Autos und Nutzfahrzeuge, selbst im Schwerlastverkehr, werden in Zukunft überwiegend mit Strom fahren. Kritiker:innen des E-Antriebs führen die Reichweite, Ladezeit, Rohstoffe oder den Wasserbedarf als Argumente gegen das E-Auto an. Argumente, die zwar nicht zu vernachlässigen, aber oft aus dem Kontext gerissen werden. Ein Beispiel: Für die Gewinnung in der Atacama-Wüste von Lithium für eine Traktionsbatterie bedarf es 5.000 Liter Wasser. Das entspricht dem Wasserbedarf eines 250-Gramm-Stücks Rindfleisch. Der Rohstoffbedarf wird stetig reduziert und einige Metalle nicht mehr verwendet. Heutige Reichweiten und Ladezeiten sind für weit über 90 Prozent der Deutschen kein Problem, oft wird jedoch mit dem Maximalbedarf an Reichweite argumentiert statt mit dem tatsächlichen.

Dabei spricht vieles für Batterien: Sie zu laden, ist um den Faktor vier effizienter als Wasserstoff herzustellen, was aufgrund der mit der Energiewende einhergehenden Herausforderungen nicht unerheblich ist und der Schlüssel sein könnte zu einem früheren Ausstieg aus fossiler und nuklearer Energie. E-Fahrzeuge unterstützen eine lokale und dezentrale Energieproduktion, etwa indem sie als Speicher für Photovoltaik-Anlagen dienen, wodurch Abhängigkeiten von Erzeugern im Ausland reduziert werden. Zudem wird Wasserstoff ohnehin anderswo gebraucht: im Flug- und Schiffsverkehr, in manchen Lkw, in der Schwerindustrie, zur Produktion von Ersatz für fossile Brennstoffe. Und bald sogar … im Fahrrad.

Eine Handvoll H2-Cargobikes gibt es bereits in Europa. Foto: Interreg North-West Europe

Nein, das ist kein Aprilscherz. Die Brennstoffzelle könnte wirklich ins Fahrrad kommen, und das obwohl neben der Effizienz der Wasserstoffherstellung eine miserable Infrastruktur gegen sie spricht. Eine Urlaubsfahrt mit dem Auto ist in weite Teile Europas, etwa nach Italien, de facto unmöglich. Doch zwischen Auto und Fahrrad gibt es ein paar Unterschiede, insbesondere bei Cargobikes, wie sie von Lieferdiensten verwendet werden: Dem Gewicht und Raumbedarf des Antriebs kommt beim Lastenrad eine viel größere Bedeutung zu. Hier kommt der Vorteil der Brennstoffzelle zum Tragen: die gravimetrische Energiedichte von Wasserstoff.

Sie beschreibt, wie viel Energie ein Energieträger im Verhältnis zur Masse, also dem Gewicht, speichert und die ist 100-mal so hoch wie jene einer Lithium-Ionen-Batterie. Die Reichweite von üblichen kommerziell genutzten Lastenrädern beträgt zwischen 20 und 40 Kilometern, der ADAC misst für ein beliebtes privat genutztes Cargobike ebenfalls nur knapp 50 Kilometer Reichweite. Doch oft legen Berufsradler:innen an besonders geschäftigen Tagen 70 Kilometer zurück. Entweder müssen sie den Akku mehrfach zwischen Touren tauschen – oder mehr Muskelkraft aufbringen. Mit einer Brennstoffzelle ließe sich die Reichweite schnell vervielfachen. 

Eine Erkenntnis, die in unterschiedliche Forschungsprojekte und Konzepte mündete. Das Stuttgarter „Fuel Cell Cargo Pedelec“ ist mit unterschiedlichen Einheiten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und mit Projektpartnern aus England, den Niederlanden, Belgien und Frankreich entstanden und dreht aktuell Testfahrten. Im vergangenen Jahr ging das HydroCargo an den Start. Das in den Niederlanden lokal und regional geförderte und in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Cargobike-Hersteller Urban Arrow entstandene Projekt sei entstanden, weil der Logistikdienst „Groene Rijders“ (Grüne Radler) einen Bedarf nach höheren Reichweiten anmeldete. Die anvisierte Reichweite seien zunächst 50 Kilometer, bei reduziertem Platz- und Gewichtsbedarf.

„Eine beträchtliche Nachfrage aus Deutschland“

Alan Yu, CEO Lavo

Die Versorgung mit frischem Wasserstoff klappt momentan noch an der Tanke. Entsprechende Stationen sind aber rar gesät. Doch Alternativen sind in Arbeit. Das australische Energieunternehmen Lavo testet das Hydrogen Energy Storage System (HESS), also einen Wasserstoff-Energiespeicher. Er soll das langfristige Speichern von Energie ermöglichen – sowohl im industriellen Ausmaß als auch im kleinen, zu Hause. Die Energie stammt aus Photovoltaik-Anlagen, die mit dem rund 1,70 Meter hohen und 1,30 breiten HESS verbunden sind. In Deutschland kommt das laut CEO Alan Yu gut an: „Seit der Markteinführung des Lavo-Systems hat das Unternehmen bereits eine beträchtliche Nachfrage aus Deutschland erfahren“, weshalb Lavo 2021 eine eigene deutsche Zweigstelle gegründet hat.

Aber wie kommt der Wasserstoff ins Fahrrad? Zusammen mit dem niederländischen Designstudio Mom hat Lavo im vergangenen Jahr dann das Lavo Bike vorgestellt. Darin spielt der Wasserstoff seinen Vorteil der höheren Energiedichte über ein Patronensytem aus. Die Kartuschen sind denen eines Wassersprudlers vergleichbar und sie sind entnehmbar wie Akkus von heutigen E-Bikes. Dadurch sollen sich in wenigen Augenblicken 150 Kilometer Reichweite nachladen lassen.

Einem Hauptkritikpunkt an Wasserstoff will das Leibniz-Institut für Katalyse (LIKAT) zu Leibe rücken: Dort entsteht eine Alternative zur Speicherung unter hohem Druck oder niedriger Temperatur. Die dort in Entwicklung befindliche Wasserstoff-Batterie setzt auf eine andere Technologie als HESS. Das LIKAT-System nutzt Ameisensäure als Speichermedium für den Wasserstoff im Verbund mit einem Mangan-Katalysator. Die Forscher:innen versprechen zudem einen hohen Wirkungsgrad bei Speicherung und Freigabe des Wasserstoffs. Es würden keine Edelmetalle benötigt und das für die Speicherung benötigte CO2 verbleibe anschließend in der Batterie.

Ein weiteres Problem, das es noch zu lösen gilt, sind die Kosten. An der Tankstelle gekaufter Wasserstoff ist mit 12,85 Euro pro Kilogramm in diesem Jahr auf ein Rekordhoch geklettert, sodass sich ein wirtschaftlicher Betrieb mit dem Cargobike noch nicht lohnt. Das HESS und die LIKAT-Batterie könnten durch die einfachere Speicherung und Herstellung einen erheblichen Einfluss auf den Preis haben. Falls das gelingt, könnte sich der H2-Antrieb beim Fahrrad als Alternative zur Batterie etablieren.

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Achim Hartig

Achim Hartig

Achim Hartig ist Geschäftsführer der Investorenberatung bei Germany Trade & Invest, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik. Außerdem ist Hartig seit Februar 2021 bei der OECD – Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Alan Yu

Alan Yu

Der Australier Alan Yu ist seit März 2020 Geschäftsführer von Lavo. Parallel dazu ist er Industrie-Liaison beim Forschungszentrum für Wasserstoffenergie in Sydney. Das erklärte Ziel des CEO: eine Diskussion zu entfachen zu Verhaltensweisen in Bezug auf Nachhaltigkeit, Umwelt und verantwortungsbewusstes Konsumverhalten.