, so Wendt.
Ortswechsel in die schwedische Studentenstadt Lund, wo das Start-up Elonroad zuhause ist. Ähnlich wie Electreon fokussiert es sich primär auf Nutzfahrzeuge, die wiederkehrende Loops abfahren, und betreibt eine kurze Teststrecke in der City. Der Unterschied: Auf der „Evolution Road“ in Lund ziehen die Fahrzeuge den Strom per Berührung aus der Straße, über Stromabnehmer wie bei der Carrera-Bahn. Das sei deutlich effektiver als das induktive Laden der Rivalen, bei dem ein Teil der Energie in Wärme verpuffe, sagt Toby Hörnlein, Strategic Growth Director: „Wir wollen den wertvollen Ökostrom doch nicht verwenden, um die Landschaft zu heizen.“
Elonroad setzt beim dynamischen Laden auf Stromschienen von 32 Zentimeter Breite, die bündig mit der Fahrbahnoberfläche abschließen. Mit 600 Volt Spannung kann das System bis zu 3 MW Ladeleistung pro Kilometer aufbringen. „Aber darum geht es uns nicht ausschließlich“, erklärt Hörnlein. „Das Wettrennen um die Ladeleistung ist ein überholter Gedanke. Du brauchst nicht den maximalen Ladestrom, sondern genau so viel, dass es für deine Zwecke ausreicht. Es macht doch keinen Sinn, Energie im Auto zu horten wie Klopapier in Covid-Zeiten. Es ist genug von ihr da, wir müssen sie nur geschickt verteilen.“
Schwarmintelligenz, Sharing – in der Verkehrs-Vision, die Elonroad entwirft, wird die elektrische Straße zur Schlagader eines radikal neuen, sozial und nachhaltig ausgerichteten Individualverkehrs. „Wir sollten Automobilität nicht mehr als Ego-Mobilität sehen, sondern als gesellschaftliches Projekt“, sagt Hörnlein. „Wenn du zehn Millionen Elektrofahrzeuge hast und bei jedem ein halbes Prozent Energie rausnimmst, bekommst du eine Riesenmenge Strom, die du sinnvoll nutzen kannst. Und wenn Fahrzeuge unterwegs Strom in die Straße zurückspeisen, bilden sie einen gemeinsamen Speicher für volatile nachhaltige Energie. Die einzelnen Strombeträge sind natürlich relativ klein, aber der Markt, der hier entsteht, wird richtig groß.“
Gerade hat Elonroad sein neuestes Projekt angekündigt. Die schwedische Stadt Helsingborg macht die Straße Rektorsgatan zur Straße der Zukunft. Hier startet demnächst ein kommunales Carsharing-System auf Basis des Elonroad-Systems. Gut möglich, dass hier gerade etwas wirklich großes entsteht.
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Karin Ebbinghaus
Auch wenn das System E-Schiene für Straßenfahrzeuge noch etwas exotisch klingt. Gerade im Verbund mit dem autonomen Fahren könnte es künftig einen bestechenden Vorteil ausspielen: Robotertaxis und -Lkw könnten mit dem System von Elonroad 24/7 auf der Straße unterwegs sein, sagt die CEO Karin Ebbinghaus.
Jochen Rohm
Induktives Laden läuft üblicherweise so ab, dass das Fahrzeug mit dem niedrigsten Ladebedarf entscheidet, wie viel Strom fließt. Bei der zum Patent angemeldeten Technologie von Jochen Rohm und dem EDAG-Team entscheidet eine Software im Auto, wie viel Energie sie entnimmt. So erhalten alle Fahrzeuge die optimale Ladeleistung.