Landlogistik: Hier fährt die Postkutsche 2.0
In ländlichen Bereichen müssen die Einwohner:innen zwangsläufig weitere Entfernungen zurücklegen. Für regionale Produzenten bedeutet dies mehr Aufwand und höhere Transportkosten. Landlogistik möchte dies mit Hilfe einer cleveren Idee umgehen
Manche ländlichen Regionen wachsen, andere verwaisen immer mehr. Regionen mit schrumpfender Wirtschaft stecken häufig in einem Teufelskreis: Viele junge Menschen verlassen das Dorf mangels weiterführender Bildungsangebote oder Arbeitsplätze. Mit ihnen geht die Kaufkraft und die Infrastruktur, und Läden müssen schließen, wodurch weitere Arbeitsplätze verloren gehen. Eine mögliche Lösung: Handelsbetriebe müssen ihr Einzugsgebiet vergrößern.
Doch damit gehen gleich neue Probleme einher. In Zeiten der notwendigen Verkehrswende ist niemandem damit geholfen, Hunderte oder gar Tausende zusätzliche Transporter auf die Straßen zu schicken. Stattdessen könnte man bestehende Ressourcen besser und flexibler nutzen. Wie? Dafür will das Unternehmen Landlogistik in eine alte Trickkiste greifen und die Postkutsche reanimieren.
„Mit der Landlogistik kann man sofort mit der Verkehrswende starten – auch ohne neue Antriebstechnologie“, sagt Anja Sylvester, Geschäftsführerin von Landlogistik. Für alle, die zu jung sind, um sich an Postkutschen zu erinnern: Unzählige Fahrzeuge, Busse und Züge sind tagtäglich unterwegs und haben eins gemeinsam: freie Ladeflächen. Doch die werden bisher nicht systematisch erfasst und deshalb – anders als früher – auch nicht genutzt. Landlogistik schätzt, dass im Schnitt nur 50 bis 60 Prozent der Fahrzeuge ausgelastet sind. Das ist nicht schlecht, da geht aber noch was.
„Grün sind alle Fahrten, die vermittelt werden, denn sie sind ja eh unterwegs“
Anja Sylvester, Geschäftsführerin von Landlogistik
Zusammen mit Projektpartnern entwickelt Landlogistik Lösungen, um freie Ladeflächen des ÖPNV für den Warenverkehr zu nutzen. Ladeflächen verschiedener Verkehrsteilnehmer sollen miteinander verknüpft und buchbar werden – es entsteht eine sogenannte kombinierte Transportkette. „Über die Landlogistik wollen wir dazu beitragen, dass Kunden eine Wahl treffen können, welches Transportmittel für sie in Frage kommt. Grün sind alle Fahrten, die vermittelt werden, denn sie sind ja eh unterwegs“, meint Sylvester.
Die Kundschaft von Landlogistik soll damit nicht nur etwas Gutes für die Umwelt tun, sondern selbst profitieren, erklärt Sylvester: „Mit der Landlogistik kann man sofort mit der Verkehrswende starten – auch ohne neue Antriebstechnologie – Kooperation, Verknüpfung und Bündelung sparen sofort Fahrzeuge und entlasten Betriebe durch die Reduzierung eigener Spritkosten“. Seit September 2012 setzt Landlogistik dieses Prinzip in der Uckermark um: Alle Linienbusse nehmen Güter im ganzen Landkreis mit. Gelegentlich wird auch der Bedarfsverkehr wie der Rufbus genutzt.
Was in der Brandenburgischen Provinz bereits seit zehn Jahren funktioniert, soll in Schritt zwei mit Hilfe des BMDV-Projekts Cargosurfer ausgeweitet weden: Der gesamte Transportprozess ist dann digitalisiert und mit entsprechenden Schnittstellen verknüpft. Das Ziel ist es eine App zu entwickeln, die die Vermittlung kombinierter Transportketten inklusive der Abrechnung beinhaltet.
Dabei beschränkt man sich keineswegs nur auf Busse: In Berlin untersucht das Unternehmen unter dem Projektnamen Cargotram bis voraussichtlich März, inwieweit die S-Bahn für die Kleingütermitnahme mobilisiert werden kann. Im dritten Schritt des Cargosurfer-Projekt beteiligt sich Landlogistik am Aufbau eines Mikrologistik-Systems, bei der neben den freien Flächen des ÖPNV auch freie Ladeflächenkapazitäten von Gewerbefahrten mit genutzt werden sollen.
Ein erster Test der Logistikplattform Cargosurfer ist bereits in den beiden Reallaboren im Spessart für den Sommer 2023 geplant – der im besten Fall natürlich verstetigt werden sollte, und das bundesweit. „Landlogistik definiert Mobilität und Logistik als ein System“, sagt Sylvester. Doch die Vielzahl an regionalen ÖPNV-Betreibern und Logistikunternehmen müssen an einen Tisch gesetzt werden. „Hier ist auch die Politik gefragt, das Zusammenspiel verantwortlicher Akteure zu fördern und eine Flexibilisierung von formalen Rahmenbedingungen zu ermöglichen“.
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Anja Sylvester
Die gelernte Diplom-Geografin ist seit 2005 bei Interlink in der ÖPNV-Beratung beschäftigt. Marketing, Moderation und Innovationsprojekte sind hier die Aufgaben von Anja Sylvester. Seit Januar 2018 entwickelt sie als Geschäftsführerin von Landlogistik Mobilitätslösungen für den ländlichen Raum.
Thomas Dickert
Der ehemalige Bürgermeister von Biebergemünde ist Gründungsmitglied, langjähriger Wegbegleiter und der Geschäftsführer des Verbands Spessartregional. Mit zahlreichen Projekten für die der Stärkung des Tourismus, des Wohn- und Lebensraumes, aber auch der Mobilität möchte er ländliche Regionen eigenständiger gestalten.