Immerhin, mit der 22 Jahre jungen Schwedin Klara Andersson tritt beim Finale der Rallycross-WM an diesem Wochenende auf dem Nürburgring eine Frau an. Ansonsten aber gibt die Serie ein trauriges Bild ab. Rallycross trägt als eine von nur sechs Automobilrennserien den offiziellen Titel Weltmeisterschaft. Und setzt aus diesem Kreis wie die Formel E auf reinelektrischen Antrieb. Doch sieben Jahre nach dem Start der Sprintrennen auf einem teils asphaltierten, teils geschotterten Rundkurs ist von den anfänglichen Ambitionen des Projekts nicht mehr viel. Dafür gibt es am Wochenende eine überaus kuriose Premiere. 

Beim Rallycross-Finale wird ein Auto erstmals an den Start gehen, das als Serienfahrzeug seit 1994 nicht mehr gebaut wird: ein Lancia Delta – ein Modell also, das Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre den Rallyesport dominierte! Dieses zweifelhafte Retro-Debut wird von den Fans zwar bejubelt, ist zugleich aber symptomatisch für dieses Championat. Das Starterfeld bilden in der Basis sechs Jahre alte VW Polo, Peugeot 208 und Hyundai i20. Was nicht gerade die Attraktivität für die Fahrer*innen erhöht. Für das Finale in der Eifel haben sich gerade einmal neun angemeldet.

Für E-Motorsport eigentlich prädestiniert: die kurzen Stints im Rallycross. Foto: Joerg Mitter, Red Bull Content Pool

Dabei sah 2016 alles noch sehr gut aus. Für die zu diesem Zeitpunkt neue Idee einer Rallycross-WM für Elektroautos begeisterten sich gleich eine ganze Reihe von Herstellern. Es herrschte eine ähnliche Aufbruchstimmung wie in der zwei Jahre zuvor gegründeten Formel E. Porsche, Audi, Jaguar, Mercedes-Benz – alle waren in der Formel E bis heute zumindest zeitweise an Bord. Und das, obwohl die dort verwendeten Monoposti mit Serienautos weder technische noch optische Gemeinsamkeiten haben.

Anders Rallycross, wo die Rennwagen zumindest äußerlich an käufliche Fahrzeuge erinnern. Überdies ist Rallycross für Elektroantrieb geradezu ideal. Die einzelnen Rennläufe gehen nur über jeweils rund fünf Minuten. In den Pausen dazwischen bleibt genügend Zeit zum Laden der Batterien. Der Technologietransfer vom Renn- ins Serienfahrzeug scheint ebenfalls deutlich vielversprechender als in der Formel E.

Einer der ersten Hersteller, der elektrisches Rallycross befürwortete, war Volkswagen. VW Motorsport stellte dem Team des ehemaligen Rallycross-Weltmeisters Petter Solberg zwei Polo und jede Menge technische Unterstützung zur Verfügung. Dass unter der Haube weiterhin ein Verbrenner steckte, störte niemanden. Wir üben für die zukünftige Elektro-WM, lautete die offizielle Sprachregelung. Solbergs Teamkollege, der Schwede Johan Kristoffersson, wurde prompt 2017 und 2018 Weltmeister.

Parallel dazu versandete allerdings die Idee einer elektrischen Rallycross-WM immer weiter. Neben Volkswagen hatten zeitweise mehr als ein halbes Dutzend weiterer Hersteller an entsprechenden Planungen teilgenommen. Nur konnte man sich auf kein technisches Reglement einigen. Wie so häufig, wenn große Marken vor allem ihren eigenen Vorteil suchen. Außerdem fehlte ein schlüssiges Vermarktungskonzept.

Hüpfen, Rempeln, Dreck aufwirbeln – und dabei weitgehend lautlos. Foto: WRX, Red Bull Content Pool

Den vielleicht entscheidenden Sargnagel schlug der damalige VW-Chef Herbert Diess ein – er löste die werkseigene Motorsportabteilung Ende 2020 komplett auf. Damit war klar: Der anfangs größte Befürworter einer elektrischen Rallycross-WM war raus. Als hätten sie nur auf diesen Schritt gewartet, zogen auch die anderen Interessenten reflexartig den Stecker.

Anfang 2021 übernahm der zum Red-Bull-Imperium gehörende WRC Promoter, der seit 2013 auch für die wirtschaftliche Seite der Rallye-WM verantwortlich ist, die Vermarktung der Rallycross-WM. Die Zeichen standen plötzlich auf Neustart.

Die in München beheimatete Firma versuchte mitten in der Corona-Krise zu retten, was zu retten war. Eine zweite, ausdrücklich für private Teams gedachte Elektro-Liga war schnell auf Kiel gelegt. Die RX2e genannte Klasse wird mit Einheitsautos ausgetragen, die vergleichsweise bescheidene 250 kW leisten.

Anders sah es mit der geplanten Champions-League RX1e aus. Ohne Hersteller konnte die kurzfristige Zukunft nur in den Händen der privaten Teams liegen, die ohnehin seit Jahren das Rückgrat der Weltmeisterschaft bilden. Dazu mussten allerdings die Kosten drastisch gesenkt werden.

Als erstes wurde der Rotstift am Kalender angesetzt. Übrig blieben Rennen ausschließlich in Europa. Entsprach zwar nicht dem Grundsatz des Weltverbandes FIA, dass eine Weltmeisterschaft auf mindestens drei Kontinenten ausgetragen werden muss. Aber die Regelhüter drückten beide Augen zu.

Die FIA strebt für all ihre Meisterschaften bis 2030 Kohlenstoffneutralität an. In diese Strategie passt eine weitere Elektro-Rennserie natürlich sehr gut. Auch wenn beim Rallycross, genau wie bei beinahe jeder Veranstaltung, die größte Umweltbelastung von den Zuschauer*innen und nicht von den Aktiven ausgeht.

Den Neuanfang begünstigte eine bereits bestehende Vereinbarung mit dem österreichischen Unternehmen Kreisel Electric zu Entwicklung und Fertigung eines für alle RX1e-Fahrzeuge identischen Antriebs. Er besteht aus zwei Elektromotoren, die zusammen 500 kW (rund 680 PS) leisten, und einer Batterie mit 52 Kilowattstunden Kapazität. Das Ganze ist mit angeblich 300.000 Euro Kaufpreis plus weiteren 25.000 Euro pro Jahr Servicegebühr nicht ganz billig, passte aber mit relativ wenig Umbauten in die vorhandenen, wenn auch jahrealten Autos.

Anders als die Formel E ließ sich die RX2e nicht von Gaming inspirieren – war das ein Fehler? Foto: WRX, Red Bull Content Pool

Genau hier begann für die Rallycross-WM ein Teufelskreislauf, aus dem kein Ausweg in Sicht ist. Der Einheitsantrieb vergrault Hersteller, die so keine Möglichkeit haben, ihre Kompetenz zu beweisen. Aber ohne das zugelieferte Technikpaket wäre die Elektro-Rennserie gar nicht erst gestartet. Wenn Kreisel Electric denn hätte liefern können.

Pandemie-bedingte Probleme in der Komponenten-Beschaffung führten mehrfach zur Verschiebung der Wettbewerbspremiere. Erst Mitte August 2022, mehr als zwei Jahre später als ursprünglich geplant, fiel im norwegischen Hell endlich der Startschuss zur elektrischen Rallycross-WM.

Die Fans sahen es mit gemischten Gefühlen. Positiv kam an, dass die Elektro-Renner genauso schnell sind wie ihre Vorgänger mit Verbrenner. Sie katapultieren sich in weniger als zwei Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Auch an der Action änderte sich nichts. Wenn jeweils fünf Heißsporne in technisch weitgehend identischen Autos aufeinander losgelassen werden, gehen Überholmanöver nur selten ohne Rempelei vonstatten. Auf den Schotterpassagen der von allen Zuschauerplätzen komplett einsehbaren Kurse wurde nach wie vor spektakulär gedriftet.

Doch eine Sache vermissten die Fans schmerzlich, die deutlich traditionsbewusster sind als die Anhänger anderer Motorsportdisziplinen: Sound. Rallycross lebt seit seiner Erfindung 1967 in England von brüllenden und aus dem Auspuff Feuer spuckenden Motoren. Vom Vermarkter kommt das Gegenargument: Sound ist nebensächlich für die junge Generation, die Motorsport ohnehin meist auf dem Smartphone genießt. Ob die allerdings optisch wenig begeisternde Uralt-Fahrzeuge sehen will? Und wer außerhalb der Hardcore-Fanszene kennt schon Fahrer wie Gustav Bergström, Ole Christian Veiby oder René Münnich?

Die Chance auf einen spektakulären Neuanfang hat die Rallycross-WM jedenfalls vertan. Das hat die 2021 gegründete elektrische Offroad-Rennserie Extreme E besser hingekriegt. Sie fährt mit nach Videospiel aussehenden Rennern zumindest teilweise an außergewöhnlichen Orten und zählt Kaliber wie die Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton und Nico Rosberg zu ihren Unterstützern.

Wie genau es mit der Rallycross-WM 2023 weitergeht, ist noch weitgehend unklar. Die Teams hoffen, beim Saisonfinale am Nürburgring dazu Neues zu erfahren. „Auf Dauer geht es ohne Hersteller nicht“, sagt der bereits als Weltmeister feststehende Schwede Johan Kristoffersson. Genau die sind aktuell allerdings nicht in Sicht.

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Klara Andersson

Klara Andersson

Sie ist Mitglied des schwedischen Junioren-Motorsport-Nationalteams und begann ihre Karriere im Kartsport, bevor sie 2018 nach einer fünfjährigen Pause zum Rallycross wechselte. Klara Andersson konnte nach in der FIA RX2e-Meisterschaft überzeugen und ergatterte einen Platz am Steuer eines Rennwagens von Xite Energy Racing ergattern. Den musste sie Covid-bedingt jedoch wieder abgeben.

Johan Kristoffersson

Johan Kristoffersson

Johan Kristoffersson gewann zweimal die Scandinavian Touring Car Championship, dreimal den Porsche Carrera Cup in Skandinavien – und er ist mit neuerdings fünf Titeln der erfolgreichste Rallycross-Fahrer seit Beginn der Serie. 2021 gewann er mit dem Team Rosberg X Racing die Meisterschaft der Extreme E. In der laufenden Saison führt er die Tabelle ebenfalls an.