SUVs haben einen neuen Feind. Tyre Extinguishers nennen sich Aktivist*innen, die nachts die Luft aus den Reifen von Spritschluckern lassen. Die Gruppe stammt aus dem Vereinigten Königreich, wo sie seit dem Frühjahr 2022 aktiv ist. Der Name ist ein Wortspiel und zusammengesetzt aus den englischen Begriffen „tyre“ (Autoreifen) und „fire exitinguisher“ (Feuerlöscher). 

Schnell nach ihrem Aufkommen expandierten die Tyre Extinguishers ins Ausland. Auch in Deutschland gab es schon Dutzende Fälle, unter anderem in Berlin, Ulm, Bonn, zuletzt im vornehmen Süden von Essen. Mit ihren Aktionen zielen die Tyre Extinguishers nicht darauf ab, die SUVs zu beschädigen, sondern sie zu „entschärfen“, wie die Gruppe es nennt. Ist die Zeit der friedlichen Klimaproteste also vorbei? Wird die Bewegung nun militant? Und was bedeutet das für die Verkehrswende?

„Es liegt nicht an Ihnen, sondern an Ihrem Auto.“ 

Aus einem Flugblatt der Tyre Extinguishers

Selbst wenn die Tyre Extinguishers die Autos nur temporär fahruntüchtig machen, dürfte es sich um Sachbeschädigung handeln – und damit eine potenzielle Straftat. Das erklärt die Staatsanwaltschaft Bonn gegenüber FUTURE MOVES, ohne auf einzelne Fälle Bezug zu nehmen. Es sei denn, die Aktionen passierten an einer Tankstelle, wo sich die Reifen direkt und kostenlos wieder füllen ließen, um ohne größere Probleme weiter fahren zu können. Was natürlich genau nicht das ist, was die Aktivist*innen wollen. 

Freundlich im Ton, kompromisslos in der Sache: Flugblatt der Tyre Extinguishers

Selbsterklärtes Ziel der Tyre Extinguishers sind 10.000 außer Gefecht gesetzte SUVs bis Weihnachten. Angesichts der auf ihrer Website akribisch dokumentierten Fälle erscheint das eine absolut realistische Marke. „Wir ergreifen diese Maßnahme, weil Regierungen und Politiker versagt haben, uns vor diesen riesigen Fahrzeugen zu schützen“, schreiben die Tyre Extinguishers auf ihrer Website. 

Dort gibt es auch eine Anleitung, wie man SUVs erkennt und Tricks, um möglichst effizient vorzugehen. Außerdem steht ein Flugblatt zum Download bereit, das unter den Scheibenwischer geklemmt werden soll: „ACHTUNG – Ihr Spritfresser ist tödlich“ ist es überschrieben und in mittlerweile 14 Sprachen erhältlich. Darin stehen dann Sätze wie: „Sie werden wütend sein, nehmen Sie es nicht persönlich. Es liegt nicht an Ihnen, sondern an Ihrem Auto.“ 

Wie groß die Gruppe ist, wo sie am aktivsten ist und wie schnell sie wächst und, lässt sich nur erahnen. Wiederholte Anfragen an ihre Mailadresse für „Kommentare, Medienanfragen und Todesdrohungen“ blieben unbeantwortet. Doch bei allen Spuren von britischem Humor. Die Tyre Extinguishers agieren kompromisslos. 

„Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF“

Tadzio Müller, Politologe und Klimaaktivist

Die anonyme Gruppe der SUV-„Entschärfer“ hebt den Klimaprotest auf ein neues Level. Wie es auch die Angehörigen der Letzten Generation tun. Oder die Gruppierung Ende Gelände, die gerade dabei ist, ihre Scheu vor Sachbeschädigung zu verlieren. Hat Aktivist und Ende-Gelände-Mitgründer Tadzio Müller also Recht, wenn er seit Monaten die Radikalisierung der Klimabewegung prophezeit? 

Vor zweieinhalb Jahren rief Fridays for Future zum ersten Weltklimastreik auf, am 23. September findet die zehnte Auflage statt. Doch immer mehr Klimaaktivist*innen bezweifeln, dass Demos etwas bewirken. Foto: Fridays for Future Deutschland

„In Deutschland ist der Klimakampf zunächst der Kampf gegen die Autoindustrie.“; „Zerstörte Autos, Sabotage – das wird es nächsten Sommer auf jeden Fall geben“; „Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF“ – Müller ist ein verlässlicher Lieferant schlagzeilentauglicher Zitate. Das Kalkül der Reichweitenverstärkung durch pointierte Aussagen liegt auf der Hand. Doch selbst wenn Klimaaktivist*innen bislang keine Autos demolieren, zumindest in der Tendenz scheint Müller Recht zu haben. 

Wobei eher keine Randale zu erwarten sind, wenn am kommenden Freitag der Weltklimastreik stattfindet. Es ist bereits das zehnte Mal, dass Fridays for Future (FFF) seit der Premiere im März 2019 dazu aufruft. Ganz unabhängig davon, wie viele Menschen FFF diesmal wird mobilisieren können, ein deprimierender Verdacht steht im Raum. Es könnte sein, dass Wladimir Putin durch seinen Angriffskrieg auf die Ukraine und die folgende Eskalation an den Öl- und Gasmärkten mehr Entscheidungsträger*innen zu Verfechter*innen einer radikalen Ablösung von fossiler Energie gemacht hat, als alle bisherigen FFF-Demonstrationen zusammen. 

„Ich will mich nicht auf die Straße setzen, vor Gericht gehen und verurteilt werden“

Aktivistin der Letzten Generation

Genau diese Einsicht in die letztliche Wirkungsarmut von Demonstrationen hatte zum Hungerstreik geführt, aus dem die Letzte Generation (LG) hervorgegangen ist. Ist das jetzt ein Aufruf, dass sich jeder auf die Straße kleben sollte, der etwas zur Beschleunigung des Ausstiegs aus fossiler Energie tun will? Ganz sicher nicht. Aber vielleicht lässt sich von den Aktivist*innen etwas abschauen.

Ihre Aktionen, bei denen sich Mitglieder der Gruppe mit Sekundenkleber auf Straßen fixieren, machte die Letzte Generation Anfang 2022 schlagartig bekannt.

Im FUTURE MOVES-Podcast hat Letzte-Generation-Mitgründerin Lea Bonasera die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung als eines ihrer Vorbilder genannt. Dabei ging es ihr nicht darum, den Kampf gegen Rassismus und den für mehr Klimaschutz auf eine Stufe zu stellen. Das Vorbildhafte für ihre eigene Bewegung sieht sie vielmehr in der Konsequenz der Bürgerrechtsbewegung. Wie deren Kämpfer*innen absolut gewaltfrei und ohne Scheu vor persönlichen Folgen für eigenen Ziele eingestanden sind.

„Ich will mich nicht auf die Straße setzen, vor Gericht gehen und verurteilt werden“, sagte eine angeklagte LG-Aktivistin vor wenigen Tagen in einem Münchner Verhandlungssaal. Aber sie sehe keine andere Möglichkeit, angesichts einer nicht handelnden Politik. Zu solchen Szenen dürfte es demnächst häufiger in deutschen Gerichten kommen. Denn dies sind gerade die ersten Verfahren gegen Angehörige der LG, die im Frühjahr Straßen blockiert hatten.  

Man kann es für pathetisch halten, wie die Angehörigen der LG ihre Furcht vor dem Nichterreichen des 1,5-Grad-Ziels nach außen tragen, wie sie die eigene Verzweiflung betonen und dass einigen von ihnen vor Gericht die Tränen kommen, wenn sie über den Klimawandel sprechen. Was man ihnen aber nicht absprechen kann: Die Gefahren, die sie sehen, sind real. Die Katastrophe, die sie mit ihren Aktionen stoppen wollen, ein wissenschaftlich abgesichertes Szenario. 

„Das Ziel, was sie hatten, ist mehr als lobenswert“

Eine Münchner Richterin gegenüber Aktivist*innen der Letzten Generation

Das sah auch die Münchner Richterin so. „Das Ziel, was sie hatten, ist mehr als lobenswert“, erklärte sie den insgesamt drei Angeklagten. Und empfahl, sie sollten lieber weniger radikale Mittel wählen, besser demonstrieren gehen. Die Richterin beließ es bei einer Verwarnung. Diesen „Freispruch light“, wie es einer der Aktivist*innen nannte, nahmen die natürlich an. Zugleich erklärten sie aber auch, ohne Frage wieder auch in Zukunft an Protestaktionen teilzunehmen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Keine Eskalation, sondern Konsequenz – das könnte der Weg sein, sich radikal, aber dauerhaft gewaltfrei für den Schutz des Klimas zu engagieren.

Auch wenn man die Mittel der neuen Welle der Klimaschützer*innen nicht gutheißt. Fakt ist: Sie bringen persönliche Opfer, um die Klimakrise abzuwenden. Und dieses Interesse teilen wir mit ihnen. Vielleicht täte uns allen darum etwas mehr Konsequenz ganz gut. Wer die Mobilitätswende voranbringen will, sollte sich auch dann dafür engagieren, wenn das bedeutet, andere Leute zu nerven und sich unbeliebt zu machen.

Zum Beispiel, wenn Kolleg*innen alleine in ihrem Pkw ins Büro fahren. Oder wenn die Verwandten sich als nächstes Auto doch wieder einen Verbrenner zulegen wollen. Oder der eigene Arbeitgeber 1.000 Gründe nennt, die Dekarbonisierung der Firmenflotte nicht anzugehen. In solchen Situationen klar und direkt zu sagen, dass man anders denkt, von seinen Mitmenschen verantwortungsvolles Handeln einzufordern – das ist nicht immer angenehm. Wenn aber genug von uns das täten, die Verkehrswende würde das definitiv schneller voranbringen als ein paar Tausend SUVs mit platten Reifen.

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Lea Bonasera

Lea Bonasera

Auf Gewalt verzichten, Gesicht zeigen, Konsequenzen akzeptieren und sich davon nicht abschrecken lassen, weiter für die eigenen Ziele einzutreten –  im FUTURE MOVES Podcast hat Letzte-Generation-Mitründerin Lea Bonasera über die Prinzipien der Bewegung und ihren Weg zur Klimaaktivistin gesprochen.

Tadzio Müller

Tadzio Müller

Hedocommie, HIVpos., #antifa.schistische #ClimateJustice-Schwuchtel. #Unräumbar & Unangreifbar!“ So beschreibt sich Tadzio Müller in seiner Twitter-Bio. Der schillernde Klimaaktivist liebt  provokante Thesen und ist Mitgründer der gegen fossile Energie gerichteten Protestgruppe Ende Gelände.