Autos müssen rollende Computer werden, heißt es seit Jahren. Und allmählich machen die Hersteller ernst. Nicht nur in dem Sinne, dass in ihren Fahrzeugen immer mehr IT steckt. Die OEMs eifern der Tech-Branche auch in anderer Hinsicht nach: In Neuwagen stecken ab Werk immer mehr Komfortfunktionen und attraktive Extras, die sich aber nur kostenpflichtig freischalten lassen. Nicht nur die Produkte der Autoindustrie werden also smarter, sondern auch ihr Businessmodell. Das Ziel: Nicht mehr nur beim Verkauf zu verdienen, sondern über den kompletten Lebenszyklus eines Fahrzeugs hinweg.

Die IT-Branche macht es erfolgreich vor: Kund*innen mögen zunächst murren, lassen sich dann aber doch auf Abomodelle und kostenpflichtige Add-ons ein – selbst wenn sie dafür am Ende mehr bezahlen als früher, wo man mit der veralteten Kauf-Software eben so lange klar kam, wie sie noch irgendwie das tat, was sie sollte. Doch Autos bestehen nicht nur aus Codezeilen. In ihnen sind jede Menge kostbarer Rohstoffe verbaut. Darum kann man diesen Trend durchaus skeptisch sehen. Gut oder schlecht – die FUTURE MOVES-Redaktion diskutiert.

Kontra: Christian Cohrs

Wie viel ist eine Sekunde wert? Wenn es nach Mercedes-Benz geht, dann sind es 1.200 Dollar im Jahr. Diese Summe verlangt der Autobauer von Kund*innen seines Autoabos in den USA für eine schnellere Beschleunigung der Elektro-Modelle EQE und EQS von 0 auf 60 Meilen pro Stunde (rund 100 km/h). Der Clou: Die Aktivierung des Boosters erfolgt ganz bequem per Software. Anders gesagt: Das vermeintliche Add-on ist im Grunde nichts anderes als die Aufhebung einer künstlichen Begrenzung.

Die Schwaben sind nicht die ersten, die auf diesen kreativen Einfall kamen, den eigenen Kund*innen noch ein bisschen mehr Geld mehr aus der Tasche zu ziehen. Konkurrent Tesla etwa verlangt 2.000 Dollar, um das Model 3 eine halbe Sekunde schneller auf 60 Meilen pro Stunde zu beschleunigen. Der Aufreger liegt auf der Hand: Erst soll man für das Auto zahlen und dann nochmal, um es ohne Einschränkung nutzen zu können – geht’s noch?!?!

„Anders als in der IT steigt beim Auto der Rohstoffbedarf“

Christian Cohrs

Mercedes kostenpflichtige Sekunde gleicht im Kern dem bei Software etablierten Freemium-Modell: Basisfunktionen lassen sich for free – also kostenfrei – nutzen, alle darüber hinausgehenden Premium-Services dann nur gegen Cash. Natürlich sind Autos (derzeit noch nicht) gratis, aber das Prinzip ist identisch. Und es wird uns bald immer häufiger begegnen. Naheliegend ist das vor allem im Fall von Diensten und Funktionen, die nur gelegentlich benötigt werden: Navigation, autonomes Fahren oder die Sitzheizung.

Sitzheizung? Ja, die hat der Hersteller BMW kostenpflichtig gemacht. Nach dem Probemonat kostet ein warmer Po dann 17 Euro im Monat, wenn man sich nicht jährlich oder unbegrenzt binden will (und ein Jahresabo macht bei einer Sitzheizung allerdings wirklich wenig Sinn). Und an dieser Stelle habe ich dann doch langsam ein Problem mit der Das-Auto-als-Software-Logik. Denn anders als in der IT, wo sich Produkte komplett in die Cloud verlagern lassen und am Ende sogar physische Datenträger eingespart werden, steigt beim Auto der Rohstoffbedarf. 

Audi bietet bereits seit 2020 kostenpflichtige „Functions on Demand“ wie digitalen Radioempfang, eine Navi-Funktion oder die bessere Anbindung des Smartphones ans Auto an. Foto: Philipp und Keuntje GmbH, Friethjof Ohm

Denn keine Sitzheizung ohne Heizspiralen, keine AV-Funktion ohne Sensoren. Und weil es schlicht billiger ist, Extras nicht nur auf Bestellung zu verbauen, sondern Autos standardmäßig in Vollausstattung vom Band rollen lassen, um dann Funktionen hinter eine Paywall zu sperren, droht hier ein Entwicklung, die ich als extrem unzeitgemäß empfinde. Auf der einen Seite betonen die OEMs ihr Engagement für Nachhaltigkeit und immer höhere Recycling-Fähigkeit ihrer Produkte. Zugleich binden Sie in den Fahrzeugen Rohstoffe und elektronische Komponenten, um darüber mehr Geld verdienen zu können.   

Logisch, am Ende liegt es an den Kund*innen, ob sie diesen Weg mitgehen – lautet an dieser Stelle der übliche Einwand. Das stimmt jedoch nicht. Denn hier wiederum sind die Parallelen zur Software-Branche klar: Sobald das Abo- und Freemium-Modell sich bei einem OEM bewährt hat, werden es nach und nach alle übernehmen. Zumindest im Premium-Bereich ist diese Entwicklung absehbar. 

Denkt man die Software-Analogie weiter, bedeutet das: Wer sich nicht mehr leisten kann, muss sich mit einem Billigprodukt begnügen, das zwar wenig kostet, aber auch nur wenig kann und zudem durch nervige Werbung querfinanziert wird. Und die finanzkräftige Klientel wird mit Autos unterwegs sein, in denen viel mehr steckt, als die Fahrer*innen überhaupt benötigen oder auch nur verstehen. Kann man so machen, aber so richtig nachhaltig ist diese Entwicklung in meinen Augen nicht. 

Pro: Max Wiesmüller

Abomodelle wie die von Mercedes, BMW oder Tesla sind ein Schlüssel, um Automobilität erschwinglicher  zu machen. Das liest sich vielleicht auf den ersten Blick widersprüchlich, ich bin aber überzeugt davon. Gerd Stegmaier von der Autozeitung „AMS“ hat erst vor wenigen Tagen und sehr treffend aufgeschrieben, dass insbesondere Kleinwagen unmittelbar vom Aussterben bedroht sind. Für das Klima ist das übrigens eine sehr schlechte Nachricht, weil stattdessen entweder ältere oder größere Autos gekauft werden.

Das läge laut der Autolobby zum einen daran, dass die neue Abgasnorm Euro 7 so gemein streng sei und Polo, Fiesta und Co. deshalb nicht mehr aktualisiert werden, zum anderen aber auch daran, dass die Kosten für E-Kleinwagen nicht schnell genug purzeln, um für alle gute Alternativen zu bieten. Und in der Tat: Renault Zoe, Fiat 500e und VW e-up sind zwar beliebt, aber deutlich teurer als vergleichbare Verbrenner – und preislich oft absurd nah dran an deutlich größeren Autos. Auch hier gilt: Das ist keine gute Nachricht.

Was also tun? Soll umweltfreundlicheres Autofahren zum Privileg der Reichen werden? Nein. Viel lieber mag ich technische Lösungen für die aktuellen Probleme, so wie die diskutierten Abomodelle. Klar müssen wir uns alle noch daran gewöhnen, dass uns Autohersteller jetzt auch nach dem „Kauf“ des Autos zur Kasse bitten, doch so richtig neu ist das nicht. Wer Apple CarPlay in einem fünf Jahre alten Golf nutzen will, muss dafür in die Werkstatt und mindestens 190 Euro bezahlen. Und wer die Echtzeit-Verkehrsinfos in einem acht Jahre alten BMW nutzen möchte, muss ebenfalls löhnen. Beides weiß ich aus eigener Erfahrung.

„Wie gern hätte ich fünf Euro im Monat bezahlt, um das LED-Kurvenlicht freizuschalten“

Max Wiesmüller

Genau so weiß ich, dass ich mich auf den Kopf stellen konnte, was die eine oder andere Ausstattung bei meinem Golf-Kauf vor einigen Jahren anging: Tempomat gibt es nicht nachträglich, auch LED-Matrix-Licht hätte durch den ersten Käufer bestellt werden müssen und vom Regensensor will ich gar nicht erst anfangen. Die Suche nach dem perfekten Golf zog sich unnötig in die Länge und war von ewigen Pushnachrichten mit Suchergebnissen durchzogen – und von häufigem enttäuschten Schließen der einschlägigen Gebrauchtwagen-Apps. Wie gern hätte ich fünf Euro im Monat bezahlt, um das LED-Kurvenlicht freizuschalten und den Tempomat und den Regensensor zu aktivieren.

Kommen wir zurück zum Erschwinglichkeitsgedanken eingangs. Mercedes, BMW und VW folgen dem Tesla-Vorbild aus dem Labyrinth der Individualisierung und bewegen sich in dieselbe Richtung: nur noch ein Einheitsmodell anzubieten, bei dem man vielleicht noch die Außenfarbe, die Sitzbezüge und die Anhängerkupplung auswählt, alles andere ist von der Stange und einheitlich. Das spart Aufwand bei der Homologierung der neuen Modelle, nimmt Komplexität in der Produktion raus und beides senkt die Einstiegspreise.

Die Einstiegshürde für den Autokauf wird wieder niedriger: Wer gerade wirklich ein Auto braucht, kauft sich einen nackten Hugo und bucht nach der nächsten Gehaltserhöhung den Fernlichtassistenten. Und die Preise auf dem Gebrauchtmarkt werden steigen, weil im Grunde ja jedes Auto zu allen Kund*innen passt. Wir alle werden massiv davon profitieren. Den Einheits-Fiestas und -Polos gehört die Zukunft. VW baut deshalb sogar eine ganz neue Fabrik.

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Christian Cohrs

Christian Cohrs

Nie kam FUTURE MOVES-Redaktionsleiter Christian Cohrs dem Luxus eines Auto-Extras näher als in dem Moment, als jemand Ende der 90er-Jahre die futuristisch designten Drehknöpfe seines überaus karg ausgestatteten Twingos mit der Frage „Ist das eine Klimaanlage“ bedachte. Auch sein zweites Auto, ein Mazda MX-5, war so so ziemlich die Antithese zur Zukunft digitaler Mehrwertangebote.

Max Wiesmüller

Max Wiesmüller

Der Mercedes W124 von Max Wiesmüller war ein fantastisches Kfz: Ein echter Buchhalter, wie Kenner sagen. Er hatte de facto keine Ausstattung, das billigste Radio, Kurbelfenster und eine manuell bediente Ausziehantenne. Er hatte dafür aber ein wunderbares Holz und einen laufruhigen Sechszylinder. Er ist das Gegenteil der im Text erwähnten „software-defined vehicles“ der Zukunft.