Das autonome Fahren kommt, die Frage ist nur wann. In Deutschland ist es bislang aber nur auf ausgewiesenen Strecken zugelassen. Damit das irgendwann Geschichte ist, müssen Rechts- und Versicherungsfragen geklärt werden – und autonome Fahrsysteme gut erforscht werden. Genau das macht Florian Sauerbeck von der Technischen Universität München (TUM). Schon früh sei er autobegeistert gewesen, sagt er – sein großer Traum: Auto-Ingenieur werden. „Ich habe mir das damals natürlich noch ein bisschen anders vorgestellt, als vor dem Computer zu sitzen“, sagt er. Denn Coden ist eine der Hauptaufgaben, wenn man autonome Rennwagen entwickelt.

Am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der TUM arbeitet Florian Sauerbeck an intelligenten Fahrzeugsystemen

Gemeinsam mit seinem Team aus Doktoranden und Studierenden der TUM hat Sauerbeck Ende Oktober vergangenen Jahres an der Indy Autonomous Challenge (IAC) teilgenommen – und gewonnen. Dabei sind neun Teams von Universitäten aus aller Welt mit autonom fahrenden Rennwagen auf einer der historisch bedeutendsten Rennstrecken der Vereinigten Staaten gegeneinander angetreten: dem Indianapolis Motor Speedway. Nun sollen sie den Titel verteidigen: Für den 7. Januar 2022 ist im Rahmen der CES in Las Vegas erneut ein Rennen angesetzt. Was auf sie wartet, wie autonome Rennwagen programmiert werden und was das für die Mobilitätswende in Deutschland bringt, erklärt Florian Sauerbeck.

„Ich hoffe auf deutlich höhere Geschwindigkeiten“

Florian Sauerbeck

Einem ihrer größten Konkurrenten, dem Team TII Euro Racing, unterlief beim Rennen in Indianapolis ein „menschlicher Fehler“, wie es heißt. Statt zwei schnelle Runden zu fahren, bremste ihr Wagen schon nach einer Runde ab und fuhr gemütlich weiter – ein Programmierfehler, der den Sieg kostete, aber schnell passieren kann, wenn man unter Zeitdruck am Code schreibt. Am Ende konnten also die Münchner die zwei Rituale durchführen, die für Rennsieger an der historischen Strecke in Indianapolis üblich sind: den Brick Yard an der Ziellinie küssen und ein Glas Milch trinken. Außerdem ging das Preisgeld in Höhe von einer Million Euro an das Team. Wie Mitglieder des Teams nun auf der Elektronikmesse CES bekannt gaben, konnten sie durch den Sieg bei der IAC eine neue Firma gründen: Driveblocks. Mit Driveblocks wollen die Münchner skalierbare, robuste und sichere Plattformen für vollständig autonome Fahrzeuganwendungen anbieten.

„Das IAC hat es uns ermöglicht, ein großes Team von Forschern und Studenten aufzubauen, mit internationalen Spitzenuniversitäten zusammenzuarbeiten – und mit führenden Anbietern autonomer Technologie“, sagte Alexander Wischnewski, Co-Teamleiter von TUM Autonomous Motorsport und CTO von Driveblocks, in Las Vegas. „Das Wettbewerbsumfeld hat es uns ermöglicht, unsere technischen und Managementfähigkeiten unter realen Rennbedingungen zu erweitern, einer der anspruchsvollsten Anwendungen der Technologie. Es ist genau das, was wir brauchten, um Driveblocks zu starten, und die Fortschritte, die wir aufgrund dieser Markteinführung machen werden, helfen uns, einige der noch ungelösten Herausforderungen in der autonomen Fahrzeugindustrie anzugehen.“

Ritual in Indianapolis: Küssen des Brick Yard an der Ziellinie

Beim Wettbewerb in Las Vegas wird das Rennen anders gestaltet als in Indianapolis – und dadurch noch spannender. Denn bei The Autonomous Challenge im Rahmen der CES sollen die Rennwagen simultan auf einer Strecke miteinander konkurrieren. Zum ersten Mal werde es Wheel-to-Wheel Racing geben, so Florian Sauerbeck. „Das bedeutet, dass wir tatsächlich volldynamische Überholmanöver machen, dass wir interagieren müssen, schauen, was das andere Fahrzeug macht – und dann darauf reagieren.“ Dass das möglich sei, hätten Test Runs in der Vergangenheit schon gezeigt. Trotzdem werde es in Las Vegas auf jeden Fall sehr spannend. „Da hoffe ich auch auf deutlich höhere Geschwindigkeiten“, sagt Sauerbeck. In Indianapolis hatte ihr Rennwagen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 218 Kilometern pro Stunde erreicht – und damit einen neuen Rekord für autonom fahrende Rennwagen auf dieser Strecke aufgestellt. Die Spitzengeschwindigkeit der Autos liegt bei über 300 km/h.

Die Software unterteilt sich in vier Komponenten: Perception, Planning, Prediction und Control, erklärt Sauerbeck. „Die Aufgabe der Perception ist es, das Umfeld wahrzunehmen. Also wo ist das eigene Fahrzeug und was ist in der Umgebung? Wo sind andere Fahrzeuge?“ Mithilfe von zweidimensionalen Kamerabildern, Sensoren oder Laserdaten könne der Rennwagen Objekte identifizieren. Im nächsten Schritt gehe es dann um die Planung des Fahrwegs und – das ist vor allem wichtig, wenn man gegen andere Fahrzeuge antritt – um Vorhersagen, so Sauerbeck. „Interessant ist eigentlich nicht, wo sich das andere Fahrzeug genau jetzt befindet, sondern wo das Fahrzeug zu dem Zeitpunkt ist, an dem ich dort sein werde.“

„Wir wissen selbst nicht, wie genau das Fahrzeug sich entscheidet“

Dafür muss man Vorhersagen darüber treffen, wie sich das andere Fahrzeug verhalten wird. Aus den vorhandenen Informationen schließe die KI Annahmen und trifft Entscheidungen, so Sauerbeck: Wann startet ein Überholmanöver? Wann muss der Wagen ausweichen, um einen Crash zu vermeiden? Der Controller wandelt den geplanten Pfad des Fahrzeugs dann um in die tatsächlichen Signale und steuert Gaspedal, Bremse und in welchem Winkel das Fahrzeug ausgerichtet wird.

Das Team der TUM bei der Indy Autonomous Challenge

Welche Entscheidung die Software schließlich trifft, ist auch für die Entwickler manchmal eine Überraschung. Beim Testen, erzählt Sauerbeck, hätten sie einmal ein Hindernis auf die Strecke gestellt. Ihrem autonomen Wagen seien sie mit einem anderen Fahrzeug hinterhergefahren, um zu sehen, was passiert. „Wir sind fest davon ausgegangen, dass das Fahrzeug links vorbeifahren wird, aber es ist dann rechts vorbei gefahren. Also wir wissen selbst nicht, wie genau das Fahrzeug sich dann entscheidet.“

Eine Besonderheit an der Software des Münchner Teams ist, dass sie diese in Teilen als Open Source online zur Verfügung stellen. „Wir kriegen relativ viel Feedback“, sagt Sauerbeck. „Andere Teams haben gesagt, sie haben ihre Software auf unsere Stände aufgebaut, aber auch aus der Industrie kommen mögliche Projektpartner auf uns zu.“ Und auch Privatleute, die am Wochenende hobbymäßig eigene Projekte umsetzen, sähen Verbesserungspotenzial und würden sich melden. „Ich glaube, dass gerade das autonome Fahren extrem profitieren kann von dieser Community, weil es so ein komplexes Problem ist mit so vielen Problemen und man eben immer nur einen ganz kleinen Teil davon lösen kann“, sagt Sauerbeck.

„Die Anwendungsfälle sind unterschiedlich, die Technik darin nicht“

Dass die Arbeit an autonomen Rennwagen auch die Mobilität der Zukunft beeinflussen kann, ist für den Auto-Ingenieur recht klar. Schließlich würden viele Technologien wie das Antiblockiersystem, die heute die Sicherheit in jedem Straßenfahrzeug erhöhen, aus dem Motorsport kommen. Mit ihren Tests gehen die Wissenschaftler immer an den dynamischen Grenzbereich: „Was kann das Fahrzeug maximal? Was können die Reifen maximal? Wir machen Ausweichmanöver. Das ist ja auch etwas, das man bei geringeren Geschwindigkeiten im Straßenverkehr braucht“, so Sauerbeck.

Wie würde ein autonomes Fahrzeug zum Beispiel agieren, wenn plötzlich ein Kind vors Auto springt? Auch in so einer Situation müssten selbstfahrende Autos in der Lage sein zu entscheiden, ob sie noch abbremsen können, in welche Richtung sie ausweichen oder ob sie einen Crash in Kauf nehmen müssen. „Wir gehen schon davon aus, dass wir viele Teile auch im Straßenverkehr anwenden können“, so Sauerbeck. „Die Anwendungsfälle sind schon unterschiedlich, aber die Technik und die Algorithmen, die darin stecken, nicht.“

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Florian Sauerbeck

Florian Sauerbeck

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der TUM entwickelt Florian Sauerbeck intelligente Fahrzeugsysteme. Schon vor der Teilnahme am Projekt, das im Oktober 2021 zum Sieg bei der Indy Autonomous Challenge fuhr, hatte Sauerbeck von 2016 bis 2018 beim studentischen Racing-Projekt TU Fast mitgewirkt.

Sebastian Thrun

Sebastian Thrun

Der deutsche Unternehmer, Informatiker und Ex- Stanford-Professor ist eines der Vorbilder von Florian Sauerbeck. Thrun interessierte sich früh für autonome Fahrzeuge. 2005 gewann sein Team die DARPA Challenge – einen 200 Kilometer langen Offroad-Wettbewerb für unbemannte Fahrzeuge. Thrun ist CEO von Kitty Hawk, das an elektrischen Flugtaxis arbeitet.