Deutschland, wir haben ein Problem
Die App Mobility Inside soll das sein, was unmöglich schien: eine zentrale App für alle ÖPNV-Angebote und sogar Sharing-Dienste. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg
Nein, eigentlich sind wir bei FUTURE MOVES keine notorischen Meckerer oder ÖPNV-Feinde, ganz im Gegenteil. Wir machen uns von jedem neuen Angebot im Mobilitätssektor einen Eindruck und in jedem noch so imperfekten Ansatz findet sich letztlich Potenzial. Jede:r Gründer:in weiß, dass noch nie jemand ein Produkt oder einen plietschen Dienst ins Leben gerufen hat und alles sofort perfekt war. Doch der Start der ÖPNV-App Mobility Inside ist schon besonders holprig.
Das Problem Nummer eins: „Die App“ ist keine. „Eine App für die gesamte Reisekette im öffentlichen Nah- und Fernverkehr, lückenloses Routing und Ticketing für ganz Deutschland und digital gebündelte multimodale Bus-, Bahn- und Sharing-Angebote – da wollen wir hin“, sagt Daniela Kluckert, Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium zum Start. Doch in Wahrheit sind es vier. Und es werden sukzessive mehr. Jeder halbwegs strukturiert und effizient denkende Mensch würde erwarten, dass Mobility Inside eine App ist.
„Lückenloses Routing und Ticketing für ganz Deutschland“
Daniela Kluckert, Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium
Aber fangen wir von vorne an: Die Idee hinter und hoffentlich eines Tages das Ergebnis von Mobility Inside ist es, in einer App alle ÖPNV-Angebote Deutschlands zu bündeln. Redakteur Max Wiesmüller etwa kommt aus dem Münchner Umland und lebt in Hamburg. Dank der 20 Millionen Euro teuren App soll er, so die Vision, nicht nur die beste Route nach Hause finden, sondern auch direkt Tickets kaufen können. Doch so ist es nicht.
Zum Start am 4. April ist im App Store keine App namens Mobility Inside zu finden. Stattdessen gibt es gleich vier Apps: RMV Deutschland (Rhein-Main-Verkehrsverbund), MVG Deutschland (Münchner Verkehrsgesellschaft), dTicket (BOGESTRA) und DOplus (DSW21). Sie alle bieten unterschiedliche App-Logos, aber dasselbe User-Interface. Mobility Inside ist also ein White-Label-Produkt mit eigener digitalen Infrastruktur. Wer schon ein Konto beim Verkehrsbetrieb der Wahl hat, kann es nicht verwenden, also sind auch keine Abonnements oder Rabattkarten hinterlegt.
Man ahnt mit welchen Befindlichkeiten die bis zu 630 im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen organisierten Betriebe gegeneinander statt miteinander gekämpft haben müssen. Es ist anzunehmen, dass sich jedes selbst als innovative Marke inszenieren wollte. Sei’s drum, ob ich mir nun eines Tages die MVG-, HVV- oder RMV-App lade, ist letztlich egal. Man hätte sich den App-Dschungel sparen können.
Dass wie so oft nicht von den Nutzer:innen her gedacht wurde, zeigt sich auch anderswo. Denn bislang sind auch nur jene Tickets buchbar, zu denen es bereits die passenden Apps gibt. Will heißen: Eine Fahrt von Hamburg nach München wird zwar berechnet, ist jedoch noch nicht buchbar. Nicht mal der Preis für die innerstädtische Fahrt in der Hansestadt wird angezeigt. Wer von München nach Frankfurt fährt, kommt hier schon einen Schritt weiter. Für den sind dafür drei Buchungen nötig: Eine bei der MVG, eine beim RMV und – jetzt wird’s besonders spaßig – eine dritte nach Umleitung in den DB Navigator. Immerhin ist die Deutsche Bahn eine der Mitgründerinnen des Projekts und dürfte bald nachgereicht werden. Der eine entscheidende potenzielle Vorteil gegenüber Google Maps ist vorerst jedoch verspielt.
Apropos Mobility-Super-App: Wie bei Free Now, HVV Switch, MVGO oder Jelbi stehen auch bei Mobility Inside Alternativen zu Bus und Bahn bereit. Tier und das kürzlich übernommene Unternehmen Nextbike stellen E-Scooter, E-Roller und Fahrräder, auch MVG Rad und Call-a-Bike sind an Bord. Share Now und Miles liefern die Carsharing-Alternative. Auch diese Angebote sind (noch) stark weil auf die Gebiete der vier Verkehrsverbünde beschränkt. Obendrein wird man auch hier in die jeweilige App umgeleitet.
„Verkehrsverbünde aufgefordert, bei Mobility Inside mitzumachen“
Daniela Kluckert, Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium
Die ganze App ist skurril und das Vorgehen unverständlich, weil man mit ÖPNV nur gegen das Auto ankommt, wenn er a) günstiger ist (FUTURE MOVES ist pro Klimaticket) und b) komfortabler. Dafür ist eine gut gedachte und gemachte App essenziell, weil man so Kund:innen locken könnte, deren Verkehrsverbund noch nicht in Mobility Inside integriert ist. Das werden bis auf Weiteres viele sein. Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen 70 Prozent der Bevölkerung angeschlossen sein, also in dreieinhalb Jahren. So visionär und digital ist Mobility Inside also bis auf Weiteres nicht für die meisten Menschen.
Die können in der Zwischenzeit ja weiterhin Google Maps verwenden. „Jetzt sind die Unternehmen und Verkehrsverbünde aufgefordert, bei Mobility Inside mitzumachen! Nur so können wir flächendeckend Nutzerinnen und Nutzer erreichen“, sagte Kluckert zum Start der App. Oh je, Deutschland. Wir haben noch immer ein Digitalisierungsproblem.
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Daniela Kluckert
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat Mobility Inside gewissermaßen geerbt. Die FDP-Politikerin ist jedoch bereits 2017 in den Bundestag eingezogen. Sie war stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Anna-Theresa Korbutt
Sie war jahrelang in diversen leitenden Positionen bei Deutschen Bahn sowie Aufsichtsratsmitglied und Konzern beim österreichischen Pendant ÖBB. Seit rund einem Jahr leitet Anna-Theresa Korbutt die Geschicke des Hamburger Verkehrsverbunds und bringt frischen Wind in die Digitalisierung und das Marketing.