Die Forderung der Protest-Initiative Stop Trinity klingt zumindest kreativ: Straßenbahnen statt Luxusautos. Und ganz so aus der Luft gegriffen, wie es sich anhört, ist die Idee nicht. Der Vorschlag stammt aus der Studie „Spurwechsel“. Deren Autoren sehen in der Verkehrswende großes Potenzial zur Sicherung von Arbeitsplätzen, wenn die Industrie ihre Produktion von Autos auf Busse und Schienenfahrzeuge umstellt. 

Nun lassen sich vermutlich viele gute Sachgründe finden, warum es wenig Sinn macht, ein 90 Jahre altes Autowerk zur Fabrik für Straßenbahnen umzubauen. Und warum Volkswagen auch mit Blick auf die Sicherheit der Arbeitsplätze besser beraten ist, dem eingeschlagenen Weg der Elektrifizierung des Automobils weiter zu verfolgen, statt mit einer anderen Produktpalette komplett bei Null anzufangen. Am Ende kommt es Stop Trinity vielleicht auch nicht so sehr darauf an, dass eines Tages wirklich Trams statt Tiguan aus den Hallen rollen.

„Ich will keine neue Fabrik, ich will einen Stopp der Autoproduktion“

Ruben, Aktivist von Stop Trinity

Der Ruf nach einem Abbruch des Trinity-Projekts erfolgt aus einem anderen Kalkül. Die Aktivist*innen sehen eine neue Autofabrik als Beleg dafür, dass sich die deutsche Industrie in der Antriebswende eingerichtet hat – und die Verkehrswende auf der Strecke bleibt. Dieser Befürchtung wollen sie mit polarisierenden Forderungen Öffentlichkeit verschaffen: Neben der Verhinderung der neuen Autofabrik spricht sich Trinity gegen den Ausbau der A39 aus und malt als ganz großes Ziel die Transformation des VW-Konzerns zu einem sozial und ökologisch geführten Betrieb auf die Transparente.

Dass diese Forderungen marktwirtschaftliche, politische und rechtliche Realitäten ignorieren, das ist das gute Recht einer Bewegung, die einräumt, für eine „Utopie“ zu kämpfen. Doch ganz real könnte die aktuelle Mahnwache auf dem Acker im Wolfsburger Stadtteil Warmenau für Volkswagen zum Problem werden. Dann nämlich, wenn die Aktivist*innen nicht einfach so vom Feld trotten, sobald im kommenden Jahr die Bagger anrollen. Und es dürfte nicht ganz unwahrscheinlich sein, dass Stop Trinity es auf die medienwirksamen Bilder einer Räumung friedlicher Verkehrswende-Aktivist*innen durch die Polizei anlegt.

Man habe sich nach Wolfsburg in die „Höhle des Löwen“ gewagt, um die Stadt zum neuen „Hotspot der #Verkehrswende-Protestbewegung“ zu machen. Das schreiben die Aktivist*innen zum Video auf ihrer Website, das die Hintergründe erklärt. Aus dem Clip wird auch deutlich, dass es hier um mehr geht als ein paar Leute, die auf einer Wiese ihre Zelte aufgeschlagen haben. Die Kampagne ist an das Projekthaus Amsel 44 in Wolfsburg angedockt, einem Ort zum organisieren und gestalten von Aktionen und wo man „mit anderen Menschen Banden bilden“ könne, wie es im Clip heißt. 

In der Stadt scheinen sie zumindest einigermaßen aufgeschreckt. Der Versuch der Verwaltung, die Mahnwache durch Auflagen auf einen anderen Acker zu verfrachten und mit Sicht- und Lärmschutzwänden von der Öffentlichkeit abzuschirmen, wurde vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg in zweiter Instanz wieder kassiert. Und so veranstalten die Stop-Trinity-Macher*innen inzwischen regelmäßig Vorträge und Diskussionen auf dem Acker. Volkswagen habe auf Einladungen bislang nicht reagiert, erzählt Stop-Trinity-Aktivist Ruben gegenüber FUTURE MOVES. Der Konzern schicke nur regelmäßig Leute von der Werksicherheit vorbei, die sich aus schwarzen Vans heraus das Geschehen auf dem Acker anschauten. 

„Wir stehen in der Tradition von Hambacher Forst“

Ruben, Aktivist von Stop Trinity

Ruben gehörte zu den Ersten auf dem Areal. Beim Videointerview sitzt er im vertäfelten Innenraum eines alten Wohnmobils, das zusammen mit einer Handvoll Zelte auf dem Acker steht. Er erklärt, wie es zu Stop Trinity gekommen ist. Vor etwa einem halben Jahr hätten sich Ökoaktivist*innen wie er, einige Mitarbeitende aus dem Volkswagen-Werk und Leute aus umliegenden Ortschaften zusammengetan und beschlossen, eine Mahnwache zu errichten. 

Man wolle „ganz symbolträchtig“ dauerhaft präsent sein am „Ort des Geschehens“ und gleichzeitig einen Anlaufpunkt schaffen, erklärt Ruben. Und dort bis zum kommenden Frühjahr überwintern, um den Start der Bauarbeiten zu verhindern? Das sei jetzt natürlich eine Unterstellung, sagt Ruben. „Noch ist das alles Ackerland und wir machen hier eine Mahnwache.“ Doch klar, dass sie hier nicht weggehen könnten, das sei sicher eine Befürchtung in der Konzernzentrale. „Die Angst werde ich ihnen jetzt nicht nehmen“, sagt Ruben.

Auto als Irrweg: Stop Trinity fordert eine radikal andere Mobilität

Tatsächlich gibt es eine Blaupause für diese Strategie – selbst wenn das Werk am Ende wie geplant gebaut wird. Die Besetzung des Hambacher Forsts hat zwar nicht zum Ausstieg aus der Braunkohleverstromung geführt. Aber die Anti-Kohlekraft-Bewegung konnte den „Hambi“ letztlich retten und – viel wichtiger noch … ihn zum Symbol für die Energiewende machen und immense Aufmerksamkeit für ihre Anliegen schaffen. Ist der Acker in Wolfsburg-Warmenau also auserkoren, zum Symbol und Katalysator der Verkehrswende zu werden? „In dem Sinne kann man sagen: Ja, wir stehen in der Tradition von Hambacher Forst“, sagt Aktivist Ruben.

Wie reagiert der Konzern auf die Initiative Stop Trinity? Warum will man mit den Aktivist*innen nicht reden? „Volkswagen ist grundsätzlich dialogbereit“, teilt ein VW-Sprecher auf Anfrage von FUTURE MOVES mit. Eine Einladung zu einer öffentlichen Diskussion durch die Gegner des Trinity-Projekts sei im Unternehmen jedoch nicht bekannt. 

Stattdessen verweist der Sprecher auf Info-Veranstaltungen und VWs Bemühungen, mit Anwohner*innen des künftigen Werks sowie Interessensgruppen wie NABU und BUND in den Dialog zu treten. Viele hätten von der Gelegenheit Gebrauch gemacht, heißt es. Und besonders freue man sich, dass dabei Ideen und Anregungen entstanden sind, die in das Planungsverfahren eingeflossen sind. Beispielsweise wurde das Verkehrskonzept um das Werk auf Wunsch einiger Anlieger*innen angepasst.

„Wir gehen davon aus, dass die Arbeiten wie geplant 2023 beginnen werden“

Sprecher von Volkswagen

Zugeständnisse dieser Art dürften Ruben wenig beeindrucken. „Ich will gar keine neue Autofabrik“, sagt er. „Ich will das Ding auch nicht auf dem Stammwerk haben, sondern ich will einen Stopp der Autoproduktion.“ Er betont aber auch, dass nicht alle bei Stop Trinity so eine kompromisslose Haltung vertreten würden. 

Der Kampf um die Deutungshoheit über das neue Werk ist bereits voll entbrannt. Während Volkswagen im Trinity-Werk einen „Meilenstein der Transformation des Stammsitzes Wolfsburg“ sieht und es als Hebel versteht, um die E-Mobilität preiswerter zu machen, steht es für Aktivist*innen wie Ruben für ein drohendes Scheitern der Verkehrswende.

Silhouette des Anstoßes: Die Limousine mit dem Projektnamen Trinity soll ab 2026 im neuen VW-Werk vom Band rollen. Foto: Volkswagen AG

Der Widerstand gegen das Werk bringt sich auch jenseits von Stop Trinity in Stellung: Vor einigen Wochen steckten in den Briefkasten in Orten rund um den Acker Flyer. Auf dem ersten wurde Anwohner*innen eine Entschädigung in Aussicht gestellt. Ein zweiter rief im Namen von VW und der vom Konzern für den Bürger*innen-Dialog beauftragten Agentur zu einer Begehung der Baustelle auf. Beides waren Fälschungen von Unbekannten. Das offensichtliche Ziel: Verwirrung zu stiften. Der VW-Sprecher nennt es „bedauerlich“, dass Teile der Bevölkerung mit Falschinformationen verunsichert würden. Dem wolle man mit weiteren Info-Veranstaltungen begegnen. „Uns ist es wichtig, dass die Bevölkerung umfassend informiert ist und wir im Dialog bleiben“, heißt es von VW.

Ob diese Einladung auch von den Aktivist*innen angenommen wird, muss sich zeigen. Im Moment stehen die Zeichen eher auf Lagerbildung. Für den kommenden Samstag hat Stop Trinity zu einem „bundesweiten Vernetzungstreffen“ auf den Acker geladen. „Ich denke, das wird hier sehr an Größe und Schlagkraft gewinnen“, sagt Aktivist Ruben. 

Sollte man bei Volkswagen also vielleicht doch etwas nervös werden? „Aktuell gehen wir davon aus“, so der VW-Sprecher, „dass die Arbeiten für das neue Werk wie geplant im Jahr 2023 beginnen werden.“

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Ruben

Ruben

„Ich habe keinen Beruf, ich habe kein Titel, ich mache das als meine Lebensaufgabe.“ Das sagt Aktivist Ruben, der sich für eine sozialökologische Verkehrswende engagiert. Ehe er den Acker bei Wolfsburg als neuen Lebensmittelpunkt auswählte, war er an der Erarbeitung eines neues Verkehrswege-Konzepts für Gießen beteiligt.

Herbert Diess

Herbert Diess

Die Trinity-Fabrik war Lieblingsprojekt von Volkswagen-Ex-CEO Herbert Diess. Der Neubau auf der grünen Wiese sollte helfen, in Sachen Produktivität zu Tesla aufzuschließen. Als Freund des offenen Schlagabtauschs mit Autokritiker*innen hätte man ihn vielleicht sogar auf dem Acker gesehen.