Das Gelingen der Verkehrswende hängt daran, ob sich alle relevanten Spieler auf dieses gemeinsame Ziel verständigen können. Klingt nach einem No-Brainer – ist es aber nicht. Denn trotzt des mittlerweile breiten Konsens, dass Mobilität nachhaltiger, zugänglicher und weniger auto-fokussiert werden muss, scheint es vielen in der Branche noch immer unmöglich, ihre jeweiligen Einzelinteressen dem großen Ganzen unterzuordnen. 

Bestes Beispiel: das 9-Euro-Ticket. Dessen Existenz verdanke sich nämlich nicht der Einsicht der ÖPNV-Anbieter, das Tarif-Wirrwarr zu überwinden, so Silvia Fischer, Vice President Smart Mobility bei Free Now, im FUTURE MOVES Podcast. Sondern es habe allein deswegen geklappt, „weil die Politik beschlossen hat, dass wir jetzt eine deutschlandweite Lösung brauchen.“ Ein Befund, den die vielstimmige und chaotische Debatte um eine mögliche Nachfolgeregelung des 9-Euro-Tickets gerade bestätigt. Aber warum befasst sich Free Now überhaupt mit dem Thema?

Free Now entwickelt sich seit drei Jahren vom Taxi- und Fahrdienst-Vermittler zu einer universellen Mobilitätsplattform. Gerne hätte das Unternehmen seinen Nutzenden auch das 9-Euro-Ticket verkauft, so Fischer. Allerdings würden die ÖPNV-Anbieter ihre Hoheit über den Ticketverkauf mit aller Macht verteidigen. Und aus diesem Grund fehlen Busse und Bahnen bislang auch in der Free-Now-App, über die in mittlerweile 170 europäischen Städten vom E-Scooter über Carsharing-Autos bis zum Großraumtaxi inzwischen 200.000 Fahrzeuge gebucht werden können.

Seit dem Rebranding der Mytaxi-App verfolgt die Plattform das ambitionierte Ziel, zur europäischen „Super-App für Mobilität“ zu werden. Also zu der einen Anwendung, über die User:innen ihre kompletten Mobilitätsbedarfe abdecken können. Wer das einlösen möchte, für den spielt die Integration des Angebots des ÖPNV naturgemäß eine entscheidende Rolle. Die nahtlose Einbindung der Anbieter auf der eigenen Plattform ist aufgrund der Komplexität der Branche mit einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Player deren Verflechtungen untereinander ist zugleich die härtestes Nuss, die Free Now zu knacken hat.

Allerdings gibt es vermutlich wenige Personen, die geeigneter für diesen Job wären, als Silvia Fischer. Vor ihrem Wechsel zu Free Now war sie sechs Jahre lang bei Eurail. Die Firma koordiniert für die europäischen Bahngesellschaften das Interrail-Ticket von der Vermarktung bis zur Abrechnung. Fischer hat dort nicht nur geholfen, ein eingestaubtes Papier-Produkt der Vor-Easyjet-Ära in die digitale Gegenwart zu holen. Sie hat auch gelernt, wie man extrem unterschiedlich tickende Partner in einem Produkt zusammenbringt. Und tatsächlich kündigt Fischer im FUTURE MOVES Podcast ein erstes Projekt an. Gemeinsam mit einem deutschen ÖPNV-Anbieter; Start ist im kommenden Herbst.

„Wir brauchen einen Standard der Offenheit“

Silvia Fischer

„Kein Anbieter kann alleine die Mobilitätswende befördern“, sagt Fischer. Allein ein gutes Zusammenspiel aller Provider würde die Voraussetzungen für die Produkte schaffen, die für die Kund:innen einen echten Unterschied machen. Darum appelliert sie für einen „kooperativen Ansatz“. Der darf sich allerdings nicht allein im geteilten Willen äußern. „Wir brauche einen Standard der Offenheit, der Kollaboration befördert“, sagt Fischer.

Dabei geht es ihr um mehr als freien Zugang zu Daten wie beispielsweise Echtzeitstandorten von Fahrzeugen oder Wetterdaten, um auf deren Basis maßgeschneiderte Reiseketten für die Kund:innen anbieten zu können. Vor allem müsse endlich auch das Thema Ticketing angegangen werden, so Fischer. Denn die Standardisierung und Öffnung der Vertriebsprozesse sei der Schlüssel für die Bereitstellung von überzeugenden Mobilitätsprodukten. 

Der Markt für diese Produkte sei groß genug, beruhigt Fischer. Und er wächst mit jedem Service, der als Alternative zum eigenen Pkw funktioniert. Anders gesagt: Wenn die Bereitschaft zur Zusammenarbeit die Furcht vor dem Verlust des Bekannten überwiegt, dann dürfte es bald mehr als nur eine Super-App für Mobilität geben. In Sachen Verkehrswende wäre das definitiv eine gute Nachricht.

Über diese Themen spricht Silvia Fischer im FUTURE MOVES Podcast:

… Free Nows Weg von der Taxi-App zu Mobilitätsplattform (2:55)

… die Schwierigkeiten bei der Integration des ÖPNV (5:17)

… Ansprüche der Kund:innen an Mobilität und Mobilitätsbudgets  (8:11)

… unterschiedliche Ansätze von Super-Apps für Mobilität (10:27)

… Standardisierung von Daten und Vertriebswegen (12:28)

… Daten als Basis Empfehlungen und Steuerung von Verkehrsströmen (15:01)

… europäische Perspektive auf die Mobilitätswende und progressive Städte (18:12)

… die Digitalisierung des Interrail-Angebots der europäischen Bahnen  (19:55)

… wie man unterschiedliche Stakeholder zu Kollaboration ermutigt (24:15)

… warum sich Free Now als „Super-App für Mobilität“ versteht (25:28)

… Datenschutz und Vielfalt der Partner auf der Plattform  (27:36)

… künftige Mobilitäts-Cases und Free Nows Rolle darin (30:30)

… ihren „Mix der Woche“ (37:18)

… Barrierefreiheit, Inklusion und E-Taxis (38:36)