Neulich war in Berlin die Innotrans, die weltweit wichtigste Messe für Verkehrstechnik. Hier präsentieren die Hersteller Trends, Updates und ihre neuesten Technologien. Ein Blick in die riesigen Hallen genügt, um zu sehen, wie sehr sich diese Messe an ein Fachpublikum richtet. Klar, die wenigsten Menschen interessieren sich für die Sensoren in unsichtbaren Türgriffen oder Webtechniken für super-resistenteste Sitzbezüge. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum die Publikumstage 2018 das letzte Mal stattfanden. 

Was ich extrem schade finde. Gerade Mobilitätsmessen sollten branchenferne Interessierte abholen. Die sind es schließlich, die von den hier präsentierten Neuerungen profitieren sollen – und die sie bezahlen werden. Darum an dieser Stelle mal mein Appell, die Türen der Innotrans und anderer ÖV-Messen wieder für die breite Masse zu öffnen. Diese Veranstaltungen müssen vom reinen Business-Event zu einer Austausch- und Begegnungsstätte werden; zu Happenings, die Lust auf den ÖPNV der Zukunft machen. Und ich habe da eine Idee.

Vereinzelt gab es auf der Innotrans Orte des Austauschs, wie ich sie mir wünsche. Im Ideenzug-Zelt der DB-Regio etwa. Dort war ich als Speaker Teil einer Paneldiskussion. Gemeinsam sprachen wir darüber, inwiefern eine user-centric ausgerichtete Herangehensweise auf dem Weg zu Digitalisierung und Verkehrswende hilft. Der Konsens war, nicht zum ersten Mal: Verkehrswende und technologischer Fortschritt muss die Bürger*innen einbeziehen. 

Obwohl sich darauf im Grunde immer alle einigen können, erzählte die Messe vor dem Zelt eine andere Geschichte. Hier sind es Menschen aus der Industrie, die die relevanten Diskussionen führen und Entscheidungen treffen. Natürlich ist dieser Expert*innen-Austausch wichtig; natürlich braucht es eine Plattform, die Herstellern eine Möglichkeit bietet, den reinen technologischen Fortschritt zu präsentieren. 

„Die Branche sollte sich bei jeder Gelegenheit tüchtig selber feiern“

Doch Mobilität wird meiner Meinung nach zu oft in zwei extremen Ausprägungen diskutiert: mit streng industriellem Hardware- und Technologiefokus oder mit Fokus auf Software, Start-ups und digitalen Wandel. Das Format, das beides zusammenbringt und in den Dienst der Bürger*innen stellt, fehlt. Darum wünsche ich mir für die nächste Mobility-Messe die ich besuche eine Panel-Diskussion mit Paul McCartney. Warum Paul McCartney? Weil der den ÖPNV genauso toll findet wie ich – aber sicher noch ein paar mehr Leute vor die Bühne lockt, als wenn ich das erzähle. 

Keine Frage: Fortschritt im Bereich der Antriebstechnologien wie Elektrobusse und Wasserstoffzüge sind essenziell für die Verkehrswende. Und modern gestaltete Züge machen öffentliche Mobilität für die Nutzer*innen definitiv attraktiver. Aber um Menschen davon zu überzeugen, das Auto stehen zu lassen, braucht es mehr als Effizienz und Design – nämlich eine Prise Glamour für den ÖPNV. 

Die Kommunikationsberaterin Bärbel Boy hat im FUTURE MOVES Podcast einmal vorgeschlagen, „Flagshipstores der Mobilitätswende“ zu eröffnen, da könne die Branche von der Autoindustrie was lernen. Ich gehe noch weiter: das Bus- oder Bahnfahren muss ein Erlebnis bieten, welches das Autofahren übertrifft. Und die Branche sollte sich dafür bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit tüchtig selber feiern. 

Autokonzerne präsentieren auf Messen seit Jahren Concept Cars, die als Büro-, Wohn- oder gar Schlafzimmer dienen sollen. Irgendwann, wenn Autos endlich autonom fahren und auch nur für diejenigen, die sich dann solche Fahrzeuge überhaupt leisten können. Die Bahn dagegen hat schon heute genug Platz für Familien, die längere Fahrten unternehmen, für voll ausgestattete Workspaces, das Potenzial für eine barrierefreie Mobilität für alle. Die Branche muss selbst Züge nicht mehr nur als Transportmittel verstehen. Sie sollte den Wert der dort verbrachten Zeit herausstellen und darauf zielen, dass Menschen ihre Zeit im der Bahn verbringen wollen, weil sie diese hier qualitativer und sinnvoller nutzen können als im Auto.

Messen wären die ideale Gelegenheit, das zu zeigen. Mehr noch: Sie müssen Sehnsuchtsorte werden, an denen sich eine Mobilität der Zukunft, die nachhaltig ist und allen offen steht, erleben lässt. Nach regem Austausch und viel Input nicht nur im Rahmen der Messe weiß ich, dass ich mit dieser Idee nicht allein bin – ahne aber auch, dass Paul McCartney recht hat: Auch der Weg dorthin ist eine long and winding road.

Alan Atzberger

Mobility und erneuerbare Energien – für diese Themen schlägt Alan Atzbergers Herz. Seine über zehnjährige Erfahrung in den Bereichen sammelte er bei Start-ups sowie börsennotierten Unternehmen (u. a. Tesla, Sonnen, Unu, Reach Now) in Vertriebs-, Business Development und Go-to-Market-Positionen. Aktuell berät Alan bei TLGG Unternehmen als Practice Lead Mobility & Energy von der Marketingstrategie bis hin zum Venture Building. Auf seinem Blog All About Mobility teilt er regelmäßig die neusten Trends und Updates aus der Szene.