Noch drei Wochen gilt das 9-Euro-Ticket und die Diskussion über mögliche Nachfolger hält an. Bald könnte es endlich ein Klimaticket geben, was ich sehr hoffe. Ob es dann 9, 36 oder 69 Euro kosten würde, finde ich gar nicht so entscheidend. Denn letztlich ist das Ziel ja nicht nur, die Geldbeutel der Bürger:innen zu entlasten, sondern vor allem die Umwelt.

Die zentrale Frage: Was muss passieren, damit Autofahrende ihr geliebtes Gefährt tatsächlich dauerhaft zugunsten des ÖPNV stehen lassen? Und welche örtlichen Besonderheiten muss man dafür berücksichtigen? Während es etwa in ländlichen Regionen teilweise fast unmöglich ist, ohne Auto von A nach B zu kommen, haben Städter:innen es eher mit Luxusproblemen zu tun: Sie beschweren sich über den (nicht vorhandenen) Internetzugang in der U-Bahn oder über mangelnde Sitzgelegenheiten. 

Bei so unterschiedlichen Ausgangssituationen stellt sich natürlich die Frage, ob ein pauschales bundesweites Klimaticket tatsächlich die Lösung wäre – und wie konsequent öffentliche Mobilität als Teil der Daseinsvorsorge verstanden werden soll. Die finanziellen Folgen sind immens. Denn abseits der Metropolen wird ein Klimaticket ohne massiven Ausbau des Angebots nicht viele Menschen überzeugen. Doch eine spürbare Verbesserung des ÖPNV braucht Zeit und kostet Geld – das uns die Umwelt allerdings wert sein sollte. 

In den deutschen Großstädten dagegen könnten schon kleine, kreative und dabei preiswerte Ideen dazu beitragen, die Bürger:innen auch ohne 9-Euro-Flatrate zu motivieren, aufs Auto zu verzichten. Die Strategie dahinter heißt Nudging. Dabei geht es darum, Maßnahmen zu schaffen, die Menschen zu nachhaltigem Handeln motivieren. Und ein Blick auf verschiedene europäische Städte zeigt: Nudging steht aktuell hoch im Kurs.

„In der Verknüpfung von Mobilität und Gesundheit steckt Potenzial für die Verkehrswende“

Alan Atzberger

Bologna, Wien oder Bayern planen sogenannte Token-Modelle. Bürger:innen sollen für umweltfreundliches Verhalten belohnt werden. Wer mit den Öffis statt mit dem eigenen Auto fährt, sammelt per App Punkte, die in ÖPNV-Tickets oder Karten für kulturelle Veranstaltungen eingetauscht werden können. Schönheitsfehler bei diesen Konzepten: Auch wenn die Angebote freiwillig sind, schwingt für mich dabei die Assoziation eines Überwachungsstaates à la George Orwell mit.

Wie Incentivierung abseits von Big Data gelingt, zeigte vor kurzem die BVG mit einem ebenso kreativen wie sinnvollen Case. Gemeinsam mit dem Erotik-Onlineshop Amorelie nahmen die Verkehrsbetriebe der Hauptstadt den CSD zum Anlass, ein sogenanntes *icket anzubieten. Das Spezial-Ticket enthielt nicht nur einen vergünstigten Tarif, sondern auch eine Beilage zum Safer Sex sowie weitere Goodies. An dieser Stelle ist definitiv mehr als nur die reine Daseinsvorsorge geklärt. 

Noch kreativer ist man im rumänischen Cluj Napoca. In der Kleinstadt führte der Bürgermeistermeister ein „Health Ticket“ ein: Wer an der Haltestelle innerhalb von zwei Minuten zwanzig Kniebeugen absolviert, bekommt ein kostenloses Busticket ausgestellt. Sicherlich ist das keine flächendeckende Lösung für Großstädte, in denen die Kapazitäten gar nicht vorhanden sind, um eine solche Aktion zu begleiten. Aber sie schafft eine Verknüpfung der Themen Mobilität und Gesundheit, in der meiner Meinung nach sehr viel Potenzial für die Verkehrswende steckt.

Die lokalen ÖPNV-Anbieter in Metropolen wie Berlin oder Hamburg haben mit ihren multimodalen Apps bereits das nötige Tool in der Hand. Nutzer:innen können wählen zwischen öffentlichen Verkehrsmitteln, E-Bikes, Scootern oder Autos und auch der Fußweg wird als Option angezeigt. Allerdings: Meist wird die zeitsparendste zuerst Option gelistet – und die ist längst nicht immer die effizienteste, günstigste, umweltfreundlichste oder gesündeste. Dabei ist man sogar in Berlin zu Fuß oft besser beraten und profitiert von Benefits, die andere Optionen nicht bieten: Bewegung, Vitamin D und, wenn es die Abkürzung durch den Park wird, sogar frischer Luft. 

Ich denke: Die Verkehrswende funktioniert nur mit den richtigen Anreizen. Und das Wohl der Bürger:innen sollte dabei im Vordergrund stehen. Warum zeigen die ÖPNV-Apps in sinnvollen Situationen nicht als erste Option den Fußweg an, selbst wenn sie dann etwas länger als mit einem E-Scooter brauchen? Ich bin mir sicher, mehr Menschen würden diese nutzen – und das bestimmt auch ohne „Health-Meilen“ sammeln.

Alan Atzberger

Mobility und erneuerbare Energien – für diese Themen schlägt Alan Atzbergers Herz. Seine über zehnjährige Erfahrung in den Bereichen sammelte er bei Start-ups sowie börsennotierten Unternehmen (u.a. Tesla, Sonnen, Unu, Reach Now) in Vertriebs-, Business Development und Go-to-Market-Positionen. Aktuell berät Alan bei TLGG Unternehmen als Practice Lead Mobility & Energy von der Marketingstrategie bis hin zum Venture Building. Auf seinem Blog All About Mobility teilt er regelmäßig die neusten Trends und Updates aus der Szene.