„Du darfst nie Teil des Systems werden“
HVV-Chefin Anna-Theresa Korbutt über den Bruch mit Branchenregeln, die Zukunft des Deutschlandtickets und private Pkw als Teil des ÖPNV
Nur wenige räumen es so freimütig ein wie Anna-Theresa Korbut: Die Aussicht auf ein hohes Gehalt ist beim Berufseinstieg meist das gewichtigere Argument als der so oft angeführte „Sinn“. Im Fall der Geschäftsführerin des Hamburger Verkehrsverbunds (kurz HVV) bedeutete dies, nach dem BWL-Studium einen Posten bei der Deutschen Bahn anzunehmen, obwohl sie Zugfahren und den ÖPNV damals – Zitat – „sch***e“ fand.
Ihr Umfeld hätte ihr mehr Respekt gezollt, wäre sie als Stewardess zur Lufthansa gegangen, sagt Korbutt in der neuen Episode des FUTURE MOVES Podcasts. Zum Glück für die Verkehrswende ließ sie sich nie von der Außenwirkung ihres Handelns beeinflussen. Nach Stationen bei der DB, Unternehmen aus der Logistik- und Zulieferbranche und der Österreichischen Bundesbahn zählt die HVV-Chefin heute zu den umtriebigsten Manager*innen der ÖPNV-Branche.
„So ein Diskussion würde ich mir beim Autobahnausbau wünschen“
Anna-Theresa Korbut
Als das Neun-Euro-Ticket und dessen Nachfolger, das Deutschlandticket, aufkamen, ging Korbutt mit dem HVV all-in: Fast alle Abomodelle des Verbunds wurden zugunsten der simplen Flatrate-Logik abgeschafft – obwohl damals noch längst nicht sicher war, wie es mit dem Deutschlandticket weitergehen würde. Doch sie war sich sicher, dass hier die Zukunft des ÖPNV liegt.
Klar, es koste Geld, und die dauerhafte Finanzierung sei ein Kraftakt, der auch den Verkehrsunternehmen Anstrengungen abverlangt, sagt Korbutt. Aber sie ärgert der deutsche Hang, neue Ideen und Konzepte zu zerreden. „Eine Diskussion wie ums Deutschlandticket würde ich mir beim Autobahnausbau wünschen.“
Selbst innerhalb der Branche hat Flatrate wenige Befürworter*innen, die sich vehementer dafür einsetzen als Korbutt. „Das Ticket ist mit Abstand das Beste, was dem ÖPNV in Deutschland passieren konnte“, so die ÖPNV-Managerin. Und sieht man von einer überfälligen Lösung für Studierende ab, solle das Ticket am besten genauso bleiben wie es ist, sagt sie nach der Einführung eines Add-ons Mitfahrer*innen. Der Aufwand, dieses einzuführen, sei größer gewesen als die tatsächlich Nachfrage.
Mehr Einfachheit im ÖPNV ist spätestens mit dem Deutschlandticket zu Korbutts Thema geworden. Sei es, wenn es darum geht, den Tarif-Dschungel zu roden, aber auch auch die Branche selbst zu verschlanken. Im Podcast-Gespräch klingt es danach, als hätte sie in der mentalen Schublade bereits ein Konzept für eine effizientere Reorganisation des bundesdeutschen Wusts aus unzähligen Verkehrsverbünden, sprich: einer deutlichen Reduzierung, wie sie jüngst ja auch von Bundesverkehrsminister Volker Wissing eingefordert wurde.
Die Furchtlosigkeit, mit der die HVV-Chefin sich am Das-war-schon-Immer-So ihrer Branche abarbeitet, lässt wenig Zweifel daran, dass sie es wirklich ernst meint mit ihrem Karriere-Motto: „Du darfst nie Teil des Systems werden.“
Über diese Themen spricht Anna-Theresa Korbutt im Podcast:
… Status Quo und To-Dos beim Deutschlandticket (02:28)
… wie der HVV sein Abo-Angebot umstrukturieret hat (06:44)
… effizientere Strukturen für den ÖPNV (10:58)
… warum das Deutschlandticket simpel bleiben sollte (13:43)
… Bereitschaft zu Vereinheitlichung in der ÖPNV-Branche (16:34)
… Preiserhöhung und mehr Flexibilität beim Deutschlandticket (18:43)
… wie sie um Bereitschaft für Veränderung wirbt (23:41)
… mit welchen Ideen sie besonders angeeckt ist (29:16)
… unternehmerisches Denken im öffentlichen Kontext (31:34)
… Herausforderung der Fusion von Verkehrsverbünden (33:58)
… die nötige Erweiterung des ÖPNV-Begriffs (40:06)
… ihre Vision für das Angebot der Zukunft im ÖPNV (47:03)
… die Bedeutung von Image von Bus und Bahn (52:43)
… ihren „Mix der Woche“ (58:10)
… was sie für ihren Beruf in der ÖV-Branche motiviert (59:42)