Wie die Luftfahrt mit Greenwashing Zeit schindet
Weil grüne(re) Technologien noch auf sich warten lassen, verfallen Airlines und Flugzeugbauer in verzweifeltes Greenwashing. Drei besonders skurrile Beispiele
Viele Menschen dürften mitbekommen haben, dass der sogenannte globale Süden vom Klimawandel am härtesten getroffen wird. Das kaum zu schaffende 1,5-Grad-Ziel wurde deutlich zu spät in europäische Legislatur und einen „Green Deal“ übersetzt. Das Paket „Fit for 55“ beschreibt das Ziel, bis 2030 exakt 55 Prozent der Emissionen einzusparen und 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Wohlgemerkt, Jahrzehnte nachdem der Klimawandel auch im nördlichen Europa mehr als spürbar geworden ist.
Noch im April wetterten die Lufthansa und die Flughäfen von München und Frankfurt gegen „Fit for 55“, da es außerhalb der EU angesiedelten Airlines einen Vorteil verschaffe und Emissionen nur verlagere. Die Fluggesellschaften übertrumpfen sich derweil mit Bekanntmachungen, welches neue Muster in der Flotte weniger verbraucht als ein anderes. Der Airline-Verbund Star Alliance, der von der Lufthansa mitgegründet wurde, nahm die Deutsche Bahn stolz als ersten Nicht-Airline-Partner auf und verweist auf Klimavorteile. Alles gut und richtig, doch vielversprechende Errungenschaften wie E- oder Wasserstoffantrieb und Sustainable Aviation Fuel lassen noch auf sich warten. Drei Firmen tun sich mit besonders skurrilen Grünversprechen hervor.
Da wäre zum einen Akasa Air. Die Anfang August an den Start gegangene indische Billigairline wurde von Rakesh Jhunjhunwala mitfinanziert, der 40 Prozent der Anteile hielt. Der vor rund einer Woche gestorbene „indische Warren Buffet“, wie ihn manche Medien betitelten, unterstützte den Gründer und CEO von Akasa, Vinay Dube, finanziell dabei, die Inder:innen ins Flugzeug zu bringen. Da bislang nur rund 40 Millionen der 1,3 Milliarden Inder:innen überhaupt geflogen sind, ist es bemerkenswert, wenn eine neue indische Billigairline eigenen Angaben zufolge alles daran setzen will, Abermillionen Menschen erstmals in die Luft zu bringen und gleichzeitig einen möglichst klimafreundlichen Auftritt hinzulegen.
Dubes erklärtes Ziel: die ökologisch fortschrittlichste Fluggesellschaft der Welt zu gründen. Eine enge Bestuhlung mit möglichst vielen Sitzplätzen hilft der Klimabilanz da ein wenig. Dass die Uniform-Hosen und -Jacken aus recyceltem Polyestergewebe hergestellt wurden, das aus Plastik von Pet-Flaschen aus Meeresmüll gewonnen wurde, ist selbst durch wohlwollende Augen nichts mehr als dreiste PR.
Derer muss sich auch Boom Supersonic beschuldigen lassen. Das Überschallflugzeug Overture soll die goldenen Zeiten der Concorde wiederbeleben und Flüge von London nach New York in dreieinhalb Stunden ermöglichen. American und United Airlines sollen Kaufabsichten angemeldet haben, Konkurrentin Delta hält sich aufgrund vieler offener Fragen noch zurück. Unterdessen ist das medienwirksam inszenierte Flugzeug noch nicht zu Ende designt, nicht mal Prototypen gibt es. Von zwei- zu drei- und vierstrahligen Antrieben ist alles drin, Triebwerksbauer Rolls-Royce hat offenbar kein echtes Interesse daran, Überschallantriebe zu bauen.
„Wir sind der erste Hersteller von Verkehrsflugzeugen, der vom ersten Tag an auf Nachhaltigkeit setzt“
Boom Supersonic
Und dann ist da noch das Problem mit dem Verbrauch: Bis zu neunmal mehr Kerosin verbraucht eine Overture im Vergleich zu einem konventionellen Langstreckenflugzeug – bei deutlich weniger Sitzplätzen. Overture-Flugtickets müssten astronomisch teuer sein – zumal die Tauglichkeit für eine hundertprozentige Nutzung von Sustainable Aviation Fuel nicht gratis entwickelt wird und der Sprit selbst ebenfalls nicht. Er ist im industriellen Maßstab wohl erst im übernächsten Jahrzehnt verfügbar. An der Wirtschaftlichkeit darf man da schon mal zweifeln, auch wenn er prinzipiell genau so möglich ist, wie CO2-neutrales Fliegen mit Überschallgeschwindigkeit. Boom Supersonic-Gründer Blake Scholl inszeniert die Overture heute schon als grünes Überschallflugzeug: „Wir sind der erste Hersteller von Verkehrsflugzeugen, der vom ersten Tag an auf Nachhaltigkeit setzt. Unser Ansatz reicht von der Art und Weise, wie wir unsere Flugzeuge entwerfen und testen, bis hin zur Art und Weise, wie wir unsere Produktionsstätte und das Flugzeugrecycling betreiben“, steht auf der Webseite des Unternehmens.
„Die (…) dramatischen Veränderungen bei den Fischbeständen sind zweifellos auf den Klimawandel zurückzuführen“
Die Regierung der Färöer
Die goldene Himbeere der grünen Luftfahrt hat jedoch Farcargo gebührend verdient. Das neu gegründete Frachtunternehmen schickt in der Nähe der Färöer gefangenen Lachs per Luftexpress nach Europa und Nordamerika. So soll er möglichst frisch sein, wenn er auf Tellern in New York landet. In einem Newsletter schreibt der Vorstandsvorsitzende Birgir Nielsen: „Dies ist auch ein alter Traum, der nun in Erfüllung gegangen ist“. Für das Klima dürfte das eher ein Alptraum sein.
Die Regierung der Färöer zeigt sich, nicht in Bezug auf Farcargo, sehr besorgt über die Auswirkungen der Klimakatastrophe und schreibt auf ihrer Webseite: „Der Klimawandel kann Auswirkungen auf die Grundlagen der färöischen Gesellschaft haben. Veränderungen der Meerestemperatur können sich auf die marinen Ökosysteme und Meeresströmungen und damit auch auf die Meeresressourcen auswirken. Die in jüngster Zeit beobachteten dramatischen Veränderungen bei den Fischbeständen sind zweifellos auf den Klimawandel zurückzuführen.“ Der Fischexporteur Bakkafrost, der Farcargo eigens gegründet hat, versucht zu beschwichtigen: „Die neue Art des Transports zu den Flugplätzen in Europa wird dafür sorgen, dass unsere Produkte länger frisch sind, wenn sie auf den Markt kommen, und wir werden eine Menge CO2-Emissionen sparen“.
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Blake Scholl
Bereits 2014 gründete Blake Scholl Boom Supersonic. Einen Hintergrund in der Luftfahrt hat der CEO nicht. Früher war er unter anderem bei Groupon und Amazon tätig.
Rakesh Jhunjhunwala
Der Mitgründer und Financier von Akasa Air war zu 40 Prozent an der Airline beteiligt. Rakesh Jhunjhunwala verfügte über ein geschätztes Vermögen von 3,8 Milliarden Dollar.