Eine Autofahrerin rollt auf einen Kreisverkehr zu. Im Kreisel ist ein Auto, das den Blinker setzt und ihn folglich wohl verlassen wird. Die Fahrerin hat dennoch ein mulmiges Gefühl und bleibt lieber stehen. Und tatsächlich fährt das Auto nicht aus dem Kreisverkehr. Hätte die Fahrerin anders entschieden, wäre es vielleicht zu einem Unfall gekommen. Glück gehabt oder auch Intuition.

Beim Autofahren treffen wir viele Entscheidungen aus unserer Erfahrung heraus, und meistens sind sie richtig. Manchmal jedoch nicht, und dann kann‘s scheppern. Ganz anders verhalten sich die Programme, die in den heutigen Assistenzsystemen laufen. Sie arbeiten im Rahmen der technischen Grenzen blitzschnell und zuverlässig, aber völlig stupide. Sie können halt nur das erkennen und berechnen, wofür sie programmiert worden sind. Für das autonome Fahren, auf das die Hersteller hinsteuern, ist etwas ganz anderes nötig.

Künstliche Intelligenz, nämlich. KI-Systeme werden über Machine Learning definiert – aus den Erfahrungen, die sie machen, ziehen sie Schlüsse, die sie für ihr künftiges Verhalten nutzen können. Der Weg dahin führt sinnvollerweise über Deep Learning: Die Entwickler bauen künstliche neuronale Netze auf, die aus einer Vielzahl von Layern bestehen. Sie bilden die Funktion des menschlichen Gehirns nach; Algorithmen simulieren die Synapsenknoten. Dank Deep Learning können Maschinen überhaupt erst Prognosen abgeben oder Entscheidungen fällen.

KI im Auto funktioniert schon heute gut, aber nur in Teilbereichen wie der Sprachsteuerung. Der US-amerikanische Spezialist Cerence rüstet die Modelle vieler Hersteller mit seiner Software aus, die auch vernuschelte oder flapsige Eingaben („Mir ist kalt!“) versteht. Das Startup Zync aus San Francisco geht einen großen Schritt weiter und will noch in diesem Jahr sein neuartiges In-Car-Entertainment ins Auto bringen. Ob Streaming, Gaming, News oder Online-Shopping – die KI von Zync wird den Nutzer:innen Vorschläge machen, die sich an deren Vorlieben und an der Verkehrssituation orientieren. Für das perfekte Rundum-Setting lassen sich künftig auch Klimatisierung, Innenbeleuchtung und Sitzmassage intelligent steuern.

„KI wird immer einen Scheuklappenblick behalten“

Andreas Dengel, Informatiker und Hochschullehrer

Alles ganz nett, aber mit dem autonomen Fahren hat das natürlich noch nichts zu tun. Hier sind die An- und Herausforderungen riesig. Eine KI kann aus Millionen Beispielen und Situationen lernen – doch sie besitzt kein ganzheitliches Gedächtnis, aus dem sie in einer neuen Situation abstrahieren kann, und sie hat keine Spur Fantasie. Sie rechnet nicht damit, dass jemand einen Kanaldeckel von einer Brücke auf die Autobahn fallen lässt oder dass sich ein Kind an Halloween als Mülltonne verkleidet. „Die Maschine wird immer einen Scheuklappenblick behalten“, sagt Andreas Dengel, Geschäftsführender Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern. 

Die Herausforderung beim autonomen Fahren ist nicht die künstliche Intelligenz, sondern ihre fehlende Fantasie

Die immense Menge der benötigten Lösungen ist das eine Problem der KI-Entwicklung – die Suche nach dem besten Weg dorthin ist das andere. Wie konfiguriert und trainiert man ein tiefes neuronales Netzwerk so, dass es möglichst hohe Lernraten erzielt? Unter dem Dach der Google-Muttergesellschaft Alphabet haben 2019 zwei Tochterfirmen eine Kooperation gestartet: Waymo als Spezialist für autonomes Fahren und DeepMind, die Experten für KI-Forschung. Waymo übernahm von der Schwesterfirma ein Prinzip, das aus dem Bereich Videospiele stammte: Mehrere KI-Trainingsprogramme konkurrieren miteinander, am Ende setzt sich das effizienteste durch. Laut Waymo verringerte diese PBT-Methode (Population Based Training) den Aufwand an Trainingszeit und Ressourcen um die Hälfte oder mehr.

Ob PBT eine Key Solution für smarte lernende Algorithmen wird? Fakt ist, dass Waymo beim autonomen Fahren in Führung liegt; Expert:innen sehen die Kalifornier vor den traditionellen Autoherstellern und den großen Zulieferern. All diese Player arbeiten an oder mit Versuchsflotten; Waymo, schon lang mit Chrysler unterwegs, hat sich jetzt mit der Elektro-Marke Zeekr aus dem chinesischen Geely-Konzern zusammengetan.

„Wir können die Fehlerrate auf einen Wert nahe Null reduzieren“

Jan Becker, CEO Apex.AI

Während einige Wettbewerber den Start ihrer Robo-Autos für die ganz nahe Zukunft ankündigen, hält sich Waymo bedeckt, trotz seiner großen Erfahrung. Schon 2012 hat die Alphabet-Tochter beziehungsweise Google ihre ersten selbstfahrenden Autos losgeschickt, heute testet Waymo in Phoenix/Arizona und im Raum San Francisco. Das läuft nicht immer ganz störungsfrei ab. Manchmal irritieren Baustellenhütchen die KI, gelegentlich fahren die Autos in eine Sackgasse, wenden dort brav und verlassen sie wieder. Viele Passagiere – in Kalifornien fast jeder zweite – bewerten die Fahrten nicht mit Bestnoten. Viel wichtiger ist aber, dass laut Waymo noch immer kein schwerer Unfall passiert ist.

Die KI für das autonome Fahren, die Waymo und seine Rivalen entwickeln, wird wohl nie einen hundertprozentig perfekten Job machen. „Aber wir können die Fehlerrate auf einen Wert nahe Null reduzieren“, glaubt Jan Becker, CEO des kalifornischen Start.ups Apex.AI, das ein Betriebssystem für selbstfahrende Autos entwickelt hat. Und damit wird die Künstliche Intelligenz den menschlichen Fahrer:innen weit überlegen sein, denn die verschulden mit ihren Fehlern 90 Prozent aller Unfälle. Wir sollten uns auf unsere Erfahrung und Intuition nicht allzu viel einbilden.

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Jan Becker

Jan Becker

Becker hat in Darmstadt, Braunschweig und Buffalo studiert. Er gehörte zum Team der Universität Stanford, das an der Darpa Urban Challenge 2007 teilnahm, einem frühen Wettbewerb für autonom fahrende Autos. Später leitete er die Entwicklung des autonomen Fahrens bei Bosch Nordamerika und Faraday Future. Für die Society of Automotive Engineers (SAE) arbeitete er an den Stufen mit, die das autonome Fahren beschreiben. Heute ist Jan Becker Präsident, CEO und Mitbegründer von Apex.AI.

Andreas Dengel

Andreas Dengel

Als Informatiker und Hochschullehrer berät Professor Dr. Andreas Dengel Klienten aus Wissenschaft, Industrie und Politik. Er arbeitet als Geschäftsführender Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern und als wissenschaftlicher Leiter der Forschungsabteilung „Smarte Daten und Wissensdienste“.  Zudem ist Dengel Gründer und Leiter des Kompetenzzentrums für Deep Learning am DFKI.