Es gibt zwei Wege, lange nicht mehr hinterfragte Regeln zu ändern, sagt der Berliner Verkehrsforscher Andreas Knie im FUTURE MOVES Podcast. Entweder, man lässt sich auf den mühsamen und zeitraubenden Weg durch die Institutionen ein. „Oder man macht Krawall und Rabatz und man bricht kontrolliert die Regeln“, sagt Knie. Da angesichts der Klimakrise wenig Zeit für bleibt, läuft es also auf Variante eins hin aus, wenn die Mobilitätswende nicht nur gelingen soll, sondern auch einen Effekt haben.

Darum gibt es für Knie, der eine Professor für Soziologie an der TU Berlin hat und die Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung leitet, zwei Vorbilder. Zum einen Uber, das einstige Enfant Terrible der Start-up-Szene und Schrecken aller Taxifahrer:innen. Denn bei aller fragwürdigen Geschäftspraxis habe Uber einen im deutschen Personenbeförderungsgesetz festgeschriebenen Bremsklotz der Verkehrswende sichtbar gemacht.

Privatpersonen dürfen andere Privatpersonen nicht gegen Entgelt in ihrem Auto mitnehmen. Doch genau darin liegt für Knie ein Hebel, um die Verkehrswende von den Städten auch in die Fläche zu tragen. Durch digital organisiertes Ride-Pooling ließe sich der Pkw-Bestand auf dem Land um mehr als 50 Prozent reduzieren, sagt Knie. In den Städten seien bereits jetzt – dank eines gut ausgebauten ÖPNV, Carsharing- und Micromobility-Angeboten zwei von drei Autos überflüssig.    

„Wir wollen keinen Guerillakampf, sondern das Absurde kenntlich machen“

Andreas Knie

Dass es sie trotzdem gibt, liegt vor allem daran, dass Autos nach wie vor privilegiert werden, sagt Knie – wie, hatte Katja Diehl im FUTURE MOVES Podcast bereits ausführlich erläutert. Ansetzen müsste man laut Knie vor allem beim Thema Flächenverteilung, konkreter: beim Parkraum. Denn so lange Anwohnerparken ihm Jahr kaum teurer ist als eine Tageskarte für den Bus, werden die Blechlawinen Fahrzeugen, die 95 Prozent der Zeit stehen, nicht verschwinden.

Aus diesem empfiehlt der Berliner Soziologe, sich die Taktiken von Jan Böhmermann abzuschauen. Der habe durch seine „Schmähgedicht“ über den türkischen Präsidenten Recep Erdogan nicht nur auf eine veraltete gesetzliche Regelung hingewiesen, so Knie, sondern „einen strafrechtlich Paragrafen, nämlich die Beleidigung einer ausländischen Staatsmacht, ad absurdum geführt“ und so dessen Überarbeitung in Gang gesetzt. Diesem Beispiel folgend will die Initiative „Straßen befreien“, deren Mitbegründer Knie ist, den kontrollierten Regelbruch zum Beschleuniger der Verkehrswende machen.  

Man denke beispielsweise darüber nach, freie Parklücken zu Open-Air-Cafés umzuwidmen, sagt Knie. „Und wenn dann einer kommt und sagt: ‚Das dürft ihr aber nicht, das ist ja ein Parkraum‘, warten wir so lange, bis der uns ein Knöllchen verpasst.“ Dagegen könne man dann Beschwerde einlegen und lande letztlich vielleicht vor Gericht. Das würde dann zwar befinden, ein Café an dieser Stelle sein nicht legal, doch das, was das Recht im Moment schütze, nämlich parkende Autos, könne man unter dem Eindruck der Klimakrise nicht mehr schützen. „In Deutschland passiert nur etwas, wenn man diesen kontrollierten Regelbruch macht“, sagt Knie. Wobei ihm der Aspekt des richtigen Maß wichtig ist. „Wir wollen ja hier keinen Guerillakampf haben, sondern das Absurde kenntlich machen.“ 

Warum Knie in den urbanen Zukunftsvisionen der Vergangenheit eine „Zerstörung der Städte“ sieht, warum mittlerweile sogar Kommunen ein offenes Ohr für sein Konzept des kontrollierten Regelbruchs haben, und wieso ausgerechnet das Auto-Land USA jede Menge Beispiele für gelungene Verkehrswende-Projekte bietet, das erklärt Andreas Knie in dieser Episode des FUTURE MOVES Podcasts.   

Über diese Themen spricht Andreas Knie im FUTURE MOVES Podcast:

… rechtliche Rahmenbedingungen die Mobilitätswende ausbremsen (3:35)

… die „Befreiung“ von Straßen durch die Besetzung von Parkraum (5:23)

… die Verkehrswende über Gerichtsentscheidungen vorantreiben (3:37)

… warum Kommunen Initiativen wie „Straßen befreien“ unterstützen (11:40)

… seine Anfänge als Autokritiker im West-Berlin der 80er-Jahre (14:56)

… seine Erwartungen an die Politik und das Vorbild USA  (19:10)

… ohne eigenen Pkw selbstbestimmt mobil bleiben (22:45)

… Welche Rolle Firmen wie Uber bei der Verkehrswende spielen (30:36)

… inwieweit die Mobilitätswende eine Generationenfrage ist (35:18)

… sein „Mix der Woche“ (40:09)

… die Bereitschaft der Autoindustrie, an der Mobilitätswende mitzuwirken (42:37)