Kostenlose E-Autos für netzschonende Mitarbeitende
Firmen, die Ladeinfrastruktur errichten, stehen vor Herausforderungen: Die Netze sind am Limit, Fachkräfte zur Installation fehlen auch. So will ChargeX-CEO und Mitgründer Tobias Wagner den Wechsel aufs Elektroauto retten
Ohne Genehmigung vom Netzbetreiber und ohne Fachkräfte keine Installation der Ladestation. Damit auch keine Erweiterung bestehender Ladenetze auf Firmenhöfen, was unweigerlich zur längeren Nutzung oder Bestellung weiterer Autos mit Verbrennungsmotor führt. Die Antriebswende, also der Wechsel aufs Elektroauto, scheint vielerorts in Gefahr zu sein.
Tobias Wagner weiß, der Schlüssel, um viele Fahrzeuge mit Strom zu versorgen, ist das Lastmanagement. Der Mitgründer von ChargeX und Geschäftsführer des Unternehmens weiß, wie man zehn Autos einem einzigen Anschluss versorgt. Wagner bedient sich im für viele undurchdringlichen E-Mobility-Dschungel einfacher Begriffe: Mit einer „Abwrackprämie“ für Wallboxen will er auch Firmen mit bereits installierten Boxen deshalb davon überzeugen, auf seine „Mehrfachsteckdose“ umzusteigen. Doch kann das funktionieren?
„In Zukunft macht AC-Laden 99 Prozent der Ladevorgänge aus“
Tobias Wagner, Mitgründer und CEO ChargeX
Die einen sagen: Auf jedem Supermarktparkplatz muss eine Schnellladestation stehen. Die anderen sagen: High-Power-Charging ist schlecht für Akku und Netz. Im Alltag reiche ohnehin das Laden zu Hause, im Büro oder am Straßenrand. Wagner, der schon mehrere Unternehmen gegründet hat und unter anderem bereits eine Wohnmobil-Vermietung und ein Camper-Abo anbietet, gehört eher zur letzten Fraktion. „Heute macht AC-Laden 90 Prozent der Ladevorgänge aus, ich glaube aber in Zukunft sind es 99 Prozent“, sagt Wagner. Mit Blick auf etablierte Betreiber von Schnellladeinfrastruktur glaubt er: „Am Ende habe ich einen HPC-Ladepark, der das ganze Jahr überdimensioniert ist, aber in der Urlaubszeit, wenn alle kommen, immer noch zu klein ist. In der Rolle möchte ich niemals sein – das kannst du nur falsch machen.“ Außerdem führt Wagner an: „Wenn es in Zukunft ein Tempolimit gibt, wird selbst der Porsche-Taycan-Fahrer überrascht sein, dass er plötzlich ohne Nachladen an sein Ziel kommt.“
Also konzentriert sich der ChargeX-Gründer mit seinem Unternehmen auf Infrastruktur für Betriebe, „weil jetzt, aber auch in Zukunft die meisten Ladevorgänge genau dort stattfinden werden.“ Und da steht es ja üblicherweise eine ganze Weile: Wer um 8 Uhr zum Dienst antritt, fährt in der Regel um 17 Uhr wieder weg. Es vergehen neun Stunden, in dem ein Elektroauto an einer Wallbox stündlich 11 Kilowattstunden nachladen kann – macht summa summarum 99 kWh pro Tag. Die Realität bildet das jedoch nicht ab: 99 Prozent der Deutschen haben einer Statistik zufolge einen Pendelweg von unter 100 Kilometern, den sie, abhängig vom gewählten Auto mit 15 bis 25 Kilowattstunden absolvieren könnten. Im ungünstigsten Fall laden diese Hardcore-Pendler den Energiebedarf ihrer Autos vier- bis sechsmal pro Tag wieder nach. Die Auslastung der Wallbox ist also selbst bei den längsten Pendelfahrten miserabel.
Dazu kommen dann noch Netzengpässe. Weil das Bundesministerium für Digitales und Verkehr eine Million Ladepunkte bis 2030 vorsieht (heute: ca. 70.000), ist das Ziel nur in enger Abstimmung mit den Netzbetreibern möglich. Wer 30 Ladepunkte errichten will, guckt da schon mal in die Röhre: „Bei Engpässen bekommt man gar keine Genehmigungen, diese Ladepunkte aufzubauen und ist dann auch noch mit teuren Investitionen konfrontiert, wenn der Netzanschluss erhöht werden muss“, sagt Wagner. Interessierte Unternehmen, die ihren CO2-Ausstoß reduzieren müssen, sind dann erstmal gezwungen, weitere Verbrenner zu bestellen oder bestehende länger zu betreiben.
Eine Lösung, so Wagner, sei die intelligente Mehrfachsteckdose, die ChargeX Aqueduct nennt. „Wir haben einen Netzanschluss, der für einen Ladepunkt ausreicht. Damit bauen wir den ersten Ladepunkt auf. Das macht der Elektriker, aber ab dann hat man eine Art Mini-Stromnetz aufgebaut. Der erste Ladepunkt ist die Übergabestelle, per Plug-and-play und mit Verbindungskabeln können wir weitere Ladepunkte aufbauen.“ Bis zu zehn Ladepunkte sind pro 11-Kilowatt-Anschluss möglich, die Installation so leicht, dass es die Kontrolle durch Elektriker*innen bald digital ablaufen könnte. „Der Rekord einer Nachrüstung liegt bei 15 Sekunden.“
Wer wie viel Strom bekommt, das regelt ChargeX mit einer digitalen Währung innerhalb der App „Drop Power Sharing“, die das Lastmanagement steuert. Und das funktioniert so: Wer morgens im Büro ankommt und erst um 17 Uhr wieder fährt, hat viel Zeit zu laden und verhält sich dementsprechend netzschonend. In geben Fahrer*innen an, dass sie viel Zeit mitgebracht haben, für den Strom fallen dann nur wenige Power Drops an. Wer schon in zwei Stunden zum Termin fahren muss, aber mit zu leerem Akku ankam, kann per App den Turbo einlegen, wird dafür aber mehr Drops los.
„Der Betreiber oder auch der Firmeninhaber kann jedem Nutzer gewisse Budgets zuweisen. Das heißt, er kann einstellen, dass Mitarbeiter im Innendienst in Abhängkeit der Pendeldistanz laden, Dienstwagenfahrer brauchen vielleicht eine höhere Reichweite und der Geschäftsführer kriegt zufälligerweise am meisten“, sagt Wagner. „Wenn die Mindestreichweite geladen ist, laden wir wenn möglich natürlich weiter, weil wir natürlich froh sind, wenn wir Strom in die Batterien rein bekommen, weil du dann morgen weniger Bedarf hast.“
Das wird insbesondere dann spannend, wenn ein Auto mit bidirektionalem Laden im Fuhrpark steht, das den Strom am nächsten Tag wieder abgeben und so das kleine Firmenladenetz entlasten kann. Hat die Firma für Außendienstler auch zu Hause eine Station aufgebaut? Dann können die ihre Akkus entspannt über Nacht in der eigenen Garage vollladen und Strom mitbringen und anderen Kolleg*innen spenden. Das elegante an dieser Vehicle-to-vehicle-Systematik: Weil die ladenden Autos, die Wallboxen im Büro und die zu Hause innerhalb eines geschlossenen Systems sind, gibt es weder regulatorische noch abrechnungstechnische Probleme. „Alles gehört der Firma“, sagt Wagner. Und das lässt Raum für neue Incentivierungen.
„Ab einer gewissen Dropsanzahl, die du pro Monat erreichen musst, ist das Auto dann umsonst.“
Tobias Wagner, Mitgründer und CEO ChargeX
„Ab einer gewissen Dropsanzahl, die du pro Monat erreichen musst, ist das Auto dann umsonst. Das ist das plumpste, das uns eingefallen ist, um die Leute zu motivieren.“ Dynamische und von der Leistung abhängige Preise wie beim öffentlichen Laden sieht Wagner nicht: „In Zukunft bezahlst du nicht für schnelleres Laden pro Kilowattstunde, wie es heute beim öffentlichen Laden der Fall ist. Das wäre ja das totale Chaos.“ Stattdessen sollen es dann die Power Drops richten. Zusätzliche Badges für Frühanfänger oder Spätbleiber erhöhen den Dropkontostand ebenso, die Punkte lassen sich wiederum an andere Vielfahrer*innen weiterverkaufen. „Das ist unsere Vision von einem Gridcoin der Zukunft, den wir aber hier schon einsetzen.“ Angst vor einem leeren Akku muss dabei niemand haben: Die Nutzer*innen bleiben immer unter Kontrolle, verspricht Wagner.
Die Positionierung von ChargeX im Markt ist dabei einzigartig: „Wir konkurrieren mit den klassischen Hersteller von Ladeboxen. Dann gibt es das Thema Abrechnungssoftware und Lastmanagement. Das sind häufig Softwarefirmen, die über ein Standardprotokoll mit diesen Ladestationen sprechen.“ Wagner moniert die „komplett zerklüftete Wertschöpfungskette“, an der natürlich jeder Beteiligte verdienen möchte.“ Der Kunde schaut am Schluss dann in die Röhre, weil er viel zahlen muss.“ Außerdem sieht sich Wagner in Konkurrenz zu den Installationsfirmen. Weil die, so sieht es Wagner, dann mehr Zeit haben, anderswo Ladepunkte aufzubauen, entschärfe er mit seiner Mehrfachsteckdose den allgegenwärtigen Fachkräftemangel. Knapp 4.000 Ladepunkte hat ChargeX so schon installiert – und ruft Firmen mittels einer Abwrackprämie zum Umrüsten auf. „Eine einzelne Wallbox, die 11 kW abgeben kann, aber einen 11-kW-Anschluss braucht, hat bei der Firma nichts verloren. Im Einfamilienhaus, wo nur ein Auto geladen werden, da gehört sie hin.“
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Tobias Wagner
E-Mobilität zieht sich durch die Vita des Münchners. Nachdem er Werksstudent bei Tesla war, hat Tobias Wagner nach Stop bei The Mobility House ChargeX gegründet – im Kern stellt er Mehrfachsteckdosen für E-Auto-Wallboxen bereit. Neben Zero Campers und Unparkd gibt es zudem noch ein E-Auto-Brettspiel von Wagner.
Sebastian Ewert
Als Mitbestreiter der Formula Student im Team Ecurie Aix der RWTH hat sich Sebastian Ewert schon immer mit E-Mobilität befasst. Fast acht Jahre lang leitete er Projekte bei Mahle, eher er Mahle ChargeBig gründete. Ewert verfolgt als CEO ein ähnliches Ziel wie ChargeX: „ein Stecker an wirklich jedem Parkplatz“, schreibt er auf Linkedin.