Pickups, in den USA Trucks genannt und hierzulande früher Pritschenwagen, führen ein Nischendasein. Doch auch wenn das Kraftfahrt-Bundesamt keine Zahlen für diese Fahrzeugkategorie ausweist – sie scheinen zahlreicher zu werden. Und das nicht nur auf dem Land, wo man sie erwarten könnte, sondern vor allem im der Stadt.

Das da ein Hype beginnt, das belegen die Zahlen. Da ist etwa der Pionier Rivian, aus dessen Werk mittlerweile rund 600 E-Pickups pro Woche rollen und der Mühe hat, der hohen fünfstelligen Zahl an Vorbestellungen hinterher zu kommen. Oder Tesla. Die Firma richtet in Texas aktuell die Bänder zur Herstellung des futuristischen Cybertrucks ein. Der galt schon als Automobile Ikone, ehe der erste Pickup überhaupt auf der Straße fuhr. Ford wiederum ist gerade dabei, die Produktionskapazität für die E-Version des F-150 – seit 45 Jahren meistverkauftes Autos in den USA – auf 150.000 Einheiten im Jahr zu vervierfachen. Und Volkswagen will den Pickup-Boom für ein elektrisches Comeback der Marke Scout nutzen.

Gewagte These der FUTURE MOVES-Redaktion: Pickups sind die neuen SUVs. Also die Fahrzeugkategorie, die von den Kund*innen nicht aufgrund ihres tatsächlichen Nutzwerts sondern ihres Images geschätzt wird. Zunächst in den USA, aber bald vielleicht auch in Europa. Was ist vom heranrollenden Boom der Monster-Autos zu halten?

Kontra: Christian Cohrs

Neulich haben wir uns in der FUTURE MOVES-Redaktion ein bisschen über ein Video amüsiert. Ein deutscher Autohersteller, nennen wir ihn A, inszenierte in dem kleinen Clip im Close-up die Lüftungsdüse seines neuen Pickup-Modells derart episch, als handele es sich um eine wiederentdeckte Statue aus der Werkstatt Michelangelos. Was hätte man mit dem Budget für dieses Video alles Sinnvolleres anstellen können… Aber gut, Big Auto halt.

Erst auf der IAA Transportation habe ich dann verstanden, warum der Autobauer sich dermaßen auf ein total egales Detail der Innenausstattung kapriziert. Der Pickup ist im Kern nämlich das Modell des Mitbewerbers B, das nur umgelabelt wurde. Und die Innenraum-Geruchsprobe durch einen Kollege bestätigte den Verdacht: Dieses Auto riecht nicht einmal nach Hersteller A, sondern eindeutig nach einem notdürftig verkleideten B.

Da rollt was auf uns zu: Bis zu 150.000 E-Pickups will Ford ab 2023 jährlich ausliefern. Foto: Ford

Diese Unstimmigkeit (und übliche Praxis im spätkapitalistischen Automobilbau) ist für mich irgendwie symptomatisch. Denn wir erleben gerade die Entstehung eines neuen Hypes. Nachdem jahrelang SUVs die Verkaufscharts und das Straßenbild dominiert haben, rollen nun mit Macht die Pickups an. Autohersteller, die weit im Voraus planen müssen, aber die Zukunft nicht vorhersehen können, wollen natürlich alle dabei sein und verkaufen den Kund*innen lieber ein B als A, nur um ja nicht den Einstieg in das Segment zu verpassen, ehe sie selbst entwickelte Pickups anbieten können.

Die Ironie ist offensichtlich: Das SUV wird ausgerechnet von einer Fahrzeugkategorie als Modeauto abgelöst, die VW Tiguan, BMW X7 und Mercedes GLC in der Rückschau wie sparsame Vernunftautos aussehen lässt. Immerhin: Diese Entwicklung, die einen schon etwas in Zivilisationspessimismus versetzen kann, ist mit einem Ablaufdatum versehen. Auch im Pickup-Segment ist die Elektrifizierung beschlossene Sache.

Nur: Allein weil Strom statt Sprit zur Anwendung kommt, um die elefantenschweren Fahrzeuge anzutreiben, sind diese darum nicht nachhaltig. Die Herstellung verschlingt so viel Ressourcen, dass sich ein ganzes Dorf mit E-Bikes versorgen ließe. Und in den Städten werden Pickups demnächst zum Störfaktor, der uns noch wehmütig an die kompakten SUVs zurückdenken lässt. Diese Woche ging ein Foto bei Twitter rum, das eine Ahnung gibt, welche Auswüchse (literally) der Pickup-Hype bringen wird.

„Die Entkopplung von Nutzwert und Raumbedarf erreicht mit Pickups eine neue Dimension“

Christian Cohrs

Warum aber kaufen sich Menschen überhaupt diese Autos? Die wenigsten dürften am Wochenende frisch erlegte Hirsche durch die Gegend fahren müssen. In der Regel transportieren diese Autos ungenutzte Ladefläche. Die Entkopplung von Nutzwert und Raumbedarf, die schon beim Übergang vom Van zum SUV zu beobachten war – mit Pickups erreicht sie noch einmal eine komplett neue Dimension. Ich bin kein Psychoanalytiker. Aber mich würde es nicht wundern, wenn jemand einen Zusammenhang entdecken würde von Antriebswende-bedingter Kastrationsangst und Überkompensation durch Fahrzeugvolumen. Ich nenne es mal das Hubraum-Hohlraum-Syndrom.

Aber, Optimist der ich bin, glaube ich zum einen, dass der Pickup-Hype schon aus Gründen der bedingten Alltagstauglichkeit dieser Autos in deutschen Innenstädten und Parkhäusern nicht dermaßen gewaltig ausfallen wird wie der Siegeszug des SUV. Zum anderen möchte ich dem Ganzen eine positive Seite abgewinnen. Eben weil diese Fahrzeuge so grotesk überdimensioniert sind, werden sie helfen, die Debatte um die Verteilung von öffentlichem Raum auf eine neue Stufe zu heben. 

Konkret geht es mir um die Idee, die Preise für Anwohner-Parkausweise auf ein Niveau zu bringen, das mindestens den Kosten entspricht, die mit der Bereitstellung eines Parkplatzes verbunden sind. Warum differenziert man hier nicht weiter? Statt pauschal einen Stellplatz zu bepreisen, ließe sich die Gebühr auch an die Dimensionen eines Fahrzeugs koppeln. Denn in der Praxis sind vor allem SUV-Fahrer*innen die Stellplatz-Markierungen oft ein bisschen egal, weil nur die Restfläche des davor oder dahinter stehenden Kleinwagens es überhaupt möglich macht, ihr Auto dort abzustellen oder die Türen öffnen zu können. 

Pickups werden diese Ungerechtigkeit noch größer machen. Und klar, kann man hier eine Strafgebühr mit erzieherischem Anspruch erkennen. Wobei ich davon ausgehe, dass bei jemandem, der sich gerne in der Stadt mit einem Pickup bewegt jedes pädagogische Bemühen verpufft. Stattdessen dürfte der übliche Vorwurf kommen: Hinter der Feindschaft stecke doch nur Neid. Aber ganz ehrlich, wer will mit jemandem tauschen, der am Hubraum-Hohlraum-Syndrom leidet? Ich jedenfalls nicht. 

Pickups sind sinnlos? Am Lagerfeuer fällt die Antwort sicher eindeutig aus. Foto: Airstream

Pro: Max Wiesmüller

Wie viele Menschen verbinde ich das Wort Pickup vor allem mit den USA. In einem früheren Berufsleben hatte ich das Privileg, eine ganze Weile in Kalifornien zu verbringen. Auch in vermeintlich progressiven Städten wie San Francisco und Regionen wie dem Silicon Valley sind Pickups omnipräsent gewesen. Die Frage drängte sich auf: Wofür haben die Leute die?

Schnell habe ich zwei Dinge gelernt. Lektion eins: Trucks, die Arbeitstiere sind, sind weiß und verdellt und die Ladefläche voll mit Kram. Lifestyle-Pickups haben Metalliclack in allen Farben, Chromapplikationen und sehen ehrlicherweise nicht aus, als hätten sie jemals die Interstate 15 verlassen, die von Los Angeles nach Las Vegas führt, um wenigstens mal ein Reservat zu besuchen oder durchs Death Valley zu düsen. Die zweite Lektion: Die Annahme ist falsch. Denn, die Amerikaner stapeln Gravelbikes, Quads oder Jetskis auf ihren Ladeflächen, hängen dann noch ein unverschämt großes Boot oder einen Airstream-Wohnwagen hinten dran und brettern übers Wochenende zum nächsten See. Würde ich noch in den USA leben, sähe so mein Wochenende hoffentlich auch aus. (Mein Pickup führe aber mit Strom.)

Und das wissen auch die Autobauer hierzulande. Ich weiß nicht, ob du diese Woche schon einmal den Dollarkurs geprüft hast: Die Euro-Dollar-Parität sorgt natürlich dafür, dass es sich jetzt insbesondere für europäische Autobauer lohnen kann, in den USA sehr schnell einen Pritschenwagen auf den Markt zu bringen und den drei meistverkauften Fahrzeugen den Rang abzulaufen. Oder zumindest ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen, den sich bislang die Ford F-Serie, der Chevy Silverado und der Ram teilen.

Das führt dann eben so zu skurrilen Situationen wie dem Umlabeln von Pickups anderer Marken. Mercedes hat vor ein paar Jahren damit schlechte Erfahrungen gesammelt und sich nach nur kurzer Zeit entschieden, die X-Klasse einzustellen. Nicht nur, weil es den Lastenesel aus Stuttgart auch mit einem anderen Emblem gab, sondern weil man das auch merkte. Und Pickups hier eine rare Erscheinung sind. Bitte nicht vergessen: Pickups sind Nutzfahrzeuge und deutlich günstiger als man denkt. Daran müssen sich auch Premium-Pickups aus Europa richten. Ich würde also nicht davon ausgehen, dass uns bald deutsche Autobauer ihre für den US-Markt entwickelten Modelle vorsetzen. Falls doch: Was soll’s. Ist jetzt nicht so, dass ein BMW X7 oder ein Mercedes GLS die meistverkauften Autos in Deutschland wären.

„Verbieten, weil man etwas doof findet, ergibt keinen Sinn“

Max Wiesmüller

Ich gebe aber gern zu, der Kollege hat ja in vielerlei Hinsicht recht: Ein Pickup gehört nicht auf viel zu kleine Parkplätze in den ohnehin schon überfüllten Großstädten, vor allem dann nicht, wenn sein einziger Existenzgrund die Freizeitplanung ist. Dafür leben wir nicht in der richtigen Zeit, nicht im richtigen Land. Ich bin aber dagegen, das zu verbieten. Klar, ein Auto sollte legal geparkt sein. Es sollte für den genutzten öffentlichen Raum bezahlen und fair besteuert sein. Aber einfach nur verbieten, weil man etwas doof findet, ergibt keinen Sinn.

Förster*innen, Landwirt*innen, Gärtner*innen oder meinetwegen die Straßenreinigung haben ja gute Gründe, solche Fahrzeuge zu kaufen. Pickups sind mal mit, mal ohne Ladeflächen-Deckel vielseitiger als jedes andere Fahrzeug. Die Kabinen sind erstaunlich geräumig und bieten Platz für fünf Leute. Pickups sind, ganz anders als manches SUV, sehr offroadfähig. Und vor allem: Sie sind Nutzfahrzeuge, wovon wir in Deutschland jedes Jahr fast 300.000 Stück zulassen, damit Menschen ihrem Job nachgehen können. Zurecht sparen sie Steuern und Versicherung und damit bares Geld.

Ich habe mal beim Kraftfahrtbundesamt geschaut, wie viele Ford F-150, Dodge Ram oder Chevrolet Silverado zugelassen sind. Sie werden nicht gesondert ausgewiesen. Unter „Utilities“ und „Sonstige“ fanden sich am 1. Januar dieses Jahres 6.500 Fahrzeuge im gesamten Bestand der Bundesrepublik. Gehen wir davon aus, dass all diese Fahrzeuge eines der drei genannten sind, dann tummeln sich unter knapp 747.000 Fahrzeugen ein Ford F-150, Dodge Ram oder Chevrolet Silverado. Vielleicht sollten die Pseudo-Verkehrswendisti ihre Zeit und Energie lieber an anderen Fronten investieren. 

Also: Wenn sich dieser Tage Menschen im Netz über einen mutmaßlich in Berlin falsch geparkten Pickup aufregen, dann tun sie das zurecht, weil er sch**** geparkt hat, aber nicht, weil er das falsche Auto gewählt hat. Welche Hybris muss einen bitte ereilen, ohne Menschen und ihren Alltag genauer zu kennen, in denselben hineinreden zu wollen. Das ist einfach nur anmaßend und für mich schlimmer als ein zu großes Auto zu haben. Mein Tipp: Sprich falsch parkende Pickup-Fahrer*innen doch einfach an und bitte freundlich, künftig rücksichtsvoller zu parken. Das ist meiner Erfahrung nach effektiver als der erbärmliche Cancel-Versuch der Twitter-Mecker-Bubble.

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Christian Cohrs

Christian Cohrs

Renault Twingo, Mazda MX-5, Toyota Yaris – die Auto-Biographie von Christian Cohrs ist die Anti-These zum Pickup.  Die Abneigung des Redaktionsleiters von FUTURE MOVES gegen die Monster-Fahrzeuge erfolgt aber aus Prinzip, sondern als Ergebnis rein rationaler Erwägungen.

Max Wiesmüller

Max Wiesmüller