Als Österreich im vergangenen Jahr das Klimaticket ankündigte, staunte man in Deutschland nicht schlecht: 1.095 Euro pro Jahr, also umgerechnet 3 Euro pro Tag kostet das Klimaticket, das mittlerweile unbegrenzte Fahrten mit öffentlichem und privatem Schienenverkehr, Stadtverkehren und Verkehrsverbünden österreichweit erlaubt. 

Zunächst musste man bei der Einführung einige Schwierigkeiten überwinden: Im Verkehrsverbund der Ostregion, der mit Wien, Niederösterreich und dem Burgenland gleich drei Länder umfasst, wurde man durch den unabgestimmten Klimaticket-Vorstoß der Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) und des oberösterreichischen Landeshauptmanns Thomas Stelzer (ÖVP) überrascht – und zum Handeln gezwungen. Sonst hätte es das Ticket nur für den Westen Österreichs gegeben. Pünktlich zum Start hat es dann doch geklappt.

„Es zeigt: die Menschen wollen klimafreundlich mobil sein“

Sprecherin des Klimaschutzministeriums Österreichs

Und dieses Angebot scheint gut anzukommen: „Seit Verkaufsstart am 1. Oktober 2021 haben sich bereits über 140.000 Menschen ein Klimaticket gekauft“, so eine Sprecherin des Klimaschutzministeriums Österreichs gegenüber FUTURE MOVES. „Das hat die Erwartungen weit übertroffen und zeigt: die Menschen wollen klimafreundlich mobil sein.“ Neben der CO2-Einsparung mache sich das auch im Geldbeutel bemerkbar. 

Auch in Deutschland gibt es seit dem offiziellen Start am österreichischen Nationalfeiertag am 26. Oktober immer wieder Forderungen nach einem vergleichbaren Angebot. So fordert die Deutsche Umwelthilfe im Gespräch mit FUTURE MOVES ein „deutlich vereinfachtes und kostengünstiges Flatrate-ÖPNV-Ticket, um die Attraktivität des ÖPNV zu verbessern und den Zugang zu erleichtern“ nach Wiener Vorbild. Mit den Grünen im Parlament und der Stadt Wien gab es bereits Austausch, ebenso mit dem deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr wartet man noch auf einen Termin.


Eines für alle: Das Klimaticket ist eine ÖPNV-Flatrate für ganz Österreich. Foto: Klimaschutzministerium

Bislang sieht es hierzulande jedoch noch verhältnismäßig düster aus: Zwar gibt es einige sogenannte Modellregionen, doch passiert ist bislang wenig. In München gibt es für Azubis und Schüler:innen ein 365-Euro-Jahresticket für den ÖPNV, Heidelberg will nächstes Jahr ganz auf Gebühren verzichten. Vergangene Woche hat Münster „einen klaren Kurs in Richtung Verkehrswende gesetzt“, sagt Carsten Peters, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen. „Die Buspreise werden nicht erhöht, gleichzeitig vereinheitlichen wir die Preise für das Parken in Münster. Das ist ein guter Start für den ÖPNV-Fonds, aus dem künftig der Ausbau des Nahverkehrs in Münster und günstige Ticketpreise finanziert werden sollen.“ Die Umwelthilfe ist im Übrigen der Auffassung, dass durch eine Erhöhung der Parkgebühren ein Großteil der notwendigen Kosten für ein ÖPNV-Ticket zu decken wäre, wichtigster Geldgeber bleibe jedoch der Bund. Nur so schaffen wir Derartiges nicht nur in Modellregionen, sondern auf nationaler Ebene, so wie Österreich.

Dort waren die Hürden jedoch auch andere: Die Bundesregierung der südlichen Nachbar:innen verpflichtet die einzelnen Länder, landesweite Tarif- und Verkehrsverbünde zu installieren, die über den kommunalen Betreibern angesiedelt sind. Zur Einführung des Klimatickets waren im Wesentlichen die sieben Verkehrsbetriebe der neun Bundesländer zu überzeugen. Wenn es in Österreich schon bei wenigen Interessenvertreter:innen kriselte, wie soll das vor dem Hintergrund einer deutlich komplexeren Struktur hierzulande funktionieren? Immerhin zählt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmer (VDV) 600 Mitglieder, allein in Bayern gibt es mehr Verkehrsbetriebe als in Österreich. Die Fahrgastvereinigung Pro Bahn monierte bereits im Oktober: „In Deutschland kommen wir aufgrund der vielen Partikularinteressen nicht weiter“, so Karl-Peter Naumann, Sprecher der Fahrgastvereinigung. „Es fehlt definitiv am Willen“, zumal es bereits vor Jahrzehnten erschwingliche Angebote gegeben habe.

„Wir sind zuversichtlich, dass das 365-Euro Klimaticket noch in dieser Legislaturperiode eingeführt wird.“

Sprecher der Deutschen Umwelthilfe

In manchen Spezialfällen können allerdings auch die Österreicher:innen weiterhin kein Klimaticket nutzen: Für regelmäßige Bahnfahrten ins Ausland gibt es keine Anschlussgarantie, ebensowenig gibt es bei verspäteten Zügen eine Haftung, wenn ein Flug verpasst wird, anders als bei Rail&Fly-Angeboten. Und auch steuerliche Probleme könnten auftreten, wenn sich österreichische Arbeitnehmer:innen das Klimaticket von der Arbeitsstelle (teil-)finanzieren lassen. Doch die Richtung stimmt.

Auf die spannendste Frage konnte das Klimaschutzministerium allerdings noch keine Antwort geben: Wie viele der 140.000 Klimaticket-Besitzer:innen tatsächlich vom Auto auf Bus und Bahn umgestiegen sind, also vorher noch kein ÖPNV-Abo besessen haben. Diese und andere Fragen, die dazu dienen sollen, das Angebot zu verbessern, möchte es durch jährliche Kund:innenbefragungen erarbeiten. In jedem Fall hat Österreich gezeigt, dass man problemlos innerhalb weniger Monate viele Menschen vom Zugfahren überzeugen kann, genau wie es der Bahn mit einer Rabattaktion nicht nur gelungen ist, 10.000 Neukund:innen anzuziehen, sondern auch ihren eigenen Kundenservice lahmzulegen. Auch in Deutschland sind attraktive Bahnangebote also durchaus erfolgreich und das Potenzial noch groß: Die Deutsche Umwelthilfe ist „zuversichtlich, dass das 365-Euro Klimaticket noch in dieser Legislaturperiode eingeführt wird“.

Want to know more?

Maria Vassilakou

Maria Vassilakou

Die Grünen-Politikerin war von 2010 bis 2019 Vizebürgermeisterin der Stadt Wien. Unter anderem trug sie zur Einführung des dort bereits seit 2012 angebotenen 365-Euro-Tickets sowie zum Ausbau des Radwegenetzes und der Radsicherheit bei.

Leonore Gewessler

Leonore Gewessler

Sie ist österreichische Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Mit ihrem Vorstoß hat sie sich nicht nur Freund:innen gemacht, mittlerweile ist das Klimaticket jedoch ihr größter Erfolg.