Viele wissen grob, wieso es bei der Energiewende hakt: In Schleswig-Holstein beispielsweise werden rund 160 Prozent des Strombedarfs mit Erneuerbaren Energien erzeugt. Das Bundesland versorgt also nicht nur sich selbst, sondern auch große Teile Norddeutschlands mit Ökostrom. Ist es an der Küste besonders windig, entsteht viel Strom, der Abnehmer:innen braucht. Doch die haben nicht immer Bedarf, vor allem nicht bei Nacht. Die Folge: Statt Strom in den Süden durchzuleiten, was seit mehr als einem Jahrzehnt zwar diskutiert, aber aufgrund unterschiedlicher Befindlichkeiten noch immer nicht möglich scheint, müssen die Erzeuger draufzahlen. Der Strom aus dem Norden wird ins Ausland verkauft – während im Süden zugekauft werden muss. Ein Worst-Case-Szenario, das beispielsweise auch auf mit Photovoltaik betriebenen Betriebshöfen am Sommer-Sonntag auftauchen kann.

Potenzielle Lösungen wurden bereits reichlich erdacht: Der Strom könnte für den Betrieb von Elektrolyseuren dienen und Wasserstoff zur Zwischenspeicherung oder zur Nutzung herstellen. Ausgediente (E-Auto-)Akkus könnten in ihrem zweiten Leben als Speicher in Wohnhäusern und Betrieben dienen und den Strom wieder zurück ins Netz leiten, wenn die bei nächtlicher Windstille die von Kritikern der Energiewende befürchtete „Dunkelflaute“ einsetzen sollte. Doch auch während des Betriebs von E-Fahrzeugen gibt es Lösungen mit großem Potenzial für Geldbeutel und Umwelt. Diese sind in Skandinavien längst verbreitet, werden jedoch hierzulande noch gar nicht genutzt: dynamic pricing.

Wie bereits Philipp Schröder von 1Komma5° beim FUTURE MOVES Summit erläuterte, müssen Auto, Strom und Wärme zwingend ein gemeinsames Ökosystem bilden. Die zeitvariable Strombepreisung ist laut einer Forschungsarbeit vom hessischen Honda Research Institute ein „geeignetes Mittel, um das Flexibilitätspotenzial der Nutzer von Elektrofahrzeugen zu erschließen“ – kann Fahrer:innen also dazu animieren, dann zu laden, wenn es für das Stromnetz am sinnvollsten oder besonders grün ist. Das solle „die künftige Integration von Elektrofahrzeugen und erneuerbaren Energiequellen in das Stromnetz“ erleichtern. In der komplexesten Form mit dynamischer Preisgestaltung.

Sowohl für die Netz- als auch für die Betreiber von Ladestationen wäre es hilfreich, würden E-Autofahrer:innen die Batterien für die Bereitstellung von Vehicle-to-grid-Diensten freigeben, insbesondere zu Hause, wo E-Fahrzeuge in der Regel länger eingesteckt sind als im öffentlichen Raum. Für das Laden zu Hause könne eine verteilte Steuerung über dynamische Preissignale statt über Mondscheintarife ein Mechanismus sein, um Netzlasten zu steuern.

„Es gelten statische Strompreise, die von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig sind und vom Energieversorger festgelegt werden“

Almir Hajdarpasic, Country Manager von Monta

Dynamisches Pricing kann Betreibern helfen, Ladestationen profitabel anbieten zu können. Sie könnten die Nachfrage an verschiedenen Standorten regulieren, wie es beispielsweise schon Tesla tut, wenn auf längeren Reisen an einem Supercharger-Standort Staus drohen. Die Netzbetreiber könnten Überlastungen von Transformatoren vorbeugen. Die in Kopenhagen entwickelte Software und App Monta beispielsweise lässt dänischen B2B-Kundschaft und Endverbraucher:innen die Wahl, ob sie CO2-arm, erneuerbar (also auch ohne Kernergie) oder möglichst günstig laden möchte und steuert so das Aufladen. Doch das ist hierzulande noch nicht möglich.

„Energielieferanten legen die Strompreise und wie sich diese zusammensetzen, fest. Das bedeutet für den deutschen Markt: Es gelten statische Strompreise, die von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig sind und vom Energieversorger festgelegt werden.“, sagt Almir Hajdarpasic, Country Manager von Monta in Deutschland. „Darüber hinaus gibt es auch ein weiteres Hindernis: Die technische Komponente. Dynamische Strompreismodelle erfordern eine entsprechende Software, sodass die Preise auch transparent dargestellt und gemessen werden können.“ Monta könne diese liefern, in Deutschland werden Preisschwankungen am Markt jedoch noch nicht an den Endkonsument:innen weitergegeben oder dargestellt.

„Mit unserem Preismodell haben wir die Möglichkeit, die Preise des Spotmarktes weiterzugeben“

Andreas Remmele, Leiter E-Mobility LEW Netzservice

Immerhin: Hier in Deutschland haben E.ON Innovation und die Lechwerke AG bereits einen Test abgeschlossen mit E-Lkw und Bussen. Zwei Ladestationen sind im Großraum Augsburg nun mit dynamischen Preismodellen ausgestattet, die stündlich angepasst werden. Die interessierte Kundschaft könne per E-Mail oder App eine Übersicht erhalten, wann das Aufladen von Lkw und Bussen besonders günstig sein wird. Andreas Remmele, Leiter E-Mobility beim LEW Netzservice sagt hierzu: „Wir sehen einen hohen Bedarf im Ausbau der Ladelösungen für gewerbliche Fahrzeuge. Mit unserem Preismodell haben wir die Möglichkeit, die Preise des Spotmarktes an die Kundinnen und Kunden weiterzugeben.“ Wegen der großen Ladekapazitäten für Lkw und Busse ergeben sich mit einer variablen Preisgestaltung hohe Einsparpotenziale.

Am sinnvollsten wäre es für das Netz, den Geldbeutel und die Umwelt, würden alle E-Fahrzeuge in Deutschland so oft wie möglich am Strom hängen. Dann könnten sie, bidirektionales Laden vorausgesetzt, nicht nur Schwankungen im Netz stabilisieren, sondern dann laden, wenn es grün und/oder günstig ist.

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Stefan Herr

Stefan Herr

Er hat eine lange Historie in der Energiebranche und war von 2017 bis 2020 für die Infrastruktur für E-Autos bei Innogy verantwortlich, seit Ende 2020 ist Stefan Herr „Senior Innovation Manager eMobility“ bei der E.ON Group Innovation.

Casper Rasmussen

Casper Rasmussen

Casper Rasmussen ist CEO, CTO und Co-Founder des jungen Unternehmens Monta, das erst im Dezember 2020 an den Start ging und Skandinavien aufgrund der Vereinheitlichung von Software für unterschiedliche Ladestationstypen im Sturm erobert.