Was bleibt von der Tanke nach dem Verbrenner-Aus?
Einerseits tanken viele Autofahrer:innen bei der ollen Dorftankstelle, andererseits ist in gut zehn Jahren Schluss mit Benzin und Diesel. Und was bleibt dann übrig? Wir haben nachgefragt
Neulich an einer Tankstelle, irgendwo auf dem Land: Hier gibt es Benzin und Diesel, eine miefende Wurst in der Pappsemmel und wenn man möchte einen Sixpack Bier. Kartenzahlung? Na, wenn’s denn sein muss. Meistens spinnt das Gerät und seit dem Faux-pas mit Deutschlands meistbenutztem Kartenzahlungsgerät Verifone H5000 bittet man die Kundschaft ohnehin lieber nur mit Barem zur Kasse. Zahlen per App? Alles moderner Schnickschnack, wie alternative Antriebe auch. Verkehrswende wird ohnehin nur für die Großstadt gemacht, so möchte man meinen. Doch was passiert mit der ollen Tanke nach dem Verbrenner-Aus?
Es liegt nahe, dass hier nicht die Zukunft gestaltet wird. Julian Janocha widerspricht. Er ist beim Sprit- und Gasvertrieb Westfalen AG für den Bereich Gasmobilität verantwortlich und sagt: „Wir sehen eine Riesenchance für die Tankstelle. Wir transformieren unsere Standorte, unsere Mobilität.“ An besonders gut gelegenen Standorten, das könne innerstädtisch und außerorts sein, sei diese Transformation schon zu spüren. „Wir transformieren hin zu Mobilitätshubs und müssen unsere vielen Kundengruppen bedarfsgerecht ansprechen.“ Und von denen gibt es viele. Um sie besser zu verstehen – und sich von den GAFA-Konzernen nicht Daten und Umsatz abgraben zu lassen – hat Westfalen vor einigen Jahren eine Tank-App entwickelt. Fillibri soll auf dem Weg zur Verkehrswende wichtige Erkenntnisse bringen.
Der Westfalen-Ausgründung Fillibri haben sich unterdessen auch Avia und Tamoil als Investoren angeschlossen. Unterstützt werden jedoch auch weitere Tankstellenbetreiber wie HEM oder BFT. Schon kurz nach Einführung der App zeichnete sich ab, dass in NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz die Bereitschaft per App zu bezahlen größer ist als etwa in Schleswig-Holstein oder den ostdeutschen Bundesländern. Eltern und Motorradfahrer:innen nutzen die App besonders gern, so Fillibri-Geschäftsführer Karsten Hüls. Als nächstes werde man das Verhalten von Pendler:innen analysieren. Bei über 100.000 App-Downloads im App-Laden von Google dürfte Fillibri vermutlich schnell valide Erkenntnisse aus den Daten gewinnen.
Erkenntnisse, die Tankstellen bislang in der Regel nicht haben: Wer kommt häufig, wer tankt in der Regel viel? Und kann man der Person nicht eine vergünstigte Autowäsche oder einen Gratis-Kaffee per App vermitteln? Tanken, Waschen und Shoppen in einer App zu vereinen ist auch neuartig, führt aber allein noch keine Antriebs- oder Verkehrswende herbei. Die Daten sind deshalb wichtig, um die Kundschaft und die technische Entwicklung besser zu verstehen. Westfalen hat bereits 150 Ladepunkte mit 350-kW-Ladeleistung in Betrieb genommen.
„Die OEMs haben sich bereits voll zur E-Mobilität bekannt“
Karsten Hüls, CEO Fillibri
Hüls sagt, er sei „davon überzeugt, dass E-Mobilität das Rennen machen wird“. Man sähe die Herausforderungen durch die Klimakrise “hundertprozentig”. Durch das Verhalten der Kundschaft könne man den begrenzten Platz einer Tankstelle effizient nutzen. Das kann bedeuten, dass eine Tankstelle künftig nur Strom und Wasserstoff anbietet, eine andere Gase und Flüssigkraftstoffe – je nach Standort und Bedarf. Durch das eben erst verabschiedete EU-weite Pkw-Emissionsverbot ab 2035 sieht sich Hüls deshalb nicht bedroht: „Die OEMs haben sich auch ohne Verbrennerverbot bereits voll zur E-Mobilität bekannt. Der Zug ist abgefahren, im positiven Sinne“. Vielmehr ginge es jetzt darum, möglichst sinnvolle Mobilitätshubs zu gestalten.
„Mit Tier Mobility haben wir eine gute Kooperation“
Julian Janocha, Head of Gas Mobility Westfalen AG
Westfalen, so scheint es, will jedoch noch einen Schritt weiterdenken und aus der Antriebs- eben doch eine Verkehrswende machen. „Mit Tier Mobility haben wir eine gute Kooperation an den Start gebracht, die unterschiedliche Mobilitätsanwendungen aggregiert, an unseren Standorten und für die entsprechende Zielgruppe“, sagt Janocha. Konkret haben Tier-Fahrer:innen in Münster nun die Möglichkeit, an der Tankstelle die Akkus des gemieteten E-Scooters zu tauschen. Das würde mal nebenbei das Logistik-Problem lösen, das viele New-Mobility-Anbieter aktuell noch haben. Eine Lieferung von Austauschakkus für E-Scooter wäre damit passé.
„Die heutige Tankstelle ist in der Regel kein Wohlfühlort“
Karsten Hüls, CEO Fillibri
Man wolle außerdem eine „Wohlfühlatmosphäre“ schaffen: „Die heutige Tankstelle ist in der Regel kein Wohlfühlort, an den ich zum Chillen am Samstag hinfahre. Aber es gibt schon richtig coole Konzepte mit Weinverkostungen an Mobilitätshubs oder Lesungen“, sagt Hüls. Mit derartigen Angeboten brächte man so vielleicht eine Generation ans Verkehrsteilnehmenden an die Tankstelle, die von Sprit eigentlich gar nichts mehr wissen will. Das schaffe man zwar nicht sofort und nicht für alle 204 Westfalen-Tankstellen in NRW und Niedersachen. In den nächsten 15 Jahren rechne man dennoch mit spürbaren Veränderungen an der ollen Tanke. Vielleicht ist bis dahin dann selbst auf dem Land die miefende Wurst in der Pappsemmel vegan?
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Karsten Hüls
Bevor Fillibri zu einem eigenen Unternehmen ausgegründet und Karsten Hüls dessen Geschäftsführer wurde, war er selbst bei Westfalen. Dort verantwortete er Strategien in den Bereichen Gasen, Energieversorgung und Tankstellen.
Julian Janocha
In seiner Hauptrolle ist Julian Janocha verantwortlich für Gasmobilität bei der Westfalen AG, was Strom eigentlich explizit ausschließt. Maßgeblich beschäftigt er sich mit Bio-LNG für Nutzfahrzeuge und den Schwerlastverkehr.