Als Bestrafung gedacht, Belohnung geworden
Nach dem Dieselskandal verpflichtete sich Volkswagen in den USA, Milliarden in den Aufbau eines öffentlichen E-Auto-Ladenetzes zu stecken. Warum sich dieser Bußgang inzwischen als vielversprechendes Investment erweist.
Ein bisschen ist es wie früher in der Schule: Wenn Schüler:innen so richtig Mist gebaut hatten, wurden sie von den Lehrer:innen zu Mehrarbeit verdonnert. Matheaufgaben rechnen oder seitenweise Lexikoneinträge abschreiben. Der pädagogische Kniff: Klar ist es irgendwie eine Strafe, aber am Ende profitieren die Bestraften davon am meisten. Auch Volkswagen hat sich einmal mächtig Ärger eingehandelt und bekam dafür Arbeit aufgebrummt.
Im Zuge eines Vergleichs verpflichtete sich VW als Buße für den Abgasskandal, über zehn Jahre verteilt 2 Mrd. Dollar in den Aufbau einer öffentlichen Ladeinfrastruktur in den USA und Kanada zu investieren. Klar, irgendwie eine Strafe, aber wie sich inzwischen herausstellt: vielleicht die beste Mehrarbeit, die Volkswagen je auferlegt worden ist.
Denn nicht nur wächst die dafür 2016 gegründete Konzerntochter Electrify America prächtig und verkündet immer ambitioniertere Ausbauziele. Am Dienstag machte Volkswagen bekannt, dass Siemens nun Teilhaber der Tochterfirma ist und stolze 450 Mio. Euro in das Projekt steckt. FUTURE MOVES hat sich einmal angesehen, welche Auswirkungen die Strafarbeit Ladenetzaufbau auf die Antriebswende in den USA nimmt.
Eine Strafe, die ein Invest ist
Gewöhnlich bedeutet ein Vergleich, der Missetäter bezahlt und alles ist – rein juristisch betrachtet – vergeben und vergessen. Im Fall des Deals zwischen Volkswagen und den US-Behörden handelt es sich im Grunde um das genaue Gegenteil. Vermutlich wäre VW vor sechs Jahren noch nicht aus eigenem Antrieb auf die Idee gekommen, die USA mit einem Netz aus Ladesäulen zu überziehen und damit später vielleicht sogar einmal Geld zu verdienen. Die „Zwangsinvestition“ ist am Ende aber genau das: ein Investment. Noch zahlt sich dieses allerdings nicht aus: Im vergangenen Jahr konnte Electrify America Schätzungen zufolge nur rund ein Zehntel des Invests umsetzen. VW darf dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.
Denn die E-Offensive beginnt gerade erst und bis zum Jahr 2026 will Electrify America an 1.800 Standorten 10.000 Schnelllader mit bis zu 350 kW Ladeleistung installiert haben. Auch wenn das Ladenetz Modellen aller Autohersteller offen stehen muss, freut das nicht zuletzt die Volkswagen-Kundschaft: Die will mit dem Elektro-SUV ID.4, dem E-Bulli ID.Buzz und weiteren für Nordamerika geplanten E-Modellen vernünftig und mit kurzen Ladezeiten von A nach B kommen.
Weil Electify America als nationales System angelegt ist und dank üppiger finanzieller Unterstützung aus Niedersachen diesem Ziel rasant näher strebt, kann Volkswagens Tochterfirma den Nutzenden – wie Marketing-Leute es nennen – ein nahtloses Kund:innenerlebnis bieten. Deren Zuspruch wiederum versetzt Electrify America in eine Position, die ansonsten nur Tesla mit den Supercharger genannten eigenen Schnellladestationen inne hat.
US-Regierung killt Monopol
Man muss kein Freund der Republikanischen Partei sein, aber hier hatte sie wirklich einen Punkt: Schon bei Bekanntgabe des Deals mit VW hatten die Republikaner der Umweltbehörde EPA vorgehalten, dass hier sehenden Auges eine Nicht-Strafe verteilt würde, die VW möglicherweise am Ende sogar einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Ganz so schlimm ist es aber nicht, denn anders als beim Rivalen Tesla ist eine Bevorzugung der eigenen Flotte nicht erlaubt.
Immerhin, und das dürfte der Republikanischen Partei wiederum sehr recht sein, wurde durch Electrify America nebenbei der monopolähnliche Lademarkt in den USA aufgebrochen. Das Feld der Ladestromanbieter ist dort bislang nämlich deutlich weniger stark fragmentiert als etwa der deutsche Flickenteppich. Chargepoint, den einst übermächtigten, nun halt nur noch größten Konkurrenten von Electrify America dürfte dieser außergerichtliche Vergleich darum nicht freuen.
Volkswagen dreht ruiniertes Image
Der vielleicht größte Gewinn für Volkswagen lässt sich aber gar nicht in Zahlen ausdrücken. Nachdem es dem deutschen Konzern mit dem super-niedlichen Super-Bowl-Spot im Jahr 2011 gelungen war, zum sympathischsten Automarke überhaupt zu werden, folgte mit Bekanntwerden des Dieselskandals der umso tiefere Sturz. Mancher sah Volkswagen damals bereits als Fall für den Insolvenzvollstrecker.
Stattdessen handelten VWs Anwälte einen Vergleich aus, der nun also dazu führt, dass sich Volkswagen vor der US-Kundschaft statt „die Deutschen mit dem Dieselskandal“ – nicht einmal zu Unrecht – als „Wegbereiter der Antriebswende in den USA“ fühlen darf. Und die lokalen Player stehen mit Ausnahme von Tesla ziemlich düpiert da. Was bei allem „New Auto“-Getrommel und Tesla-Bejubeln aus Wolfsburg schnell außer Sicht gerät. Noch verdient der Konzern das meiste Geld mit konventionellen Verbrennern wie dem vor allem in den USA beliebten Pickup Amarok, dessen 2023er-Neuauflage kommende Woche enthüllt wird.