Diese CES-Trends werden die Mobilität verändern
Die Autobranche nutzt die Tech-Messe CES als Showbühne für ihre innovativsten Konzepte. Diese sieben Ideen werden den Mobilitätswandel nachhaltig prägen
FUTURE MOVES versteht Mobilität ganzheitlich: vom Scooter bis zum Container-Schiff. Doch bei der Technikmesse CES in Las Vegas dominiert ganz klar das Thema Auto. Doch anders als bei Auto-Shows geht’s hier nicht um PS und Kofferraumvolumen. Vielmehr stehen User Experience, Vernetzung und Technologien im Fokus. Positiver Aspekt: Der eigentliche Zweck des Autos – Mobilität – rückt wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Und von dem zeichnet die CES ein besonders klares Bild: Vieles wird anders. Und das ist auch gut so. Die sieben Thesen der FUTURE MOVES-Redaktion zu den Trends der Branche.
These 1: Individualisierung wird zur Geldquelle
Wenn Fahrzeuge immer gleichförmiger werden, wie drückt man Individualisierung aus? Wie schafft man vielleicht sogar neue Geschäftsmodelle mit Individualisierung? Einen Ausblick darauf zeigt der etwas sperrig benannte BMW iX Flow featuring E Ink. Auf dem Messehallen-Vorplatz des Convention Centers in Las Vegas, den BMW traditionell in Anspruch nimmt, fährt ein BMW iX auf und ab, der mal schwarz, mal weiß ist. Alles auf Knopfdruck und mit echtem Mehrwert: Ein weißes Auto im Sommer wird weniger heiß, ein schwarzes im Winter nicht so kalt. Zudem könnte ein Carsharing-Auto seinen Standort und Ladezustand preisgeben oder Mieter:innen begrüßen.
Und auch in puncto Geschäftsmodell 2.0 ist viel Musik im Thema Individualisierung: Gamer:innen, die gerne mal Geld für Skins auf den digitalen Tresen knallen, gehören ebenso zur potenziellen Kundschaft wie Gebrauchtwagen-Käufer:innen. Apropos Musik, da Hans Zimmer nun auch den Sound für E-Autos von BMW komponiert: Bekommen Apple-Auto-Fahrer:innen als Vorbeifahrgeräusch dann Beats von Dr. Dre für 9,99 Euro im Apple-Music-Abo?
These 2: Die Physik setzt dem SUV ein Ende
Dass das SUV in seiner bekannten Form, also ein großes kistenförmiges Fahrzeug, das trotz seiner Form gerne mal mit 200 km/h über deutsche Autobahnen gescheucht wird, nicht langfristig weiter existieren kann, zeigt der Mercedes Vision EQXX. Auch wenn E-Autos vermeintlich nur Strom laden, geht’s sehr wohl um das Thema Effizienz. Zunächst ist das Thema Aerodynamik wichtig, um hohe Reichweiten zu ermöglichen. Doch Energiesparsamkeit ist ebenso wichtig, wenn man die Klima- und Energiekrise bewältigen möchte. Also muss sich das Fahrzeug der Aerodynamik anpassen, SUVs werden somit zur gefährdeten Spezies.
These 3: Das Auto wird zum White-Label-Produkt
Eine Sache, die beim sagenumwobenen Apple Car auffällig ist, sticht auch beim auf der Messe neu gezeigten Sony Vision-S02 ins Auge: Wer letztlich die Hardware, also das Auto, baut, wird gar nicht mehr so wichtig sein. Im Zeitalter des E-Autos geht es nicht mehr darum, ein Auto zu entwickeln, sondern das eigene Verständnis von Bedienungsfreundlichkeit und Services zu transportieren. Wenn Apple und Sony das Auto als ein Mobilitäts-Device und nicht als das wichtigste Gerät verstehen, verschwindet die Frage nach dem Produktionsort und dem tatsächlichen Hersteller ganz schnell. Marke und Hersteller sind nicht mehr notgedrungen dasselbe.
Dass das funktioniert, beweist schon seit 1979 die Mercedes G-Klasse. Sie läuft als Auftragsbau in Österreich vom Band. Das Auto könnte künftig also noch stärker zum White-Label-Produkt werden. Sehen wir schon bald also einen Sportwagen namens JB 1 von Justin Bieber? Oder einen Louis Vuitton SX mit Ledersitzen in Beige und braunem Exterieur? BMW hätte jedenfalls die passende Technik, um das LV-Logo auf dem digitalen Lack anzuzeigen.
These 4: Ohne Big Tech ist Big Auto verloren
Zurück zur Gegenwart. Hier stehen konventionelle Autobauer vor Mammutaufgaben: die Software im Auto. Im Großkonzern Stellantis (Peugeot, Citroën, Fiat, Opel, Chrysler, Dodge, uvm.) findet man nach Übernahmen und Fusionen uneinheitliche Elektronik-Plattformen vor. Darum wird Amazon Stellantis bei der Entwicklung des für 2024 angekündigten SmartCockpits unterstützen und zudem mit Amazon Web Services die nötige Cloud-Unterstützung beisteuern. Carlos Tavares, CEO von Stellantis, sagt hierzu: „Durch den Einsatz von KI und Cloud-Lösungen werden wir unsere Fahrzeuge in personalisierte Lebensräume verwandeln und das gesamte Kundenerlebnis verbessern, so dass unsere Fahrzeuge zu Sehnsuchtsorten werden, in denen man sich gerne aufhält, auch wenn man gerade nicht fährt.“
Ob wir nun abends von der Couch aufspringen, wenn im linearen Fernsehen nichts Gutes läuft, um im Fiat Punto einen Netflix-Film zu schauen? Das vielleicht nicht, doch Streaming-Dienste werden im Auto eine immer größere Rolle spielen. Volvo integriert nun diverse Google-Dienste: Per Google Assistant lässt sich jetzt die Standheizung vom Frühstückstisch aktivieren oder der Ladezustand des Elektroautos abfragen. Eine Funktion, die es bereits bei einigen anderen Herstellern gibt. Zudem kommt YouTube ins Auto, offiziell, um die beim Nachladen auf Langstrecken aufkommende „Ladeweile“ zu vermeiden oder die Zeit des Wartens auf die Kinder zu verkürzen.
These 5: Das selbstfahrende Auto kommt, jetzt wirklich
Der Sinn dahinter ist aber wahrscheinlich ein anderer: In der nächsten Generation werden elektrische Volvo-Modelle in Kalifornien über den RidePilot verfügen, ein autonom und unüberwachtes System, das ohne menschliches Zutun fahren kann. Dafür landen YouTube, Netflix & Co. eigentlich an Bord. Dass es bis dahin nicht mehr lange dauert, zeigt auch der General-Motors-Konzern: Ab Mitte der 20er-Jahre will er ein selbstfahrendes Auto verkaufen, sagte CEO Mary Barra auf der CES.
These 6: „Mobility of things“ wird zum Ding
Durch die Übernahme des Roboter-Herstellers Boston Dynamics hat sich der Autobauer Hyundai jede Menge Kompetenz hinsichtlich autonomer Transportsysteme eingekauft. Auf der CES wurde nun deutlich, welche Vision die Koreaner verfolgen: Unter dem bald sicher häufiger zu hörenden Buzzword „Mobility of Things“ (MoT) zeigte Hyundai Konzepte diverser selbstfahrender Vehikel. Darunter solche mit eher zweifelhaftem Nutzen wie autonome Kinderwagen, aber auch praktische Alltagshelfer wie selbstfahrende Gepäckwagen für Hotels oder Liefer-Roboter für Pizzabringdienste.
Auch Citroën stellte eine Idee vor, die Mobilität neu denkt: Das „Citroën Autonomous Mobility Vision Concept“ basiert auf einem flachen Fahrzeug mit vier kugelförmigen Rädern an den Ecken, Skate genannt. Darauf können diverse Aufbauten wie Kabinen zum Transport von Personen oder mobilen Kioske platziert werden. Wie Citroëns Autonomous Mobility Vision Concept basiert auch Hyundais MoT-Idee von auf der Kombination universeller Mobil-Module mit unterschiedlichen Aufsätzen, die sich in ihrer Funktion unterscheiden.
Tatsächlich ist die Grundidee nicht neu. Mercedes-Benz hatte bereits 2018 das Konzept Urbanetic präsentiert – aber nie realisiert. Das versucht nun das deutsche Startup Electric Brands mit seinen Xbus, der vom Wohnmobil zum Transporter werden kann und in diesem Jahr auf den Markt kommt. Wirklich sinnvoll wird die Idee der schnell auswechselbaren Funktionsmodule aber erst durch die Kombination mit einer Transportplattform, die autonom agieren kann. Darum könnte aus den auf der CES präsentierten MoT-Ansätzen mehr werden als Konzepte, gerade weil sie Fortbewegung zum Feature machen – einer Idee, die Zukunft hat. Denn was ist ein autonomes Auto am Ende? Auch nur ein Ding, das man sich bestellt, um von A nach B zu kommen.
These 7: Das Fahrrad entwickelt sich zum Connected Device
Schon im Vorfeld der CES durfte Bosch sein smartes E-Bike-System mit dem Titel „CES 2022 Innovation Awards Honoree“ in der Kategorie „Vehicle Intelligence & Transportation“ schmücken. Bereits seit Herbst 2021 verbauen Fahrradhersteller die technologischen Komponente, die in Kombination mit einer App das Fahrraderlebnis auf ein neues Level bringen sollen. Biker:innen erhalten darüber künftig Komfortfunktionen, wie sie Autobesitzende bereits kennen: Abfrage des Akkustands, Trackingfunktionen oder die Anpassung der Fahrmodi. Dank Over-the-Air-Updates soll der Funktionsumfang permanent erweitert werden.
Auch wenn zunächst Komfortfunktionen bei der Vernetzung des Fahrrads im Vordergrund stehen. Ziel der Digitalisierung des Zweirads wird – wie beim Auto – eine bessere Einbindung in den Straßenverkehr sein. Denn der aktuelle Planungsboom bei Radschnellwegen zeigt, dass das Fahrrad als Verkehrsmittel im Alltag immer relevanter werden wird. Entsprechend werden Nutzer:innen gleichberechtigt auf smarte Features wie beispielsweise Ampel-Assistenten zugreifen wollen.
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Gary J. Shapiro
Der Geschäftsführer der Consumer Technology Association leitet die CES. Obwohl kurz vor Messebeginn Branchengrößen wie BMW, Daimler, Amazon oder Google ihre Messeauftritte aufgrund von Covid-19 absagten, schrieb Gary J. Shapiro in einem Kommentar im Las Vegas Review Journal: Die CES wird und muss weitergehen – zum Schutze kleinerer Unternehmen. Zwar ist die Messe um einen Tag verkürzt worden, doch einige Aussteller:innen konnten kurzfristig gewonnen werden.
Mary Barra
In einer Woche feiert sie ihr achtjähriges Jubiläum als CEO von General Motors. Während ihrer Zeit erlebte Mary Barra so viele Ups wie Downs: die Einführung des ersten in Serie gefertigten Elektroautos Chevrolet Bolt, den Verkauf von Opel, die Ankündigung, dass GM ab 2035 nur noch E-Fahrzeuge verkauft. Barras wohl größtes Down: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass GM 2021 erstmals seit 90 Jahren seine Marktführerschaft in den USA verloren hat: an Toyota.