Es fährt ein Blitz ins BMW-Stammwerk
Braucht die Transformation der Automobilindustrie die grüne Wiese? Nein, sagt BMW. Warum sich der Konzern für das Gegenteil entschieden hat
Automanager:innen liegt hektischer Aktionismus eher fern. Trotzdem sinnierte Volkswagen-CEO Herbert Diess neulich, ein kompletter Neubau auf der grünen Wiese sei womöglich der klügere Weg zum Elektroautoproduzenten als der Umbau der Wolfsburger Fabrik. E-Auto-Pionier Tesla macht es der deutschen Konkurrenz im brandenburgischen Grünheide ja vor: Die Abkürzung in die Zukunft der Mobilität beginnt auf einem weißen Blatt – ohne den Ballast von Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind und deren mühsame Transformation viel Geld verschlingt und wertvolle Zeit kostet.
Bei BMW in München hat man sich dennoch genau dafür entscheiden: Der Ort, der vor 100 Jahren zur Keimzelle des Stammwerks wurde und wo der Konzern fast genauso lange schon Verbrennerfahrzeuge baut, der soll nun zur Fabrik werden, aus der in nicht allzu ferner Zukunft ausschließlich Elektroautos gerollt kommen. Ist das wieder einer dieser typischen Sonderwege der Bayern – oder ein kluge Strategie, eine legendäre Marke des Fossilzeitalters in die Zukunft zu retten?
„Wir bauen in den bestehenden Strukturen fast ein neues Werk“
Peter Weber
Eigentlich habe der Umbau bereits im Jahr 2016 begonnen, erklärt Peter Weber, Leiter des Münchner BMW-Werks. Damals habe man eine neue Lackiererei errichtet, anschließend den Karosseriebau erweitert. Vorbereitungen für die Montage des aktuellen 3er-BMWs, aber auch schon mit Blick auf das Elektromodell i4, das seit Oktober 2021 hier in München vom Band läuft. Dessen Produktionsstart war ein Meilenstein auf dem Weg zum eigentlichen Ziel: Mitte des Jahrzehnts möchte BMW zunächst in einem neuen Werk im ungarischen Debrecen und dann am Stammsitz mit der Produktion der sogenannten „neuen Klasse“ beginnen. Einer Plattform, auf deren Basis ausschließlich Elektroautos entstehen werden.
„Innerhalb von zehn Jahren bauen wir in den bestehenden Strukturen fast ein neues Werk“, sagt Weber. Der symbolisch am stärksten aufgeladene Schritt dieses Umbaus steht für 2023 auf der Roadmap. Dann wird BMW das Motorenwerk von München in andere Produktionsstätten in Österreich und Großbritannien verlagern – um Platz zu machen für die Montage der neuen Klasse. Die Verbrenner der Vergangenheit müssen weichen, um Platz für die elektrische Zukunft zu machen.
Doch so hart dieser Schnitt erscheint, im Grunde bemüht man sich bei BMW um das genaue Gegenteil: einen langsamen Übergang. Um sich Nachfrageschwankungen anpassen zu können, wird das Elektromodell i4 auf derselben Fertigungsstraße montiert wie Versionen mit konventionellem Antrieb. BMW ist schließlich einer der letzten Hersteller, der noch kein Datum genannt hat, wann er aus Verbrenner-Technologie aussteigt.
Die im Branchenvergleich eher zögerliche – und mit Blick auf die Klimakrise durchaus zu hinterfragende – Haltung ist den Bedürfnissen der Kund:innen geschuldet. Doch zugleich spricht aus ihr eine gewisse Souveränität beim Herangehen an die größte Transformation einer Industrie, die sich so lange gegen jede Veränderung gestemmt hat, bis der Zeitgeist sie fast schon überrollt hatte. BMW lässt sich nicht treiben, sondern will gestalten. Und der Fairness halber muss auch erwähnt sein, dass die Münchner mit ihrer 2010 vorgestellten Submarke BMWi deutlich früher und ambitionierter in das Geschäft mit elektrisch angetriebenen Autos eingestiegen sind als die meisten Mitbewerber.
Trotzdem steht natürlich auch BMW vor einem Kulturbruch. Den Verbrenner zu begraben und den eigenen Produkten gewissermaßen ein neues Herz einpflanzen, das nun elektrisch schlägt, bedeutet mehr als eine strategische Entscheidung. Es rührt am Selbstverständnis der Menschen, die diese Fahrzeuge seit Jahren oder gar Jahrzehnten produziert haben. Darum setzt man bei BMW auf die Mitgestaltung dieser Mitarbeiter:innen.
„Ich habe mir gesagt: Mach den Sprung, wage den Schritt“
Mitarbeiter aus der Motorenfertigung
„Transformation ist nicht einfach top-town anzuordnen, sondern als gemeinsame Aufgabe zu verstehen“, sagt Werksleiter Weber. Er verwende bewusst nicht die Phrase vom „die Menschen mitnehmen“. Das höre – und fühle – sich so an, als müsse man die Leute einfach nur an die Hand nehmen und ihnen die Transformation erklären. „Uns ist viel wichtiger, dass die Menschen eine aktive Mitgestaltung der Transformation wahrnehmen.“
Dabei geht es um nicht weniger als die Herausforderung, 75.000 Mitarbeitende für die Arbeitswelt der neuen Mobilität zu qualifizieren. Die wird maßgeblich von Elektromobilität und Digitalisierung geprägt. BMW habe dafür die größte Weiterbildungsoffensive der Unternehmensgeschichte gestartet, erklärt Weber.
Um den Kolleg:innen aus den Bereichen, die verschwinden werden – allem voran der Motorenbau – den Neuanfang zu erleichtern, wurde eine Art Praktikumsprogramm aufgelegt. Im Rahmen sogenannter „Arbeitseinsätze“ können sich Mitarbeitende andere Bereiche in der Produktion anschauen. Mehrere Hundert BMWler habe man so schon an andere Standorte oder auch in andere Bereiche im Münchner Werk weiterentwickeln können, so Weber.
Wer sich für die Arbeit in einem zukunftsweisenden Bereich entschieden hat, der zeigt dies auch: Arbeiter:innen, die eine Schulung im Umgang mit Hochspannungstechnik erfolgreich absolviert haben, tragen einen kleinen Aufnäher mit Blitz-Symbol auf ihrer Arbeitsmontur. Noch wichtiger als der reine Tätigkeitsnachweis dürfte die symbolische Funktion dieser Patches sein: Der Blitz-Aufnäher ist ein Zeichen, mit dem Mitarbeitende ihren Nachbar:innen am Band zeigen, dass sie die Transformation mitgehen. „Auf der einen Seite ist es natürlich der Stolz, jetzt auch an den Fahrzeugen zu arbeiten, die die Zukunft des Unternehmens darstellen“, sagt Weber. Auf der anderen Seite bilde der Aufnäher auch eine persönliche Perspektive ab – nämlich einen zukunftssicheren Job zu haben.
Dass der Abschied vielen nicht leicht fällt, nimmt man bei BMW ernst. Klar trommelt der Konzern nach außen vom Neuanfang und feiert die eigene postfossile Zukunftsvision, die im Zylinder-Hochaus neben dem Stammwerk bereits bis zum 100-prozentig recyclebaren Auto weitergedacht wurde. Doch für interne Zwecke ließ die Kommunikationsabteilung unter dem Titel „Servus Band D“ ein emotionales Abschiedsvideo produzieren. Darin kommen mehrere Mitarbeitende zu Wort, deren Arbeit sich bislang um die Montage der Verbrennungsmotoren auf der titelgebende Produktionslinie drehte. Einige von ihnen sind Trägerinnen des Blitz-Aufnähers. Und sie muntern ihre Kolleg:innen auf, sich ebenfalls auf das Kommende einzulassen – auch wenn jeder Abschied schmerzen darf.
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Peter Weber
Der Maschinenbauingenieur ist seit September 2021 „Leitung Leitwerk Mittelkasse“, so sein offizieller Titel. Kaum jemand bei BMW dürfte das Stammwerk besser kennen. Dort begann Peter Weber vor über 17 Jahren seine Karriere im Konzern. Die verbrachte er abgesehen von einem Ausflug ins BMW-Werk Leipzig und etwas mehr als zwei Jahren in einer ersten Leitungsrolle bei den englischen Mini-Werken komplett in München.
Susanne Tsitsinias
„In der Transformationskommunikation setzen wir auf die Begeisterung der Mitarbeiter, wir gehen da auf eine sehr persönlichen Ebene“, sagt Susanne Tsitsinias, aus der Kommunikationsabteilung der BMW Group. Die informelle Ebene – dass also Arbeiter:innen, die sich auf neue Aufgaben einlassen, ihren Kolleg:innen davon erzählen – spiele in der Strategie eine entscheidende Rolle.