„Pharmafirmen kamen vor einigen Jahren auf uns zu und sagen: Wir dürfen mit unseren Dieselfahrzeugen nicht mehr nach Stuttgart rein. Wie können wir jetzt die Apotheken bedienen?“, erinnert sich Reto Kreienbuehl. Er ist Geschäftsführer von Agora Industrial Service, das große Fuhrparks für Unternehmen managt. „Also alles, internationale Flotten mit sechs- oder achthundert Fahrzeugen, es kann auch mal Losgröße 4.000 sein. Das ist unser Kerngeschäft seit 25 Jahren“, sagt er. Und für derartige Unternehmen wirken die Einfahrverbote, wie sie neben Stuttgart auch viele andere europäische Städte erlassen haben, wie unüberwindbare Hindernisse.

Plötzlich kam also die Kundschaft und wollte wissen, was Kreienbuehls Unternehmen, das er 2013 erwarb, in der Nahverkehrswelt zu bieten hat. „Da haben wir entdeckt, dass es eigentlich ein Bedürfnis gibt, einen Markt für Nahverkehr, Mobilität, Komplettlösungen inklusive E-Bikes, -Scooters, -Trottinetts und Cargobikes.“ Kreienbuehl hat dann begonnen, sein Unternehmen dahingehend zu entwickeln – und GoFlow gegründet. „Aber es gab keine Angebote. Es gab zwar die E-Bikes, die man kaufen konnte, aber es gab keine Finanzierung, es gab keine Unterhalt- und Service-Konzepte, et cetera. Und es gab keinen Second-Hand-Markt, was sehr wichtig ist im Flottenmanagement.“ Genau den will Kreienbuehl nun selbst schaffen. Zentrale Rolle beim Aufbau seines mobile.de für E-Bikes und kleine E-Fahrzeuge spielt die Konkursmasse eines gescheiterten Start-ups zur Vermietung von S-Pedelecs.

„Das Problem war der Vandalismus, das war haarsträubend.“

Reto Kreienbuehl, GoFlow

Die Basis für den Online-Marktplatz bildet Bond Mobility. Der Sharing-Anbieter für E-Bikes war vor allem in Zürich aktiv, startete 2020 eine rasante Expansion in mehrere europäische Städte, darunter auch Hamburg und München. Schon nach wenigen Monaten waren die S-Pedelecs immer weniger zu sehen. Dann die Meldung: Im September 2021 ist Bond nach rund fünf Jahren pleite gegangen. Agora hatte nach dem Insolvenzverfahren die Aktiva gekauft, inklusive der Fahrräder, der Software und der Daten.

„Eines der Assets war die Datenbank des Gebrauchs und der Rezensionen der Bond-E-Bikes. Die Dienstleistung wurde immer enorm geschätzt und die Kundenrezensionen waren sehr gut.“ Warum es trotzdem nicht geklappt hat? „In der Datenbank steht auch was alles kaputt gemacht wurde. Da kommen dir die Tränen. Das Problem war der Vandalismus, der betrieben wurde, das war haarsträubend. Das ist, was das Geschäft kaputt gemacht hat.“

„Einfach in die Alster geschmissen oder kaputt gemacht“

Reto Kreienbuehl, GoFlow

Da müssen sich insbesondere die Norddeutschen an die Nase fassen: „Unrühmlicher Spitzenreiter war Hamburg, hier hatten wir in der Woche bis zu 50 Velos, die einfach fahruntauglich gemacht wurden. Pro Woche 50 Stück! Musst du dir mal vorstellen: einfach in die Alster geschmissen oder kaputt gemacht.“ Solange der Vandalismus nicht im Griff ist, kann kein Kurzzeitmietmodell überleben, deutet Kreienbuehl an.

Von der Qualität ist Kreienbuehl überzeugt. Trotz des rauen Pflasters blieben Kreienbuehl noch ein paar S-Pedelecs übrig und hat sie entsprechend recycelt: Rund 800 Stück, zwei Drittel davon Altbestand, sind in seinem Fuhrpark, die er aktuell nur im B2B-Full-Service-Modell und als Langzeitmiete für 160 Franken vermietet – und aktuell auch nur in der Schweiz.

„Alle drei Monate klopfen wir den europäischen Gebraucht-E-Bike-Markt ab und zwar rigoros.“

Reto Kreienbuehl, GoFlow

Mit Hilfe von Scraping baut er den Fuhrpark und damit die von Bond übernommene Datenbank weiter aus: „Alle drei Monate klopfen wir den europäischen Gebraucht-E-Bike-Markt ab und zwar relativ rigoros.“ GoFlow erstellt dann eine statistische Analyse, „welches E-Bike mit welcher Ausrüstung und mit welcher Batteriegröße sich wie gut verkaufen lässt“ und das Ganze in Abhängigkeit von Alter und Kilometerstand. „Das heißt, wir wollen eigentlich das replizieren, was du kennst vom Automarkt, nämlich einen sehr lebhaften Gebraucht-E-Bike-Markt“. So könne man Rückgabeangebote für die Privatkundschaft machen oder die Abschreibung in die Miete der Unternehmenskundschaft anpassen.

Das Geschäftsmodell des GoFlow-Gründers ist dabei durchaus nachhaltig angelegt: „Es geht nicht darum, möglichst viel Metall in den Markt zu bringen“, sagt er. „Es geht darum, die Nutzung zu optimieren und die Gebrauchtfahrzeuge nachzuverfolgen. Es gibt immer wieder Kunden mit veränderten Lebensumständen. Und dann kannst du auf die zugehen und sagen: Du brauchst dein E-Bike nicht mehr? Wir kaufen dir das sehr gerne wieder ab.“ Vielleicht wird daraus ja schon bald eine für Endkund:innen zugängliche Datenbank werden wie mobile.de, autoscout24.de oder andere Online-Marktplätze. Doch vorerst konzentriert sich Kreienbuehl auf das B2B-Geschäft.

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Reto Kreienbuehl

Reto Kreienbuehl

Nach Jahren im Private-Equity-Geschäft kaufte Reto Kreienbuehl vor neun Jahren Agora Industrial Service. Das Unternehmen betreibt Flottenmanagement für Pkw, Lkw, Busse, Gabelstapler sowie Anlagen und Maschinen. Mit der Marke GoFlow betreibt Agora das gleiche Geschäftsmodell im Soft-Mobility-Bereich.

Marc Berg

Marc Berg

Seit MyTaxi zu FREE NOW wurde, entwickelte sich die App unter der Führung von Ex-CEO Marc Berg vom Taxivermittler zum Mobilitätsvermittler. Zu den frühen Partnern in Hamburg zählte damals auch Bond Mobility.