DB Cargo: Alberne Witze, Memes und Selbstironie gegen die Klimakrise
Wie DB-Cargo-Marketingchef Martell Beck dem grauen Thema Bahnlogistik zu etwas Glam verhilft – und einer ganzen Branche zu mehr Selbstbewusstsein
Ob Martell Beck seinen Job gut macht, entscheidet sich am Grill. Seit April 2020 verantwortet er das Marketing der Cargo-Tochter der Deutschen Bahn. Beck soll das Image der für rumpelnde Güterzüge und Verspätungen bekannten, notorisch defizitären DB Cargo aufpolieren. Drei Zielgruppen habe er im Blick, sagt Beck: Erstens: die Kund:innen – natürlich. Zweitens: die Politik – letztlich ist die DB noch immer ein Staatsunternehmen. Drittens: eigenen Kolleg:innen.
An denen gehen die Attacken, der Spott, die andauernden Rufe nach Reformen nämlich nicht spurlos vorüber. Beck will den Cargo-Bahner:innen über Auftritte und Aktionen ihres Arbeitgebers an unerwarteten Orten sowie in den sozialen Medien ihr Selbstbewusstsein zurückgeben. Womit wir beim Grill wären, denn: „Wenn ich dem Mitarbeiter sage: Du arbeitest bei einer coolen Company, dann interessiert das den Mitarbeiter nicht“, sagt Beck. „Wenn aber sein Nachbar abends am Grill sagt: ‚Hey, war eine coole Aktion von euch‘, dann ist es ein cooles Unternehmen.“
Die Motivation der Mitarbeitenden ist dabei das wohl am leichtesten zu erreichende von Becks Zielen. Er will die Cargo-Sparte der Bahn nämlich nicht nur als attraktiven Arbeitgeber positionieren. Becks eigentliche Mission ist es, die Schiene als klimafreundlichste Logistik-Option ins öffentliche Bewusstsein tragen. Darum schaltete DB Cargo schon TV-Spots vor der Tagesschau. und darum will Beck den CO2-neutralen Transport zum Qualitäts-Label machen, das Firmen – sinnbildlich gesprochen – mit Stolz auf ihre Produkte kleben. Letztlich geht es bei Becks Job um die Frage, wie schnell Transportketten in Deutschland dekarbonisiert werden.
Aber von Anfang an. Der Name Martell Beck mag vielen nichts sagen. Aber wer zumindest ab und an mal im Internet unterwegs ist, dürfte den Kampagnen begegnet sein, an denen er in seinem vorherigen Job als Head of Sales Marketing Digitization bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) in verantwortlicher Position beteiligt gewesen ist: der „Weil wir dich lieben“-Slogan, der „Is mir egal“-Clip, die Fahrschein-Sneaker.
Über diese Kampagnen und PR-Stunts ist es ihm gelungen, das Image der für versiffte U-Bahnen und unfreundliches Personal gefürchteten BVG zu drehen. Nicht unbedingt, weil die Berliner U-Bahnen inzwischen weniger versifft oder die Busfahrer:innen freundlicher wären. Doch durch den selbstironischen Umgang mit den eigenen Schwächen und extreme Schlagfertigkeit auf Twitter wurde das Verkehrsunternehmen zu einer Art Love-Brand der Hauptstadt und Teil der Popkultur.
„Eine reine Good-Guy-Geschichte würde nicht funktionieren“
Martell Beck, Head of Marketing and Transport Policy bei DB Cargo
Die Ausgangssituation bei DB Cargo ist – sieht man mal vom Besitzer öffentliche Hand ab – kaum vergleichbar. Die Bahn-Tochter hat wenig Berührungspunkt mit Endkund:innen. Solange man nicht gerade vor einer Schranke warten muss, tauchen ihre Fahrzeuge anders als bei der BVG nur selten im Alltag auf. „Ich arbeite im Verborgenen“, sagt Beck darum. Wobei das so auch wieder nicht stimmt. Denn zumindest in den sozialen Medien ist DB Cargo durchaus präsent. Die Social-Media-Reichweite liegt bei knapp 67 Millionen Impressions im Monat. Ein Wert, den sich andere Player aus der Güterlogistikbranche kaum vorstellen können.
Nun könnte man einwenden, lustige Tweets bringen keinen Container von der Straße auf die Schiene. Das sieht Beck selbst auch so. Seine Grundüberzeugung ist aber, dass Kommunikation „einen Beitrag“ zum Unternehmenserfolg leisten kann. Die Kunst bestehe darin, die an sich gute Botschaft – klimaneutraler Transport, bei dem CO2 erst gar nicht entsteht – zunächst überhaupt erst einmal unters Volk zu bringen. Nicht über Zahlen-Daten-Fakten. „Eine reine Good-Guy-Geschichte würde bei der DB Cargo nicht funktionieren“, sagt Beck. Er setzt stattdessen auf Emotionalisierung.
Wer wissen will, wie das konkret aussieht, muss nur etwas durch den Twitter-Feed von DB Cargo scrollen. Dort gibt viel Wortspielklamauk und immer wieder Posts mit aktuellen Bezügen und oft beides zugleich. Etwa wenn der Account kommentiert: „Wir wollen uns ja nicht in die Diskussion um die Legalisierung von Cannabis einmischen, aber wir nehmen ja gerne mal einen großen Zug.“ Klar sei sowas weit entfernt vom Thema Umwelt, räumt Beck ein, „aber es verknüpft das tagesaktuelle Thema mit uns – und bekommt 34.000 Likes und eine Millionen-Reichweite.“
Gleiches gilt für den „Cargo Montag“, den Werbespot im Quizformat, der eine zeitlang vor der Tagesschau lief. Nach dem Prinzip der 70er-Jahre-Show “Am Laufenden Band” rollte dort ein Containerzug durchs Bild und die Zuschauer:innen wurden aufgerufen, auf der Website von DB Cargo einzutragen, welche Logos sie auf den Containern gesehen hatten. Auch hier vermutet Beck, dass die Spots zur besten Sendezeit im Hauptprogramm des Ersten keine zusätzlichen Güterwagen verkaufen. Jedoch: „Es macht Güterverkehr zum Thema.“ Und weil auf den Containern natürlich Logos der DB-Cargo-Kund:innen standen sei „Cargo Montag“ gleichzeitig ein Mittel, diese zu binden und den Zuschauenden zu zeigen, wer beim Transport seiner Waren auf die Schiene setzt.
Die Social-Media-Aktivitäten sowie das TV-Format sind Teil der Gesamtkampagne „Güter gehören auf die Schiene“, bei der es sich „in Wahrheit um eine Branchenkommunikation“ handele, sagt Beck. Denn die Bahn-Tochter ist natürlich nicht die einzige Anbieterin von schienengebundener Logistik, die wiederum in den allermeisten Fällen nur ein Teil einer multimodalen Transportkette ist.
Viele Unternehmen, die Transportleistungen buchen, ziehen die Bahn jedoch oft nicht einmal in Erwägung. Dabei ersetzt ein Güterzug mehr als 50 Lkw. Mag sein, dass die Logistik für einige Firmen beim Umstieg etwas komplizierter wird. Doch seitdem der Druck wächst, dass Unternehmen klimaneutral werden wollen und müssen, sei CO2-Neutralität eine Währung geworden, so Beck. Bei DB Cargo zeigt sich das in steigenden Transportmengen. Ein deutscher Autobauer wickele inzwischen alle Transporte über 300 Kilometer mit Zug ab, so Beck. Für eine Supermarktkette liefere DB Cargo Obst und Gemüse aus Spanien nach Skandinavien. Und neulich erst habe die Deutsche Post einen umfangreichen Vertrag mit der Bahn-Tochter geschlossen.
Auch wenn die Klimakrise der größte Umsatztreiber in der Schienenlogistik werden dürfte, verkaufen Becks Memes und Wortspiele am Ende vielleicht doch ein paar Containerplätze mehr, weil sie den Weg vom Problem Lkw zur Alternative Zug verkürzen. Beck, ganz Marketer, bringt es auf eine simple Formel: „Die Unternehmen haben den Druck. Wir haben die Lösung.“
Want to know more?
Martell Beck
Für alle, die es ihm nachmachen wollen, hat Martell Beck einen Tipp: „Tagesaktualität bedeutet Schnelligkeit. Wenn dein Tweet erst durch die Rechtsabteilung und die Pressestelle läuft, ist es vorbei. Dann dauert das mal zwei Tage.“
Sigrid Evelyn Nikutta
Die heutige DB-Vorständin für Güterverkehr sowie Vorsitzende des Vorstands der DB Cargo und Martell Beck sind quasi Siblings-in-Crime. Ehe sie zur DB ging, führte Sigrid Evelyn Nikutta von 2010 bis Ende 2019 als Vorstandsvorsitzende die BVG.