Wir brauchen die Auto-Abmeldeprämie für Menschen ohne Auto
Mit Auto-Abmeldeprämien wollen Denzlingen und Bielefeld die Verkehrswende antreiben. Doch dabei werden nicht nur die Menschen vergessen, die kein Auto haben
Auf das Auto verzichten und stattdessen Radfahren: Dass das ganz einfach sein kann, hat erst vor kurzem Cem Özdemir bewiesen. Der neue Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft fuhr anlässlich seiner Vereidigung mit dem Fahrrad zum Schloss Bellevue. Doch auch ihm dürfte die Abkehr vom Auto schwerfallen, denn das Land der Autofahrer:innen wird seinem Ruf gerecht: Im Jahr 2021 stieg der Fahrzeugbestand weiter, insgesamt auf 66,9 Millionen zugelassene Fahrzeuge.
Autofahren ist natürlich praktisch und bequem, schließlich ist ein Großteil der deutschen Infrastruktur auf das Auto ausgelegt. Und so wundert es nicht, dass mehr als zwei von drei Deutschen mit dem eigenen Wagen zur Arbeit fahren. Zwar könnte eine bessere Infrastruktur für Fahrrad und ÖPNV die Wahl des Verkehrsmittels beeinflussen, doch bis zum Abschluss der Verkehrswende wird es wohl noch ein paar Jahre dauern. Für die dringend notwendige Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030 ist es dann möglicherweise zu spät, weshalb zügig neue Anreize geschaffen werden müssen. Weil von staatlicher Seite nicht genügend Ideen kommen, haben sich die Gemeinde Denzlingen sowie die Stadt Bielefeld entschieden die Sache selbst in die Hand zunehmen und fördern den Verzicht der Bürger:innen aufs eigene Auto.
Die sogenannte Abmeldeprämie soll in Denzlingen einen finanziellen Anreiz bieten, statt des Privatwagens andere Mobilitätsformen zu nutzen. Wer seinen Verbrenner offiziell abmeldet und sich verpflichtet, für drei Jahre kein neues Auto anzuschaffen, kann sich über eine Prämie von bis zu 500 Euro freuen. Das Geld gibt es allerdings nicht bar auf die Hand, sondern als Zuschuss für den Kauf einer Regiokarte, eines Abos für den ÖPNV und Regionalverkehr in Freiburg, oder eines E-Bikes. So soll gesichert werden, dass die Prämie auch für alternative Mobilitätsformen genutzt wird.
„Wir brauchen mehr Menschen, die zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren“
Markus Hollemann, Bürgermeister von Denzlingen
Die Abmeldeprämie ist ein Teil eines Förderprogramms für Klimaschutz: Bis 2035 will die Kommune klimaneutral sein. Das Projekt verlaufe bisher zufriedenstellend, so Markus Hollemann, Bürgermeister der ÖDP. 35 Prämien für Auto-Abmeldungen seien bereits ausgezahlt worden. Er wünscht sich für das Vorhaben seiner Gemeinde allerdings mehr Rückenwind von anderer Stelle: „Wir brauchen in den Städten und Gemeinden mehr finanzielle Unterstützung. Bund und Land müssen endlich die Bremsen lösen, damit wir vor Ort sinnvoll und zielgerichtet fördern und investieren können.“
Die Gemeinde Denzlingen hat auch ein berechtigtes Eigeninteresse weniger Autos auf der Straße zu haben, denn bei fast einem Drittel der Fahrten sind Start- und Zielort innerhalb der 14.000-Seelen-Ortschaft. Diese Strecken könnten auch anders zurückgelegt werden, meint Hollemann: „Wir brauchen mehr Menschen, die zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren.“ Mit guten Lastenräder ließen sich Kinder ebenso gut zur Schule bringen.
Auch die Stadt Bielefeld will die Messlatte höher legen als vom Bund verlangt und bedient sich desselben Mittels wie in Denzlingen: Für drei Jahre Autoverzicht gibt es dort einen Abmeldezuschuss von 1.000 Euro. Auch hier sei das Projekt ein Erfolg: „Stand heute sind insgesamt 50 Fahrzeuge abgemeldet worden“, sagt Björn Brodner, Mitarbeiter des Umweltamts in Bielefeld.
Wer sich nicht gleich drei Jahre lang verpflichten will, für den hat die Stadt Bielefeld auch eine Alternative in petto: sozusagen die Abmeldeprämie light. Hier muss das Auto nicht gänzlich abgemeldet, sondern nur für drei Monate stehen gelassen werden. „Bei diesem Projekt geht es darum, etwas auszuprobieren und neue Routinen zu entwickeln“, erklärt Regine Thamm-Wind, vom Umweltamt Bielefeld. Für drei Monate ohne Auto gibt es eine Unterstützung von bis zu 400 Euro. Das Projekt kam so gut an, dass letztlich das Los entscheiden musste, wer mitmachen darf.
„Ich habe Angst, dass das nicht ausreicht“
Ragnhild Sørensen, Changing Cities
Für Ragnhild Sørensen, von Changing Cities aus Berlin, sind diese Projekte ein guter Start. Es sei wichtig solche Anreize auszuprobieren. „Ich habe aber Angst, dass das nicht ausreicht“, sagt Sørensen. Die NGO schlägt ein ähnliches Konzept vor, will aber noch einige Schritt weiter gehen: Alle volljährigen Personen, die in einem Kalenderjahr kein eigenes Auto besitzen, erhalten die sogenannte Freie-Straßen-Prämie. Changing Cities schlägt 1.100 Euro für Erwachsene und 550 Euro pro Kind vor, womit der Preis für eine Jahreskarte der Berliner Verkehrsbetriebe abgedeckt wäre.
Diese Summe sei eigentlich recht bescheiden, im Vergleich zu den Mitteln, die Autofahrer:innen über Subventionen erhalten. „Wir müssen eben anders herangehen und das Verhalten unterstützen, das gut für das Klima ist“, sagt Sørensen. „Das Ziel ist, dass es weniger Autos sowie freie Straßen gibt und wir den öffentlichen Raum neu gestalten können.“ Hier braucht es auch den Bewusstseinswandel der Menschen: Wird über diese Umverteilung gesprochen, heißt es schnell, Parkplätze würden den Autos weggenommen werden.
Dabei muss auch auf dem Land schnell gehandelt werden: „Wenn wir darauf warten, dass es auch auf dem Land genug Schienen und Strecken gibt, dann wird es nicht klappen mit der Reduktion der Emissionen bis 2030“, sagt Sørensen. Deswegen braucht es die Freie-Straßen-Prämie als Zuschuss für nachhaltige Mobilität – einen Anreiz keinen eigenen Verbrenner zu besitzen. Dann wären die Straßen bald auch ohne Abmeldeprämie frei und der Umstieg auf das Fahrrad fällt allen so leicht wie Cem Özdemir.
Mindestens ebenso wichtig wäre eine finanzielle Unterstützung für Menschen, die gar kein Auto fahren. Menschen mit Einschränkungen oder ohne das nötige Kleingeld für ein Auto, haben das Recht auf finanzielle Unterstützung bei der Mobilität. Diese Menschen werden bei der Diskussion um Prämien und Anreize schnell vergessen und hätten einen Zuschuss für nachhaltige Mobilität bitter nötig.
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Jörg Spengler
Spengler ist Radverkehrsbeauftragter für die Grünen in München und Influencer für nachhaltige Mobilität. Ihn stört der massive Autoverkehr in der Münchner Innenstadt. Er fragt sich ob Straßenverkehr nicht anders funktionieren kann und teilt Beispiele aus Ländern, die es schon besser machen.
Marvin Rees
Geht es nach dem Bürgermeister von Bristol, sollen in der englischen Stadt noch in diesem Jahr Saubere-Luft-Zonen eingerichtet werden. Das solle nicht nur die Luftqualität verbessern, sondern auch das Mobilitätsverhalten der Bürger:innen ändern.