Schätzfrage: Wie viele Menschen wünschen sich in Bus und Bahnen dieselbe Luftqualität wie bei einem Waldspaziergang? Na, irgendeine Idee? Okay, ich verrate es: 68 Prozent! Diese überraschende Zahl stammt – wie die an sich schon ziemlich abwegig erscheinende Frage – aus einer aktuellen Umfrage. In der ging es um Hygiene im ÖPNV im Allgemeinen und die der Atemluft im Besonderen. Initiiert wurde sie übrigens von einem Hersteller für Luftreinigungsgeräte (hüstel, hüstel). 

Da fügt es sich natürlich gut, dass immerhin 40 Prozent der Befragten angaben, sie würden für Hygiene und Luft in Premiumqualität im ÖPNV auch mehr für ihr Ticket bezahlen. Es ist jetzt nicht so, dass ich den Gedanken nicht nachvollziehen könnte. Dazu habe ich zu lange in Berlin gelebt – und zurück in Hamburg einige Zeit gebraucht, mir wieder abzugewöhnen, S-Bahn-Sitzpolster vor dem Niederlassen zunächst auf Bierpfützen zu prüfen.   

Auch verstehe ich die Logik hinter so einer Umfrage. Eine PR-Agentur bastelt für ihren Kunden einen kleinen Katalog aus Suggestivfragen. Den lässt man dann online durch gerade so viele Leute beantworten, dass sich irgendwie das Wörtchen „repräsentativ“ dranschreiben lässt, ohne dabei allzu rot werden zu müssen. Durch die Frage, ob man sich „eine hohe Luftqualität, wie z. B. Waldluftqualität“ wünscht, ist die Schlagzeile in Medien, die diese PR-Umfrage aufgreifen, bereits einkalkuliert: „Mehrheit der Deutschen wünscht sich Waldluftqualität im ÖPNV“ oder so ähnlich. So läuft das Spiel eben. Womit ich allerdings ein Problem habe, ist etwas anderes. 

Bislang ist es nur ein Gefühl oder vielmehr eine Ahnung. Ich glaube, dass sich in die Debatte um die Steigerung der Attraktivität des ÖPNV gerade ein neuer Ton mischt. Bus und Bahn erfahren aktuell jede Menge Aufmerksamkeit. Steigende Benzinpreise und das drückende Klimagewissen lassen Pendler:innen über einen Umstieg nachdenken. Spätestens, sobald die Pan- zur Endemie geworden ist, dürfte es darum ziemlich eng in Bussen und Zügen werden. Selbst die konservative FAZ ahnt bereits ein Ende des Dienstwagens. Zusammengefasst: Hier ist wirklich etwas in Bewegung geraten.   

Diese Entwicklung finde ich absolut begrüßenswert. Mir missfällt aber, wenn versucht wird, diese Chance für Verkehrswende mit einer Diskussion um den gebotenen Komfort zu verquicken. Natürlich wäre es schön, fühlte sich die Pendelfahrt ins Büro an wie eine Landpartie. Doch ganz ehrlich: Ist das wirklich das größte To-Do, um den ÖPNV attraktiv für neue Nutzer:innen zu machen?

„Business-Class-Wagen würden die Fahrten im Nahverkehr um 11 Prozent steigern“

World Economic Forum

Jetzt darf man die Wirkmacht einer PR-Umfrage nicht überschätzen. Eine Studie des World Economic Forums sollte man schon ernster nehmen. Darin wurde neulich für die Berliner U-Bahn die Einrichtung einer ersten Klasse vorgeschlagen. Der Studie zufolge „ein differenzierter Servicelevel im öffentlichen Nahverkehr, ähnlich wie ein Business-Class-Wagen in der Bahn, den Anteil der Fahrten im öffentlichen Nahverkehr um 11 steigern und gleichzeitig 28 höhere Einnahmen für das Verkehrsunternehmen“ bringen. Wie gesagt, als jemand, der in Berlin mit der U1 ins Büro fuhr, während sich neben ihm döneressende und vom nächtlichen Clubbesuch ertaubte Jugendliche anschrien, sieht den Charme dieser Überlegung. 

Doch ich teile die Skepsis von Don Dahlmann. Der zweifelt nicht nur, dass eine abgetrennte Businessclass wirklich sicherer sei und verweist auf ein drängenderes Problem, das auch die Studienautor:innen benennen: Die Gentrifizierung habe viele Menschen, die aus finanziellen Gründen über keine Alternative zum ÖPNV verfügen, in unterversorgte Vororte verdrängt. Man solle lieber Geld in deren Anschluss an das Netz über Ridepooling oder Mikromobilität stecken, so Dahlmann. Er hat recht.

Tatsächlich erscheint ein Comeback von Bankierszügen für mich das komplett falsche Signal. Denn dahinter steckt ein Denkfehler. So gut es ist, neue Nutzer:innen für den ÖPNV zu begeistern. Dafür braucht es keine erste Klasse, das wird der Spritpreis schon allein besorgen. Und es wäre fatal, die ohnehin knappen Mittel in schicke Premium-Angebote zu stecken, während sich die Bestandskundschaft mit dem zufriedengeben sollte, was halt schon da ist.

Für mich taugt als Blaupause für die Steigerung der Attraktivität des ÖPNV vielmehr ein anderer Case: Das Comeback der New Yorker U-Bahn. Zum Glück sind weder der Investitionsstau noch das Gewaltniveau des deutschen ÖPNV mit der Situation in der Subway zu Beginn der 1980er-Jahre vergleichbar. Umso leistbarer sollte es sein, deren Playbook auf hiesige Herausforderungen anzuwenden.   

In New York wurden die beschränkten Ressourcen damals nicht in Prestigeprojekte gesteckt, sondern in den waggonweisen Austausch des Fahrzeugparks, die Modernisierung der Infrastruktur und besseren Kundenservice, dazu führte man die Guardian Angels ein. Ziemlich pragmatische Maßnahmen also, von denen alle Nutzer:innen profitiert haben, auch wenn sich damit keine Schlagzeile machen ließ. Aber ich bin sicher: Allen, die auf die Subway angewiesen waren, schätzten weniger Raubüberfälle mehr als einen “Waldspaziergang durch Manhattan”.

Die große Gefahr sehe ich aktuell darin, dass viele Entscheider:innen heute auf mögliche Schlagzeilen schielen und darum den großen Wurf suchen. Den Bruch, der alles auf eine neue Stufe hebt. Quasi den Tesla-Effekt, wo ein elektrischer Roadster den Beginn der Wende zur Elektromobilität markiert. Wer wäre nicht gerne der Elon Musk des ÖPNV? Nur steckt darin eben auch viel Storytelling. Mal abgesehen davon, dass die Klimakrise vermutlich noch größeren Einfluss auf das Ende des Verbrenners hat als ein Elon Musk.

Darum hoffe ich darauf, dass am Ende nicht diejenigen über Projekte entscheiden, die auf Prestige schielen. Sondern die, die wissen, wie man das Vorhandene weiterentwickelt, die vielleicht selbst jeden Morgen mit der Bahn ins Amt fahren. Die aber auf jeden Fall denen zuhören, die schon heute gerne den ÖPNV nutzen würden, es aber aus diversen Gründen von Geld bis Zugang nicht können.

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Don Dahlmann

Don Dahlmann

Der Journalist und Berater gehört zu den einflussreichsten Stimmen der Mobilitätswende. Er schreibt eine lesenswerte Kolumne bei Gründerszene und ist auf Twitter aktiv.

David L. Gunn

David L. Gunn

Von 1984 bis 1990 war Gunn Präsident der New York City Transit Authority. Seine Aufgabe: Die vor Graffiti und Kriminalität geflohene Mittelklasse als Subway-Passagiere zurückzugewinnen.