Unternehmen aus allen Branchen, auch aus der Autoindustrie, können viel dazu beitragen, die Erderwärmung zu begrenzen. Dabei können sie sich von der Science Based Targets Initiative, einer weltweit agierenden Non-Profit-Organisation, unterstützen lassen: Die SBTi validiert Ziele zur Emissionsreduzierung, die sich die Firmen selbst setzen.   

Wie viel Power besitzt die SBTi? Welchen Nutzen bringt sie den beteiligten Unternehmen, und was könnte sie besser machen? Anna Lena Hackelsberger weiß es. Als Klimaexpertin bei econsense, dem Nachhaltigkeitsnetzwerk der deutschen Wirtschaft, steht sie regelmäßig im Austausch mit Unternehmen, die sich wissenschaftsbasierte Klimaziele gesetzt haben. Das Netzwerk von econsense umfasst 45 internationale Unternehmen. 25 von ihnen, darunter BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen und die Deutsche Bahn, haben bereits SBTi-validierte Klimaziele, sieben weitere haben eine Verpflichtungserklärung unterschrieben. Die Deutsche Post DHL und die Lufthansa gehören dazu.

Viele Unternehmen – unter anderem BMW – setzen sich SBTi-Ziele, die sich mit econsense abgleichen. Foto: BMW

FUTURE MOVES: Hallo Anna Lena, kannst Du die Aufgabe der SBTi in ein paar Sätzen umreißen? 
Anna Lena Hackelsberger: Die SBTi ist 2015 als Zusammenschluss von vier NGOs entstanden – dem Carbon Disclosure Project (CDP), dem United Nations Global Compact, dem World Resources Institute (WRI) und dem World Wide Fund For Nature (WWF). Sie unterstützt Unternehmen dabei, sich Ziele zur Verringerung ihrer Emissionen zu setzen. Ihre große Stärke ist, dass die Ziele klima-wissenschaftlich fundiert sind und im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen stehen. Zur Zeit haben sich nahezu 3.000 Unternehmen weltweit dazu verpflichtet, ihre Emissionen – CO2 und andere Treibhausgase – nach diesen Kriterien zu reduzieren. Bei knapp der Hälfte von ihnen hat die SBTi die Ziele bereits validiert.

„Die Rechnung geht nur auf, wenn sich alle Klimaziele setzen und erreichen“

Anna Lena Hackelsberger, Klimaexpertin econsense

Aus welchen Branchen kommen diese Firmen?
Vor allem aus den Bereichen Konsumgüter, Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie und Telekommunikation. Relativ wenige kommen aus dem Transportsektor, also aus dem Flugverkehr, der Schifffahrt, dem Straßentransport und der Logistik. Bei Stahl, Chemie und fossilen Energien wird’s dann noch etwas schwieriger. Als Faustregel gilt: Je heterogener die Produkte eines Unternehmens  sind – zum Beispiel in der Chemiebranche – und je weniger 1,5 Grad-kompatible Technologiepfade es in einer Branche gibt, desto schwieriger wird die SBTi-konforme Zielsetzung.

Nach welcher Logik funktioniert die SBTi?
Der Ausgangspunkt für die SBTi-Methodik ist das globale Treibhausgas-Budget, also die Menge an Emissionen, die noch in die Atmosphäre gehen können, bevor die 1,5-Grad-Schwelle überschritten wird. Vom Jahr 2018 an sind das laut SBTi noch rund 990 Gigatonnen CO2-Äquivalente. Im zweiten Schritt modelliert die SBTi, wie das Treibhausgas-Budget in unterschiedlichen Szenarien über die Zeit verteilt werden kann. Und zuletzt wird es auf den Privatsektor und auf einzelne Unternehmen heruntergebrochen. Bei alledem muss man jedoch eins beachten: Die Rechnung geht nur auf, wenn sich alle Unternehmen weltweit derartige Klimaziele setzen und sie auch erreichen. 

Wie stark müssen die Unternehmen, die sich validieren lassen, ihre Emissionen verringern?
Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Bei den Zielen für Scope 1- und Scope 2-Emissionen – das sind jene Emissionen aus der direkten Geschäftstätigkeit oder aus der Nutzung eingekaufter Energie – bietet die SBTi die Wahl zwischen zwei Berechnungswegen. Beim Absolute Contraction Approach, der allen Branchen offensteht, reduziert jedes Unternehmen seine absoluten Emissionen linear um 4,2 Prozent pro Jahr. Wenn es sich beispielsweise 2020 ein Klimaziel für das Jahr 2030 gesetzt hat, muss es seine Emissionen bis dahin um 42 Prozent reduzieren.

Die Herausforderungen für die Autobauer: Ein Großteil der Emissionen kommt aus vor- und nachgelagerten Teilen der Wertschöpfungskette. Foto: VW

Und der zweite Ansatz?
Das ist der Sectoral Decarbonization Approach, eine sektorspezifische Berechnungsmethode. Hier geht es darum, dass die Unternehmen ihre Emissionsintensität bis zu einem Zieldatum auf einen bestimmten einheitlichen Wert senken. Dieser Ansatz steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in allen Wirtschaftssektoren zur Verfügung.

Und wie sieht es im Transportsektor aus?
Unsere Netzwerkmitglieder BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen stehen als Automobilhersteller vor einer großen Herausforderung: Der Großteil ihrer Emissionen sind Scope 3-Emissionen, die aus der vorgelagerten und vor allem aus der nachgelagerten Wertschöpfungskette kommen. Beispiele dafür sind die Emissionen, die durch den Einkauf von Vorprodukten oder in der Nutzungsphase der Fahrzeuge entstehen.

Welche Ziele haben BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen formuliert?
Alle drei Hersteller haben SBTi-validierte Ziele, die im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel stehen. Bei Scope 1 und Scope 2 liegen sie zwischen 50 und 80 Prozent Emissionssenkung, bei Scope 3 streben sie mit dem Sectoral Decarbonization Approach 30 bis 50 Prozent Reduktion pro Fahrzeugkilometer an. Ganz ähnlich hat übrigens auch die Deutsche Bahn ihre Ziele formuliert.

In welchen Zeiträumen wollen die Unternehmen ihre Reduktionsziele erreichen?
Anna Lena Hackelsberger: Bis vor wenigen Monaten hat die SBTi ausschließlich kurzfristige Klimaziele mit einem Zeithorizont von 5 bis 15 Jahren validiert. Die SBTi gibt es seit sieben Jahren, sodass wir gegen Ende des Jahrzehnts sehen werden, ob die Ziele auch erreicht werden. Im Oktober 2021 ist der SBTi Net-Zero-Standard erschienen, bei dem die Zeithorizonte langfristiger sind. Er schreibt Netto-Null-Emissionen über die gesamte Wertschöpfungskette vor, was durchschnittliche Emissionsreduktionsraten von 90 Prozent bis 2050 bedeutet. BMW strebt die Net-Zero-Validierung der SBTi an, andere Unternehmen sind noch zögerlich. 

„Die Stärke der SBTi ist ihr Ambitionsniveau“

Anna Lena Hackelsberger

Die SBTi gilt als führender Akteur auf ihrem Gebiet. Welchen Nutzen bringt sie den Unternehmen?
Eine entscheidende Stärke der SBTi ist ihr Ambitionsniveau und die daraus resultierende Glaubwürdigkeit. Bei der Validierung der Ziele erkennt sie ausschließlich reale Emissionsreduzierungen an, Kompensationsmaßnahmen wie Aufforstungsprojekte sind ausgeschlossen. Gerade weil die Reduktionsziele ambitioniert sind, stoßen sie bei den beteiligten Unternehmen grundlegende Diskussionen an: Wie wollen wir künftig wirtschaften, welche Geschäftsfelder und Tätigkeiten sind zukunftsweisend? Daraus entsteht Wandel in der Strategie und in den Köpfen. In einem Unternehmen, das seine Ziele erreichen will, müssen alle mitziehen, beginnend beim Vorstand.

Was könnte die SBTi noch besser machen?
Zum einen könnte sie sich personell besser aufstellen, um die steigende Nachfrage besser bedienen zu können. Eine zweite Stellschraube, an der sie drehen kann, ist das Wachstum in Ländern außerhalb der OECD und in emissionsintensiven Branchen. Vor allem in Europa, Nordamerika und Australien ist die SBTi in den letzten Jahren stark gewachsen, in Asien hingegen deutlich weniger. Wir müssen abwarten, ob sie ihr Momentum langfristig bewahren kann. 

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Anna Lena Hackelsberger

Anna Lena Hackelsberger

Sie arbeitet seit 2020 als Klima-Expertin für econsense, einem in Berlin ansässigen Netzwerk mit 45 international tätigen Unternehmen. „Die Entwicklung von wissenschaftsbasierten Zielen erfordert erhebliche interne Investitionen, aber der Aufwand zahlt sich aus“, schreibt Anna Lena Hackelsberger in der econsense-Broschüre „Accelerating the Race to Net Zero“. „Denn Unternehmen mit solchen Zielen sind gegenüber Investoren, Kunden und politischen Entscheidungsträgern besser aufgestellt.“

Oliver Zipse

Oliver Zipse

2019 hat Oliver Zipse den Vorstandsvorsitz der BMW AG übernommen, seitdem räumt er dem Thema Nachhaltigkeit wachsenden Stellenwert ein. „Der Umgang mit CO2-Emissionen ist zu einem zentralen Bewertungsfaktor für unternehmerisches Handeln geworden“, erklärt Zipse. „Wir setzen uns Ziele zur substanziellen Reduzierung der Emissionen, die von der Science Based Targets Initiative validiert sind und einen wirksamen und messbaren Beitrag liefern.“