Gast in der neuen Episode des FUTURE MOVES Podcasts ist Raul Krauthausen. Als Deutschlands bekanntester Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit engagiert sich der Berliner seit 20 Jahren für die Bedürfnisse behinderter Mitbürger:innen. Diese werden immer noch viel zu oft übersehen. Geht es nach Krauthausen, haben Planer:innen bei der Gestaltung von öffentlichem Raum und Infrastruktur künftig Barrierefreiheit von Anfang an im Blick. Der von ihm mitbegründete gemeinnützige Verein Sozialhelden berät Kommunen und Unternehmen, wie sie dieses Ziel erreichen können. 

Krauthausen ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Beschäftigung mit Mobilität und allem, was diese für Menschen mit Behinderung einschränkt, sind für ihn unvermeidlich. Doch statt darauf zu warten, dass die Dinge sich verbessern, ist er selbst aktiv und zum profiliertesten Inklusionsaktivisten im deutschsprachigen Raum geworden. Krauthausens Ziel: Barrierefreiheit zum gesetzlich verankerten Standard zu machen – wie Brand- und Denkmalschutz. Eine verpflichtende Vorgabe, die ohne großzügige Ausnahmen für alle gilt.

Digitalisierung spielt in Krauthausens Arbeit schon immer eine wichtige Rolle. Genauer: die Frage, wie sich diese nutzen lässt, um Lösungen und Produkte für Menschen mit Behinderung besser zu machen. Sein erstes großes Projekt war „Wheelmap“, eine Art crowdgesourcetes Google Maps, bei dem verzeichnet ist, wie rollstuhlgerecht ein Ort ist. 

Zwar hätte es schon vorher solche Verzeichnisse gegeben, so Krauthausen. Die seien jedoch eher alltagspraktischer Natur gewesen und steckten oft voller veralteter Informationen. Vor allem ignorierten sie ein wesentliches Bedürfnis. Niemand halte sich „die ganze Zeit in Apotheken, Zahnarztpraxen, Massagestudios oder Therapiezentren auf“, so Krauthausen. „Natürlich wollen behinderte Menschen auch mal Party feiern.“ Darum informiere Wheelmap eben auch über die Barrierefreiheit von Cafés, Bars und Clubs wie dem Berghain in Berlin.

Auch wenn Deutschland gegenüber Nordamerika, wo man selbst nachts ein rollstuhlgerechtes Taxi bekommt und es nicht Tage vorher bestellen muss, noch einiges aufzuholen habe – insgesamt habe sich die Mobilität von Menschen mit Behinderung in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, so Krauthausen. Er könne sich noch an Zeiten erinnern, wo er mangels rollstuhlgerechter Plätze im ICE zusammen mit Paketen im ungeheizten Gepäckabteil reisen musste. Doch anders als in der Schweiz müsse er zum Ein- und Aussteigen immer noch Helfer:innen bestellen, sagt Krauthausen. „Ich kann mit meiner Bahncard 100, nicht so spontan mit der Bahn reisen wie du.“

Damit sich das schnell ändert, treten Menschen mit Behinderung immer selbstbewusster auf und fordern ihr Recht auf Gleichbehandlung aktiv ein. Krauthausen verweist als Beispiel auf die „100.000 Euro Bahn Challenge“. Deren Ziel ist es, Erfahrungen mit Barrieren bei der Nutzung der Deutschen Bahn wie defekte Aufzüge oder Toiletten zu nutzen, um dafür Entschädigungen durchzusetzen.

„Ich kämpfe dafür und setze mich dafür ein. Notfalls verklage ich sie.“

Raul Krauthausen

Mittlerweile sieht Krauthausen im rechtlichen abgesicherten Anspruch auf Barrierefreiheit den effektivsten Weg, diese tatsächlich zu erreichen: „Ich kämpfe dafür und setze mich dafür ein. Notfalls verklage ich sie.“ Darum hofft er auch darauf, dass Barrierefreiheit nach dem öffentlichen Verkehr bald auch für neue Formen der Mobilität wie Ridepooling oder Carsharing verpflichtend wird, damit die Verkehrswende auch für Menschen mit Behinderung Realität wird.

Abgesehen vom Aspekt der Gerechtigkeit, der mit einer Gleichbehandlung aller Nutzenden verbunden ist, könne Barrierefreiheit durchaus im Sinn der Anbieter sein, so Krauthausen. Die Bedürfnisse behinderter Mitbürger:innen direkt mitzudenken erspare zum einen teure Nachbesserungen, sobald gesetzliche Regelungen greifen würden. Er denkt hier etwa an die aktuell nicht barrierefreie Ladeinfrastruktur für E-Mobilität.

Die Schaffung inklusiver Angebote lohne sich zudem, weil die Community der Menschen mit Behinderungen ein Zehntel der Bevölkerung ausmache, also eine signifikante Kund:innengruppe. Zudem profitiere in einer älter werdenden Gesellschaft eine wachsende Gruppe von mehr Barrierefreiheit. Und jeder und jede könne einmal temporär von Einschränkungen betroffen sein – und freue sich mit gebrochenem Bein dann über den Aufzug an der U-Bahn. Der aber sei eben nicht für Sportverletzte und Eltern mit Kinderwagen gebaut worden, sagt Krauthausen, sondern weil sich Menschen mit Behinderung dafür eingesetzt haben.

Über diese Themen spricht Raul Krauthausen im FUTURE MOVES Podcast:

… wie er auf Angebote der neuen Mobilität blickt (3:21)

… warum der ÖPNV bei Barrierefreiheit weiter ist als private Anbieter (5:35)

… weshalb bindende gesetzliche Vorgaben wichtig sind (6:48)

… Konsequenzen mangelnder Barrierefreiheit für seine Alltagsmobilität (12:11)

… Gründe für die schleppende Umsetzung von Barrierefreiheit (14:41)  

… seinen Verein Sozialhelden, die „Wheelmap“ und „Broken Lifts“ (16:20)

… Projekte, bei denen Sozialhelden Kommunen berät (21:20)

… Mobilität in zehn Jahren, autonome Fahrzeuge und universal Design (26:41)

… Öffentlichkeit und juristische Schritte als Wege zum Ziel Barrierefreiheit (34:20)

… erzielte Verbesserung der Mobilität von Menschen mit Behinderung (39:35)

… seine Erwartungen an das 9-Euro-Ticket (42:21) 

… wie Nichtbehinderte blinde Flecken beim Thema Mobilität erkennen (43:10)

… seinen Mix der Woche (44:55)

… Digitalisierung und Aufenthaltsqualität (47:08)