Ist dieser Mann der Elon Musk des Motorrads?
Motorrad-Hersteller entdecken das Thema nachhaltige Mobilität für sich. Einer davon ist – ausgerechnet – Erik Buell, der seit Jahrzehnten mit kompromisslosen Sport- und Rennmaschinen von sich Reden macht
Wer schnelle Motorräder mag, kennt Erik Buell. 1983, vor fast 40 Jahren, begann der US-Amerikaner mit Konstruktion, Fertigung und Verkauf von potenten Maschinen. Die Motoren kamen von Harley-Davidson, nicht selten wurden sie dann von Buell leistungsgesteigert. Seine Produkte überzeugten nicht nur Anhänger der schnellen Freiheit auf zwei Rädern – sondern auch Harley-Davidson, das sich 1993 in Buells Unternehmen einkaufte und es 2003 ganz übernahm.
Buell arbeitete noch bis 2009 für den neuen prominenten Eigentümer, ehe er erneut eine Manufaktur aus dem Boden stampfte: Erik Buell Racing, kurz: EBR. Nicht nur der Name war sportlich: Ikone war und ist auch heute noch die Buell 1125R, mit 140 PS und einem Höchsttempo von rund 250 km/h. Buell wird nicht widersprechen, dass hier Spaß im Vordergrund stand – und nicht die nachhaltige Fortbewegung. Doch das ändert sich 2019, als er unter der Marke Fuell seine Vision vom elektrisierten Individual-Stadtverkehr vorstellt. Das doppelte „L“ als ständige Erinnerung an seinen Nachnamen, das ganze Wort eine Anspielung auf das, was noch in vielen Tanks schwappt. Neben dem Pedelec Flluid wird diese Vision auch von einem E-Motorrad, dem Fllow, verkörpert. Ist der geistige Vater kompromissloser Rennmaschinen als Visionär des urbanen Stadtverkehrs?
Die Frage, ob denn der Einstieg in die E-Mobilität nicht auch Widerspruch oder Tabubruch wenigstens in den Augen der bisherigen Kundschaft seien könnte, verweist das Unternehmen auf die zum Start der Vorbestellungsphase veröffentlichten Pressemitteilung. Sie zitiert Erik mit der Aussage, dass „zwei Räder eindeutig die Lösung für die urbane Mobilität“ seien. Immer mehr Zufahrtsbeschränkungen und vor allem die Platznot in europäischen Städten mache eine neue, platzsparende Fahrzeugklasse nötig.
Darum sei das Fllow, mit Beinamen e-commuter, auch auf die Bedürfnisse von Pendlern ausgelegt, etwa mit einem umschlossenen Stauraum, einem hohen Maß an Konnektivität, Sicherheitssystemen wie einem Notbremsassistenten, einem großen Akku samt 400-Volt-Energiesystem, um zum Tanken konkurrenzfähige Ladezeiten zu realisieren. 47 PS sind für Buell darum auch mehr als genug, die 240 Kilometer Reichweite dagegen besonders wichtig, um mit dem Fllow nicht nur Biker neugierig zu machen, sondern auch den einen oder anderen dem Umstieg vom Auto schmackhaft zu machen. Mit Blick auf den anvisierten Preis von 12.000 Dollar, also einem Bruchteil der Kosten selbst eines kleinen E-Autos, wirkt das gar nicht so visionär. Vielmehr ist es ein Geschäftsmodell mit gutem Kostenargument.
Für Buells Ansatz spricht auch die Vergangenheit des Motorrads allgemein, denn das war schon einmal Gamechanger der Mobilität: Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten Motorräder die wesentlich erschwinglichere und in größeren Stückzahlen verfügbare Fortbewegungsmittel im Vergleich zum Auto war. Auch heute noch sind Zweiräder der Stützpfeiler der individuellen Mobilität, etwa in vielen asiatischen und afrikanischen Ländern. Die Perspektive auf fossile Unabhängigkeit beflügelt derzeit beispielsweise das schwedisch-kenianische Unternehmen Roam, das gar an einem 1500-Dollar-E-Motorrad mit 180 Kilometer Reichweite arbeitet: das Roam Air. Das Unternehmen will über Kooperationen sicherstellen, die Fahrzeuge an Photovoltaik-Ladestationen flächendeckend mit Energie versorgt werden können. Wie beim Fllow sind auch im Falle des Air Vorbestellungen möglich. Wie grundlegend die Bedürfnisse sind, zeigt die Präsentation auf der Internetseite: Eine Motorleistung wird gar nicht angegeben, dafür gibt es einen Kosten-Vergleichsrechner Elektro- versus Verbrennungsmotor.
Nun ist Afrika nicht Europa. Die Spannbreite zwischen Roam Air und Fuell Fllow zeigt aber, dass sich durch die Technik des Elektroantriebs diese Fahrzeugklasse genauer an verschiedene Erfordernisse von Mobilität anpassen lässt. Also wahrscheinlich auch an den urbanen Raum in entwickelten Ländern, der sich wandeln soll. Dieses Potenzial neuer Kunden sieht nicht nur Buell. Weitere Hersteller wagen sich in den Spagat, einer bislang eindeutig von Benzin getriebenen und emotional stark aufgeladenen Fahrzeugklasse mit dem Elektroantrieb ein nachhaltigeres und ökologisch wertvolleres Image einzuverleiben. Und sie damit letztlich auch zukunftsfähig zu machen – immerhin ist das Ende des Verbrennungsmotors beim Auto mehr oder weniger datiert.
So hat Zero Motorcycles, ebenfalls US-amerikanisch, bereits mehrere E-Modelle und Varianten im Programm – und hebt bei deren Präsentation auf der Homepage nicht PS und Maximaldrehzahl, sondern Reichweite und Ladedauer hervor. Elektronische Spielereien und Zusatzangebote klammert das Unternehmen mit Cypher III+: Per App – und für einige hundert Euro – steigen Reichweite, die Leistung oder verkürzt sich die Ladezeit. Ein weiteres Beispiel ist Energica in Italien, das im Frühling 2022 vom Ideanomcis-Konzern übernommen wurde und sich im Marketing-Sprech selbstbewusst als „gesunder Überbringer des Wandels und der Revolution für die Welt der Nachhaltigkeit“ versteht.
Auch etablierte Anbieter von Motorrädern mit Verbrennungsmotor unternehmen erste elektrische Rollversuche, so wie Harley-Davidson mit der etwa 33.000 Euro teuren Livewire. Honda kündigte jüngst zehn Elektromodelle bis 2025 an. Bei BMW heißen die verdinglichten E-Visionen CE 04, AMBY oder Concept CE 02, parken auf dem Reiter „Urban Mobility“, und zumindest für den Laien verschwimmen hier optisch die Grenzen zwischen Motorrad und Roller.
Der E-Motor ist womöglich der Weg aus der Nische einer Fahrzeugklasse, die von vielen bislang vor allem als laut und nur als Spaßmobil wahrgenommen wurde. Gleichzeitig soll die bestehende Kundschaft nicht das Gefühl bekommen, kurzfristig ausgebootet zu werden. Darum hält die Branche gebührenden Abstand zum Gewohnten bei der Präsentation und Vermarktung. Harley-Davidson etwa zeigt die Livewire auf der eigenen Homepage nicht als Mitglied der „Modellfamilie“, sondern zwei Positionen weiter unten bei „Elektrofahrzeuge“.
Bei Erik Buell ist dieser Abstand sogar eine ganze Marke groß: Mit Hammerhead 1190, 1990 SX und Supertouring sind weiterhin drei Maschinen mit Verbrennungsmotor im Angebot, natürlich unter der „Traditionsmarke“ Buell. Eines Tages „Teil des Mobilitätskonzeptes auf dem Mars zu werden“, wünscht sich Buell allerdings nur für seine Fuell-Fahrzeuge. So wie es aussieht, hat er mit Elon Musk mehr gemein als den Wunsch E-Fahrzeuge zu verkaufen.
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Erik Buell
Der ehemalige US-amerikanische Rennfahrer baut und verkauft 1983 die ersten Motorräder unter seinem Namen. Harley-Davidson kauft 1993 Anteile an Buells Unternehmen, der Gründer ist zunächst weiter im Unternehmen, steigt aber 2009 aus und gründet EBR. Seit 2019 setzt er auf das weitere Standbein Fuell, unter dessen Dach er neben dem E-Motorrad Fllow auch das E-Bike Flluid vermarktet.
Thomas Duscha
Der studierte Betriebswirt ist Mitgründer und Geschäftsführer des Battery-as-a-Service-Anbieters Swobbee. Gemeinsam mit Honda, Yamaha, Piaggio und weiteren Herstellern ist Thomas Duschas Unternehmen Mitglied im „Swappable Batteries Motorcycle Consortium“, das die Entwicklung eines einheitlichen Batteriestandards für die Motorradindustrie zum Ziel hat.