Shared Mobility sei das Modell der Zukunft, heißt es oft. Aber zukunftsfähig kann ein Konzept des Teilens nur sein, wenn es auch gerecht ist. Das ist bislang jedoch nicht der Fall. Shared Mobility hat einen Gender Bias: Umfragen zufolge sind 60 bis 80 Prozent der Nutzer:innen von Sharing-Angeboten wie Carsharing, E-Scootern und E-Mopeds männlich. Bei E-Scootern liegt die Quote bei 70 zu 30. Das hat viele Gründe: Zum einen gibt es noch immer strukturelle Probleme und keine Gendergerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Zum anderen ist das Angebot oft nicht auf die Bedürfnisse von Frauen angepasst. Und auch die Algorithmen verfestigen dieses Problem.

Denn: Wer seine Algorithmen nur mit Daten von Männern füttert, weil die wenigen Samples von Frauen als Ausreißer behandelt und rausgeschmissen werden, optimiert sein Angebot immer wieder nur auf genau deren Bedürfnisse. Das Problem ist nicht neu, sondern ein Teil der Gender Data Gap. Die klafft auch in der Mobilität, weil die Sharing-Dienstleister Nutzungsdaten nicht aufgeschlüsselt nach Gender erheben. Wie Sharing-Dienste diese Probleme angehen können und wer mit gutem Beispiel vorangeht, erklärt die Mobilitätsexpertin Ines Kawgan-Kagan.

„Anbieter kennen ihre Kundinnen und deren Bedürfnisse nicht.“

Ines Kawgan-Kagan

„Anbieter kennen ihre Kundinnen und deren Bedürfnisse nicht“, sagt Kawgan-Kagan. Ein erster Schritt wäre es, all diese Daten zu erheben, um die Muster der Kundinnen zu analysieren. Aber da scheitere es schon. „Wenn man 80 Prozent Männer hat, die etwas nutzen, was eigentlich eine Verkehrswende herbeiführen sollte, dann stellt sich die Frage, wieso es kein berechtigtes Interesse ist, die Daten von Frauen zu erheben“, sagt Kawgan-Kagan. „Macht es doch bitte mal, guckt euch das mal an! Seid euch dessen bewusst!“ Mit ihrem Start-up Accessible Equitable Mobility Institute berät Ines Kawgan-Kagan Kommunen und Mobilitätsdienstleister für eine gerechte Mobilität. „Frauen sind keine Opfer oder vulnerable User Group, sondern die Hälfte der Bevölkerung.“ 

Dr. Ines Kawgan-Kagan berät zu gerechter Mobilität

Und die bewegt sich anders fort als Männer, das belegen zahlreiche Studien. Frauen nutzen Verkehrsmittel eher zweckgebunden und sind multimodal unterwegs. Laut dem Gender and Mobility Report von Rambøll legen Frauen im Vergleich zu Männern kürzere Wege zurück, fahren zudem weniger Auto, gehen häufiger zu Fuß und nutzen eher den ÖPNV. Wenn Frauen Auto fahren, dann haben sie öfter Gepäck, Kinder oder andere Beifahrer:innen dabei als Männer. Und unabhängig vom Verkehrsmittel haben Frauen ein ganz anderes Wegemuster: Während Männer sich eher direkt von A nach B, beispielsweise zur Arbeit und zurück, bewegen, verbinden Frauen mehrere Wege mit jeweils kurzen Zwischenstopps miteinander.

Und hier wird ein zweites Problem deutlich: der Preis. Es ist schlichtweg zu teuer, ein Carsharing-Auto zwischenzuparken, wenn man zum Beispiel seine Kinder in der Kita abliefert. Besonders stark werden die Unterschiede zwischen den Mobilitätsmustern von Mann und Frau nämlich, wenn Kinder in den Haushalt kommen. Frauen gehen statistisch häufiger in Teilzeit als Männer und übernehmen mehr Sorgearbeit. Attraktivere Preismodelle würden Frauen, insbesondere Mütter, wahrscheinlich auch stärker ansprechen. Aber selbst dann würde immer noch bei den meisten Carsharing-Angeboten ein wichtiges Feature fehlen: ein Kindersitz, auch für Kleinkinder.

„Frauen sind die Hälfte vom Markt. Das ist auch kommerziell wichtig.“

Nastya Koro, User Researcherin bei Tier

In vielen praktischen Eigenschaften ist Carsharing bislang einfach unattraktiv für Frauen. Denn die mögen in Mobilitätsfragen pragmatische Lösungen, während Männer die neue Mobilität auch als spannende Spielerei betrachten und Innovationen mögen. Das ist kein Stereotyp, sondern auch durch zahlreiche Studien belegt. „Männer sind die Early Adopter, die von Carsharing angesprochen werden“, so Kawgan-Kagan. Anbieter appellieren an die technische Neugier, die Jungs oft anerzogen wird. Und Männer nutzen Carsharing auch, um mal ein neues Fahrzeugmodell zu testen.

„Frauen sind häufiger mit Autos und neuen Modellen überfordert und wollen sich oft gar nicht immer wieder mit einem neuen Modell auseinandersetzen“, sagt Kawgan-Kagan. „Schon gar nicht im laufenden Straßenverkehr.“ Oft sei Usability Mangelware – und Frauen seien dann genervt und frustriert. Kawgan-Kagan erzählt eine persönliche Anekdote: In einem geliehenen Transporter habe sie mal gut zehn Minuten nach dem Rückwärtsgang gesucht. „Die Ambition, das selbst rauszufinden, wird Jungs beigebracht – und Mädchen nicht.“ 

Bei Tier Mobility versuchen sie schon, das besser zu machen. Leiht man sich bei dem Berliner Shared-Mobility-Anbieter ein Gefährt aus, wird in der App übersichtlich, nutzungsfreundlich und anhand von Bildmaterial erklärt, wie man das Fahrzeug bedient. Im vergangenen Herbst hat die Initiative Women of Tier zum ersten Mal in Berlin ein Moped-Training explizit für Frauen angeboten.

Die Organisatorinnen waren überwältigt von der Resonanz. „Es kamen viel mehr Frauen, als sich angemeldet hatten. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass so viele auftauchen“, sagt Nastya Koro, User-Researcherin bei Tier. In einem Safe Space konnten die Nutzerinnen außerhalb des laufenden Verkehrs die Mopeds testen. Das Feedback sei besonders positiv ausgefallen, sodass die Women of Tier gern weitere Trainings anbieten würden.

Eines der Ziele bei Tier ist, dass sie Mobilität inklusiver gestalten und mehr Frauen als Kund:innen gewinnen. Tier fährt eine multimodale Strategie und hat zuletzt den Fahrradverleih Next Bike aufgekauft. Multimodalität passt zu den Transport-Bedürfnissen von Frauen. „Frauen sind die Hälfte vom Markt. Das ist auch kommerziell wichtig“, sagt Koro.

Mit einem Newsletter, Podcast und Webinaren wollen die Women of Tier intern wie extern für mehr Diversität in der Mobilitätsbranche sensibilisieren. Auch im Bereich Human Resources stoßen die Women of Tier Veränderungen an – denn nur 22 Prozent der Mitarbeiter:innen in der Mobilitätsbranche sind Frauen.

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Philipp Reth

Philipp Reth

Philipp Reth ist CEO vom E-Carsharing-Dienstleister WeShare. Dort gibt es den vergünstigten Tarif WeShare+, bei dem Zwischenstopps pro Minute nur noch 5 Cent statt 29 Cent kosten. Das ist vor allem für Frauen attraktiv, die während ihrer Fahrt häufiger Halt machen, sagt Ines Kawgan-Kagan.

Nastya Koro

Nastya Koro

Nastya Koro ist User Researcherin bei Tier Mobility. Ihr Fokus liegt auf multimodaler Mobilität und Gender-Unterschieden in der Mobilität. Gemeinsam mit Kolleginnen betreibt sie den Podcast „Women of Tier“, in dem es um Diversität in der Mobilitätsbranche geht.