Mit überlangen Schnellbussen zur Verkehrswende?
In Metropolen Südamerikas und Asiens sowie in Istanbul gehört "Bus Rapid Transit" zum Stadtbild. Die Schnellbusse bilden oft das Rückgrat einer Stadt und sind wichtig Wirtschaft und Menschen. Brauchen wir das in Europa?
Bus Rapid Transit (BRT) ist ein Konzept, das wir hierzulande nicht kennen. Lediglich einzelne Bestandteile davon werden sporadisch umgesetzt: Die Schnellbuslinie muss nicht nur eine eigene Fahrspur bekommen, sondern muss baulich vom Individualverkehr getrennt sein, es muss Bussteige geben, die einen barrierefreien Zugang erlauben und die Fahrkarte außerhalb gekauft werden, um Schlangen beim Einsteigen zu vermeiden. Eine bevorzugte Behandlung an Kreuzungen gehört ebenso dazu. Ist all das erfüllt, kann ein Verkehrsbetrieb sogar eine BRT-Zertifizierung bekommen. Vereinzelt gibt es solche zertifizierte Schnellbuskonzepte bereits in Europa: Istanbul verfügt über BRT-Korridore sowie die Île-de-France, also die Metropolregion Paris.
Dort erinnert der Bus mehr an Schienen- als Straßenfahrzeuge. Kein Wunder: Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sagt, dass Bus Rapid Transit die Planungsprämisse „Think rail, use bus – and create an image“ verfolge. Tim Dahlmann-Resing, Vorsitzender des Allgemeinen Ausschusses für Planung im VDV, attestiert Expressbussen, „große Chancen für eine schnelle Attraktivierung des ÖPNV, damit über Verlagerungseffekte möglichst bald Luftreinhaltung und Klimaschutz verbessert werden“. Warum also klappt es bislang in Deutschland nicht so richtig mit dem Schnellbus, und können ihm neue Technologien vielleicht doch noch zum Durchbruch verhelfen?
„Bus Rapid Transit stößt damit in die Lücke zwischen dem gewöhnlichen Bus und der attraktiven Straßenbahn.“
Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen
In deutschen Großstädten teilt sich der (Express-)Bus oft die Straße mit dem Individualverkehr. Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben Großstädter*innen deshalb schon mal in einem Bus gesessen und standen im selben Stau wie Pendler*innen in ihren Autos. Gelegentliche Buspassagiere turnt das ab. Dass ein Bus weniger Platz verbraucht als führe dieselbe Anzahl der Menschen mit dem Auto – das interessiert die wenigsten. Der VDV betont, dass „insbesondere dort, wo die Leistungsfähigkeit einer Straßenbahn noch nicht erforderlich ist“ BRT eine interessante Option böte. „Bus Rapid Transit stößt damit in die Lücke zwischen dem gewöhnlichen Bus, der an Verkehr und Stau gebunden ist, und der attraktiven Straßenbahn.“
In der FUTURE MOVES-Heimat Hamburg wurde sogar schon mit überlangen BRT-Bussen experimentiert. Zwei Modelle des belgischen Herstellers Van Hool standen Medienberichten zufolge lange ungenutzt auf einem Betriebshof der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH). Die wurden jedoch mittlerweile zurückgegeben und der Liefervertrag „im gegenseitigen Einvernehmen“ aufgelöst, wie eine Sprecherin gegenüber FUTURE MOVES mitteilt. Doch das heißt nicht, dass man nicht weiter an BRT interessiert sei: „Anzustreben ist aus Sicht der VHH allerdings BHNS (Bus à haut niveau de service) als Gesamtsystem, damit im Hinblick auf die Mobilitätswende gleich der gesamte Straßenraum angepasst wird.“ Das entspräche dann in etwa der eingangs geschilderten Optimalbedingungen für zertifizierten BRT.
Die Umverteilung öffentlichen Raumes ist jedoch bekanntermaßen kompliziert. Zum einen, weil sie entgegen dem Willen vieler Autofahrer*innen, die nun mal den bislang größten Teil des Verkehrs ausmachen, durchgesetzt werden muss. Zum anderen, weil auch Verbände um mehr öffentlichen Raum buhlen, die zurecht die Interessen Zufußgehender und Radfahrender vertreten. Man stelle sich eine sechsspurige Straße vor, so wie sie heute deutsche Großstädte zerschneidet. Um es allen möglichst recht zu machen, bekäme der Autoverkehr höchstens eine Spur pro Richtung zugewiesen, was viele Kommunen zunächst vor Herausforderungen wie einen potenziellen Verkehrskollaps durch Staus stellen würde. Lieferverkehr hätte keinen Platz. Und viel größer als heute zugelassene Gelenkbusse dürften High-Capacity-Busse wahrscheinlich nicht sein, sonst könnten Fahrer*innen Probleme bekommen, denn europäische Städte sind eng und kurvenreich. Bei Daimler Buses sieht man hier jedoch kein Problem: „BRT-Linien laufen auf eigene Fahrspuren, daher sind in der Regel Wendekreise kein Nachteil. Vielmehr, wenn man BRT korrekterweise mit Schienensystemen vergleicht, haben Busse günstigere Wendekreise“, so ein Sprecher.
„Unsere Busfahrer*innen sind auch in Zukunft nicht zu ersetzen.“
Sprecherin der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein
Doch auch ohne den Bau von BRT-Linien gibt es mehrere praktische Ideen, wie High-Capacity-Busse die Stadt bereichern können: Im ersten Schritt brauchen wir eine clevere Ampelschaltung, wie sie beispielsweise bereits in Finnland oder den Niederlanden zum Einsatz kommt. Dort wird die Ampel nicht plump nach der Zeit geschaltet, sondern nach dem Typ des anrollenden oder -laufenden Verkehrsmittels (und damit nach dessen Auswirkungen). Alle Ampeln sind rot und werden erst dann grün, wenn Verkehr naht – nach Priorität sortiert: Erst fährt der Bus, dann dürfen Radler*innen und Fußgänger*innen kreuzen und zuletzt wird die Ampel für den Autoverkehr grün. Das führt in der Praxis dazu, dass kaum jemand unsinnig an der Ampel wartet. Der Hamburger Verkehrssenator Anjes Tjarks hat ein Ende der „Bettelampel“ für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen bereits angekündigt.
Richten wir den Blick ein paar Jahre in die Zukunft: Dann könnten Ideen wie das „Lenksystem für Straßenbahn auf Gummirädern“ kommen. So bezeichnete der Verkehrstechnikbetrieb Hübner seine Idee eines Multiachsenlenksystems auf der diesjährigen Innotrans-Messe in Berlin. Es steuert digital und automatisch alle sechs Achsen so, dass ein überlanger High-Capacity-Bus nur einen minimalen Platzbedarf zum Wenden oder Manövrieren benötigt. Da alle Achsen digital gesteuert lenken, könnte ein Bus mit zwei Cockpits sogar wie ein Zug in beide Richtungen fahren oder sogar später für das autonome Fahren nachgerüstet werden. Ein Sprecher betont, dass Daimler in Amsterdam bereits 2016 Testfahrten mit autonom gesteuerten Bussen durchgeführt hat und sich die Technik hervorragend für BRT eigne.
Und auch die Verkehrsbetriebe sind grundsätzlich daran interessiert. So beschäftigt sich der VHH bereits mit autonomen Fahren und unterstützt beim Aufbau eines Testzentrums für automatisiert fahrende Shuttlebusse. Aber: „Unsere Busfahrer*innen sind auch in Zukunft nicht zu ersetzen. Schließlich übernehmen sie neben dem reinen Fahrdienst diverse Aufgaben und sind auch wichtige Ansprechpersonen für unsere Fahrgäste.“
Bis autonome Busse – ob mit oder ohne Personal an Bord – durch die Städte rollen, wird es noch einige Jahre dauern. Mit Blick auf die Klimakrise besteht die dringlichere Frage ohnehin darin, wie sich die Kapazität des ÖPNV schnell und massiv erhöhen lässt. Eine Ausrichtung des Busverkehrs nach BRT-Prinzipien und neue technologische Ansätze wie der von Hübner können hier helfen, ohne gleich die ganze Stadt umbauen zu müssen.
Im folgenden Tiktok-Video kannst du dir einen Eindruck von der priorisierenden Ampelschaltung in den Niederlanden machen:
@notjustbikes Dutch traffic lights are smarter! #netherlandstiktok #urbanplanning #pedestriansafety #cyclingtiktok #notjustbikes #publictransportation #adayinthelifeof #learnsomethingneweveryday ♬ original sound – Not Just Bikes
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Helge Förster
Der Geschäftsführer leitet die Geschicke von Hübner bereits seit fast 13 Jahren. Helge Försters Position zu High-Capacity-Bussen erklärte er im Rahmen der Innotrans: „Um CO2-Emissionen zu reduzieren und die Mobilität nachhaltiger zu gestalten, brauchen wir neue Mobilitätslösungen. Eine Möglichkeit, bei der wir viel Potenzial sehen, sind High-Capacity-Busse.“
Anjes Tjarks
Der Hamburger Senator für Verkehr und Mobilitätswende wird sogar vom Fahrrad-Club ADFC gelobt. Der sagt, dass Anjes Tjarks als Hamburger Senator für Verkehr und Mobilitätswende verstanden habe, dass der Radverkehr Schutz vorm Autoverkehr und viel mehr Platz braucht. Er schafft regelmäßig Pop-up-Radstreifen, um deren Potenzial zu erforschen.