Fast 1.000 PS Leistung, mehr als 360 km/h Topspeed, Technik am Limit: Die Formel 1 ist Mythos, Power, Faszination – und CO2-Ausstoß. Pro Rennen verbrennt jeder der hochgezüchteten Hybrid-Sechszylinder etwa 150 Liter Sprit. Demgegenüber steht die Formel E. Die E-Maschinen in ihren Autos haben in der Saison 2022 etwa halb so viel Leistung. Dafür ist ihr Wirkungsgrad fast doppelt so hoch wie in der Formel 1, und beim Verzögern holen sie 40 Prozent der eingesetzten Energie zurück. Der Strom für ihre Batterien kommt aus Generatoren, die fast CO2-frei mit Glycerin laufen.

Verbrenner-Krach gegen Elektro-Stille, Gestern gegen Morgen? Auf den ersten Blick sieht der Vergleich der beiden Serien eindeutig aus. Doch in der Formel 1 hat das Umdenken begonnen. Der Renn-Treib-
stoff für die Saison 2022 besteht zu zehn Prozent aus nachhaltig erzeugtem Ethanol. Ab 2026 sollen die Autos mit vollsynthetischem Kraftstoff und damit CO2-neutral fahren, ein neuer elektrischer Antrieb wird die Hälfte der Leistung beisteuern. „Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, geht es nicht nur um die Energie, die verbraucht wird, sondern auch um die Frage, woher die Energie kommt“, sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

„Es geht nicht nur um verbrauchte Energie, sondern woher sie kommt“

Toto Wolff, Teamchef Mercedes-AMG

Die neue Roadmap ist in jedem Fall so interessant, dass sie Porsche und Audi in die Formel 1 lockt. Volkswagen-Konzernboss Herbert Diess sagt dazu: „Die Formel 1 ist viel aufregender und spaßiger. Sie bietet mehr Rennsport und einen besseren Technik-Wettkampf als die Formel E, die in Stadtzentren ein paar Runden im Spielmodus dreht.“

Kürzlich zu Gast im OMR Podcast: Red-Bull-Racing-Teamchef Christian Horner (links). Foto: Red Bull Content Pool

Was Diess nicht sagt: Auch die finanzielle Seite ist bei der Formel 1 viel attraktiver. Die Serie liegt stark im Aufwind – unter anderem dank der modernen Vermarktung mit der Netflix-Serie „Drive to Survive“, der Red-Bull-Teamchef Christian Horner einen Teil seiner Bekanntheit verdankt. Ein waschechter Titelkampf mit Herzklopf-Finale dürfte in der letzten Saison auch dabei geholfen haben, die Einschaltquoten nach oben zu schrauben: „Serien-Siege sind langweilig, es treibt die Leute von deinem Sport weg“, sagt Christian Horner im OMR Podcast

Die Formel E hingegen mit ihrem ausgeprägten Event-Charakter litt zwei Jahre lang stark unter der Pandemie. Jetzt verliert sie mit BMW und Audi zwei attraktive Hersteller. Mercedes wird Ende 2022 aussteigen, von den deutschen Werken bleibt nur Porsche dabei – bis auf weiteres.

Aber wir wollen ja nicht nur über Dollars und Euros sprechen, sondern über CO2 und andere Treibhausgase, denn bei der Nachhaltigkeit lag die Formel E vom ersten Moment weit in Führung. Bei den 15 Rennen der Saison 2021 verursachte sie 19.600 Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e). Das entspricht dem Pro-Kopf-Jahresausstoß von 3.000 Schweizer:innen oder auch knapp 2.400 Erdumrundungen mit dem Auto. Weil sie im großen Stil Klimazertifikate besitzt, wird die ganze Serie dennoch als CO2-neutral eingestuft. 

Formel E ist der Formel 1 weit voraus

Davon ist die Formel 1 noch weit entfernt, sie strebt Klimaneutralität erst für 2030 an. Ihre Rennwagen jagten in der Saison 2019 zwar „nur“ 1.800 Tonnen Kohlendioxid aus dem Auspuff, wobei Schadstoffe wie Ruß oder Stickoxide nicht berücksichtigt werden. Im großen Formel-1-Zirkus machten die Emissionen der Rennautos 2019 jedoch nur 0,7 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes aus. Der Löwenanteil kam aus der Logistik, den Reisen und den Fabriken. Darum verursacht die Formel 1 einen 13-mal höheren CO2-Ausstoß als die umfangreichere CO2e-Bilanz der Formel E.

Schneidet im Ranking schlecht ab: die Extreme E. Foto: Extreme E

Und wie schätzen Branchen-Insider die Klimaeffekte der Formel 1 und der Formel E ein? Enovation Consulting, eine Agentur aus dem englischen Motorsport-Mekka Silverstone, hat den Nachhaltigkeitsgrad von 106 globalen Rennserien – Auto und Motorrad – untersucht und in einem Sustainable Motorsport Index bewertet. Er betrachtet die Auswirkungen der Meisterschaften auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Politik.

Das Ergebnis überrascht. Die Formel E steht zwar wie erwartet an der Spitze – mit 79 von 100 möglichen Punkten kommt sie als einzige Rennserie in die höchste Kategorie 4. Aber die Formel 1 folgt mit 60 Punkten schon auf Platz zwei, das reicht immerhin für Kategorie 3. Auf dem vierten Rang im Ranking (aber nur noch in Kategorie 2) liegt die Extreme E, in der elektrisch angetriebene Buggys durch die letzten unberührten Ökosysteme der Welt brettern, immerhin mit der gutgemeinten Hoffnung so auf deren Verletzlichkeit hinweisen zu können. Über 70 Rennserien landeten in der untersten Kategorie. 

„Wir haben das Geld und die Ressourcen und könnten vernünftige Dinge damit tun“

Sebastian Vettel, Formel-1-Rennfahrer

Wie schmutzig ist denn nun die Formel 1? Am Ende ist das eine Frage der Sichtweise. Über die ganze Saison hinweg verbrauchen die Hightech-Boliden nicht mehr Treibstoff als ein Airbus A380 auf einem einzigen Flug von Frankfurt nach Hongkong – der Zirkus drumherum ist das Problem. Das zeigt sich auch anhand der Bundesliga: Pro Spieltag, von denen es 34 pro Saison gibt, verursachen die Vereine und ihre Fans rund 7.800 Tonnen CO2-Ausstoß. Sie steht damit sogar etwas schlechter da als die Formel 1. Das liest sich zunächst ganz gut, genügt aber nicht, wenn man dem viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel folgt, dem Klimavordenker im Fahrerlager. Der kritisiert das Tempo, mit dem die Serie bis Mitte des Jahrzehnts grüner werden will: „Das ist weder ausreichend noch zeitgemäß“, sagt Vettel. „Wir haben alle Möglichkeiten – wir haben das Geld und die Ressourcen und könnten sehr vernünftige Dinge damit tun.“

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Susie Wolff

Susie Wolff

Die gebürtige Schottin leitet in der Formel E als CEO das Team Venturi Racing (Monaco). Als erfolgreiche Ex-Rennfahrerin legt Susie Wolff besonderen Wert auf die Chancengleichheit der Geschlechter: „Über alle Serien hinweg arbeiten im Motorsport nur zwei Prozent Frauen. Im Formel-1-Team von Mercedes, das mein Mann Toto leitet, sind es schon zwölf Prozent, und hier bei Venturi haben wir sogar etwa ein Drittel Frauen.“

Sebastian Vettel

Sebastian Vettel

Der vierfache Formel-1-Weltmeister macht sich viele Gedanken über die Zukunft des Planeten. In seiner privaten Garage ersetzen Elektroautos die Verbrenner-Sportwagen, auf Reisen benutzt er oft die Bahn und das Fahrrad. Vettel ernährt sich nachhaltig und kompensiert seinen CO2-Fußabdruck. Und nach dem Rennen in Silverstone 2021 räumte er eigenhändig den Abfall, den die Fans hinterlassen hatten, von der Haupttribüne fort.