Hat Mercedes das Autodesign der Zukunft erfunden?
Das Concept Car Vision EQXX wirkt spektakulär: Doch Autoexpert:innen bei Twitter halten das Design für abgekupfert. Zu Recht?
Kaum ist Mercedes‘ ultraeffizientes Concept Car Vision EQXX im Rahmen der CES präsentiert worden, geht’s auf Twitter heiß her: Es werden Vergleiche zwischen dem Elektroauto und Fahrzeugen anderer Hersteller und Erfinder gezogen. Das Ganze erinnert an den Spott, den Apple nach der Präsentation seiner AirPods über sich ergehen lassen musste.
Und tatsächlich: Schnell finden sich Beispiele ähnlicher Karosserie-Designs. Zudem gibt Mercedes an, dass dieses Elektroauto, das 1.000 Kilometer Reichweite in Aussicht stellt, in nur 18 Monaten vor der Präsentation am 3. Januar entwickelt worden sei. Ist alles also nur ein PR-Gag – oder doch die Blaupause für das energiesparende Auto der Zukunft?
Um das herauszufinden, muss man sich die Vergleiche anschauen: Parallelen zum 1-Liter-Auto VW XL1 sind hier in der Heckansicht kaum zu leugnen. Seitlich betrachtet identifizieren andere das Auto des niederländischen Start-ups Lightyear, das in diesem Jahr auf den Markt kommen soll. Selbst den Karmann Ghia oder den Porsche 935 meinen einige Expert:innen wiederzuerkennen. Ähnlichkeiten zum neulich bei der IAA vorgestellten Audi Grand Sphere Concept liegen ebenfalls nahe. Immer im Fokus ist dabei entweder die abrupt abreißende Kante am Heck oder die Karosserieform im Gesamten. Warum sieht der Vision EQXX so aus, wie er aussieht?
Mercedes sagt hierzu: „Der Vision EQXX verdankt seinen herausragenden cW-Wert von 0,177 der strömungsförmigen Grundform.“ Will heißen: Das Design musste sich wohl eher der Aerodynamik anpassen als der andersherum. So ist es auch beim XL1, dem Lightyear, einem Karmann Ghia oder dem Porsche 935.
Das Einzigartige – und mit Blick auf künftiges Automobildesign Wegweisende – des Vision EQXX steckt in den Details. Auf der Unterseite des Wagens ist eine neuartige Kühlplatte angebracht, zudem sind neuartige, feste und verstellbare Aerodynamik-Bauteile angebracht. Sie sollen nicht nur den Energieverbrauch durch den Luftwiderstand erheblich senken, den Mercedes sonst bei rund zwei Drittel einschätzt, sondern auch den Energiebedarf für die Kühlung des Antriebs. Das ist die eigentliche Innovation.
So ausgerüstet erreicht der Vision EQXX einen niedrigen Stromverbrauch, der in etwa einem Liter Sprit auf 100 Kilometer entsprechen soll – und das ganz ohne verkleidete Radhäuser und dafür mit einer Fahrgestellnummer, sodass man dieses Auto schon bald auf der Straße fahren sieht. Ein echtes Novum, und aufgrund des SUV-Hype bislang kaum denkbar. In dieser Form wird der Vision EQXX, ähnlich wie das Grand Sphere Concept von Audi, wohl nicht in Serie gehen. Aerodynamische und technische Erkenntnisse wird man jedoch sicher bald in Serienfahrzeugen finden. Auch aktuelle Fahrzeuge wie der Mercedes EQS oder das Tesla Model 3 weisen mit ihren bananenförmigen Silhouetten in diese Richtung.
Die Frage lautet also nicht: Warum sieht der EQXX so aus wie andere Autos? Sie sollte lauten: Warum sehen andere E-Autos nicht so aus? Und am interessantesten ist die Herausforderung für die Autohersteller, ihre Fahrzeuge auch künftig noch optisch voneinander abzugrenzen, wenn die Form durch Aerodynamik und Effizienz vorgegeben ist. Klar ist aber auch: Wie bei den Apple AirPods folgt auf den Spott die Gewöhnung – gut möglich darum, dass der EQXX und alle stromlinienförmigen Vorgängerfahrzeuge schon bald den neuen Standard im Fahrzeugdesign darstellen werden.
Want to know more?
Markus Schäfer
Als CTO der Mercedes-Benz AG wird Markus Schäfer eine Mammutaufgabe zuteil: Die Transformation des historischen Stuttgarter Autobauers hin zu einem führenden Luxus-E-Autobauer. Dass die Batterie des Vision EQXX in einen Kleinwagen passt und trotzdem 1.000 Kilometer drin sind, suggeriert, dass deutsche (E-)Autobauer sehr wohl mit internationaler Konkurrenz mithalten können.
Rudolf Caracciola
Wenn der Vision EQXX einem Auto nachempfunden ist, dann wohl dem W 125 Rekordwagen. Hier sind die aerodynamisch bedingten optischen Ähnlichkeiten ebenfalls deutlich erkennbar. Am Steuer dieses Autos stellte Rudolf Caracciola im Januar 1938 (!) den bis 2017 gültigen Weltrekord für die höchste gefahrene Geschwindigkeit auf öffentlichen Straßen auf: 432,7 km/h.