Vor zehn Jahren haben mein Team und ich in San Francisco Scoot gegründet, die allererste E-Scooter-Sharing-Firma. Wir haben ein Gerät entwickelt, das jeden Roller mit dem Internet verbindet, und dazu eine App, mit der man sie finden, bezahlen und einschalten kann. Heute bieten zahlreiche Unternehmen in Städten auf der ganzen Welt über eine Million ausleihbare E-Bikes, E-Scooter und E-Motorräder an. Sie sind von Hunderten von Millionen Menschen genutzt worden. Die meisten von ihnen haben so zum ersten Mal die Elektromobilität erlebt – und es geliebt.

Doch die geteilte Mobilität stößt an Grenzen, die auch die große Nachfrage und das Risikokapital nicht überwinden konnten. Zwar haben Hunderte von Millionen Menschen einen E-Scooter oder ein ähnliches Fahrzeug ausprobiert, aber die meisten sind nur ein paar Mal damit gefahren. Jedes Fahrzeug wird im Durchschnitt etwa zweimal am Tag genutzt.

„Der Beitrag der Shared Mobility zur urbanen Mobilität ist und bleibt gering“

Michael Keating

Die Sharing-Elektrofahrzeuge stehen nur in den belebtesten Teilen der Städte zur Verfügung. Und der Aufwand, sie aufzuladen und zu warten, führt dazu, dass eine kurze Fahrt (in den USA, Anm. d. Red.) normalerweise mehr als 5 Dollar kostet. Mit diesen Einschränkungen funktionieren die Sharing-Fahrzeuge eher wie Taxis als wie Massenverkehrsmittel. Sie werden regelmäßig von wohlhabenden Einwohner*innen genutzt, gelegentlich von anderen Locals, die in Eile sind oder Spaß haben wollen, sowie von Tourist*innen. Diese Aktivitäten sind zwar wichtig, und jede Stadt sollte ihn Einwohner*innen und Besucher*innen Leihfahrzeuge zur Verfügung stellen, der Beitrag der Shared Mobility zur urbanen Mobilität ist und bleibt jedoch gering.

Aber das ist völlig in Ordnung. Denn 99 Prozent der E-Bikes und E-Scooter und werden nicht gemeinsam genutzt, sondern gehören ihren Fahrer*innen. 

Von der Revolution der Mobilität zum Mittel zum Zweck: Sind Shared-Scooter am Ende nur Marketing für den Besitz eigener Fahrzeuge?

Rund 300 Millionen dieser Fahrzeuge sind derzeit im Einsatz, hauptsächlich gehören sie Pendler*innen in China. Das frühe Verbot von Motorrädern mit Verbrennungsmotor dort, die enormen Investitionen in die Straßeninfrastruktur dort und die wachsende Stadtbevölkerung boten die perfekte Gelegenheit für den Aufschwung von E-Fahrzeugen.

Aber auch außerhalb Chinas verdoppelt sich der Absatz von E-Bikes und E-Scootern Jahr für Jahr und übertrifft den von Elektroautos bei weitem. In den USA und Europa kommen die Käufer*innen aus dem gesamten wirtschaftlichen Spektrum – von wohlhabenden Eltern in der Stadt, die ein Fahrzeug für den Schulweg ihrer Kinder suchen, bis hin zu gerade eingewanderten Lieferboten, die versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen. Sie leben in allen Vierteln einer Stadt, auch in Gegenden, die nicht von Touristen frequentiert werden und in denen es keine Sharing-Fahrzeuge oder öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Diese Leute fahren nicht nur ein paar Mal. Sie fahren stündlich, täglich oder wöchentlich. Wenn sich die Fahrradinfrastruktur verbessert, werden sie und ihre Nachbar*innen sich sicherer fühlen und noch mehr Rad fahren. 

„Drei Milliarden Menschen wollen ihr eigenes Fahrzeug, so schnell wie möglich“ 

Aber um die große Chance zu erkennen, muss man noch einen Schritt zurückgehen und die ganze Welt betrachten: Die meisten Menschen besitzen noch kein motorisiertes Fahrzeug irgendeiner Art. Und das nicht aus freien Stücken. Es liegt daran, dass sie sich keins leisten können. Wir sprechen hier von drei Milliarden Menschen, die nicht motorisiert sind, im Vergleich zu den etwa zwei Milliarden, die ein Auto, Motorrad oder E-Bike besitzen. Um es klar zu sagen: Diese drei Milliarden Menschen warten nicht darauf, dass in ihrer Stadt ein E-Scooter für 5 Dollar pro Fahrt auftaucht. Sie wollen ihr eigenes Fahrzeug, und zwar so schnell wie möglich. 

Elektro-Scooter sind heute die erschwinglichsten Kraftfahrzeuge der Welt, zu haben schon ab ein paar hundert Dollar für ein E-Moped mit Blei-Säure-Antrieb oder einen Lithium-Ionen-Roller mit Standantrieb. Sie werden noch erschwinglicher werden, sobald die Produktion – und insbesondere die Batterien – weiter verbessert werden. Bevor es E-Scooter gab, war das erste Fahrzeug der meisten Menschen ein Verbrennungsmotorrad, weil dies die preiswertesten motorisierten Fahrzeuge waren. Für die Milliarden von Menschen, die sich noch nicht einmal ein Verbrennungsmotorrad leisten können und deren Alternative darin besteht, in einem überfüllten Bus im Stau zu stehen, ein Motorradtaxi zu nehmen oder zu Fuß zu gehen, sind E-Bikes und ähnliche Fahrzeuge eine unwiderstehliche Alternative.

Shared-Mobility-Pionier Michael Keating grabt nicht mehr an die Profitabilität des Business, das er begründet hat.

Aber um diese Nachfrage bei der Mehrheit der Erwachsenen zu wecken, braucht man eine Finanzierung. Und so wird der nahezu unbegrenzte Markt für eigene Elektrofahrzeuge seit einem Jahrzehnt durch das Sharing erschlossen: 

Grob geschätzt eine Milliarde Mal hat eines der Shared-Mobility-Unternehmen wie Tier, Hello, Bird oder Yulu es jemandem ermöglicht, einen wertvollen E-Scooter, ein Fahrrad oder ein Moped zu leihen, ohne zuvor die Kreditwürdigkeit zu prüfen, eine hohe Kaution zu verlangen oder die Ausleihe des Fahrzeugs auf herkömmliche Weise abzusichern. Der Grund dafür ist, dass diese Fahrzeuge vernetzt, verfolgt und aus der Ferne verwaltet werden, so dass sie im Falle eines Diebstahls oder einer einfachen Nichtbezahlung noch am selben Tag deaktiviert, geortet, wiedergefunden und zur Nutzung freigegeben werden können.

Das Vermieten von Sharing-Geräten ist in Wirklichkeit ein sehr kurzfristiges, unbesichertes Ausleihen von sehr nützlichen Gegenständen. Es gibt Milliarden von Menschen, die sich gerne eines dieser Fahrzeuge leihen würden, vor allem, wenn sich der Verleiher dank seiner Technologie zur Fernverwaltung des Fahrzeugs genauso wenig um seine Kreditwürdigkeit kümmert wie um die Kreditwürdigkeit der letzten Milliarde Fahrer. 

Wenn jemand ein E-Bike oder ein ähnliches Fahrzeug besitzt, finanziert oder mietet, um es täglich zu nutzen, bezahlt er nicht jemand anderen dafür, dass er es auflädt, wie er es bei einem gemeinsam Shared-Fahrzeug tun würde. Sie laden es selbst zu Hause auf. Und sie bezahlen auch niemanden, der auf das Fahrzeug aufpasst, wenn sie es abstellen, wie es bei einem Shared-Fahrzeug der Fall wäre. Sie bringen es entweder ins Haus oder schließen es ab, um es zu schützen. Die Kosten für den Eigentümer belaufen sich nicht auf 5 Dollar pro Fahrt. Es handelt sich lediglich um die Abnutzung des Fahrzeugs, eine drahtlose Datenverbindung zur Sicherheit und ein wenig Strom zum Aufladen. In der Summe sind das weniger als 1 Dollar pro Tag. 

„Autos zerstören unser Klima und verstopfen unsere Städte, E-Bikes bewirken das Gegenteil“

Für 1 Dollar am Tag könnte fast jeder sein eigenes E-Bike haben, und es gibt keinen Grund, warum er es nicht haben sollte. Während eine weitere Milliarde Autos (die erwartete Zunahme in den nächsten zehn Jahren) unser Klima zerstören und unsere Städte verstopfen wird, bewirkt eine weitere Milliarde E-Bikes das Gegenteil.

Vor zehn Jahren begannen wir ein etwas chaotisches, in der Regel unrentables und unglaublich populäres Experiment mit gemeinsam genutzter Elektromobilität. In den nächsten zehn Jahren werden wir eine relativ vorhersehbare, hochprofitable und weltweite Verbreitung dieser wunderbaren Fahrzeuge und der dazugehörigen Technologien erleben. Die massenhafte Einführung von E-Bikes und ähnlichen Fahrzeugen wird die katastrophale Nachfrage nach Verbrennungsfahrzeugen abwenden, das Leben von mindestens einer Milliarde Menschen unabhängiger und freier machen. Und das ist das Chaos der Shared-Mobility absolut wert.

Das Original dieses Artikels erschien im Blog von Michael Keating auf der Plattform Mirror.

MICHAEL KEATING

Der Amerikaner gehört zu den Pionieren der Shared Mobility. Die E-Roller von Scoot waren auf den Straßen in den USA, Europa und Lateinamerika anzutreffen, bis das Start-up im Jahr 2019 vom Mitbewerber Bird übernommen wurde. Aktuell arbeitet Keating an einem neuen Unternehmen – abermals im Bereich Mobilitätsservices. Was genau, das verrät der Unternehmer zwar bislang nicht, aber die Indizien deuten darauf hin, das seine neue Firma an neunen Besitzmodellen für elektrisch angetriebene Fahrzeuge auf Basis von Blockchain-Technologie arbeitet.