In Köln wird dieser Tage diskutiert Schulstraßen einzurichten, um die Flut der Elterntaxis zu stoppen. Die Antwort lautet „ja“, nur ist noch nicht klar, wie das genau geregelt und kontrolliert werden soll. Denn: Physische Barrieren stundenweise aufzubauen, das wäre viel zu aufwändig, heißt es im Rat. Die Alternative wäre ein durchgehendes Durchfahrtverbot in Schulstraßen, doch auch das muss kontrolliert werden.

Die FUTURE MOVES-Kollegen Christian Cohrs und Max Wiesmüller sind sich uneins: Könnte man das Problem nicht ganz einfach digital lösen, mit Kameras am Anfang und Ende der Straße und mittels Datenbankabgleich von berechtigten Kennzeichen? Oder ist das zu technokratisch? Im „Pro und Kontra“ präsentieren sie Argumente gegen und für die Technologisierung der Verkehrsüberwachung.

Pro: Max Wiesmüller

Ich gebe mich nicht länger irgendwelchen Illusionen hin. Ob Behindertenparkplatz, Ladestation oder selbst Kreuzungen – Deutschland parkt gern kreuz und quer. In einigen Städten greift man rigoroser durch als in anderen, aber unterm Strich bleibt mein Eindruck: Die meisten glauben, dass der Warnblinker regelt. Und ich find’s ja auch okay, wenn man „nur mal eben“ anhält, um das Kind auszuladen oder Brötchen zu holen, wenn es sich in Maßen halten würde, aber tut es ja nicht. Es gibt ohnehin kein verständnisvolles und kein nachsichtiges Miteinander mehr.

In Italien wird doch seit zwanzig Jahren hervorragend gezeigt, wie man Menschen und vor allem ihre Autos davon abhält, in Gebiete zu fahren, in denen sie nichts zu suchen haben. Die „zona traffico limitato“ gleicht bei der Einfahrt in bestimmte Zonen ab, ob das Kennzeichen als Ausnahme erfasst ist. Solche können sein: die Fahrzeuge von Anwohner*innen, Hotelgäst*innen, Behinderten, Lieferdiensten, Taxis oder Bussen. Die Sache ist einfach: Entweder du stehst auf der Liste oder du kriegst einige Zeit später einen fetten Strafzettel. Es gibt übrigens sowohl „ZTL“ mit zeitlich begrenztem Durchfahrtverbot als auch jene, die generell keinen Privatverkehr dulden. Irgendwie ist das schon fair, zumal ja an der Einfahrt gewarnt wird. London prüft übrigens so, ob Autofahrer*innen ihre Citymaut bezahlt haben und in Wien wird ebenfalls eine Art ZTL geprüft.

„Stellt in Schulstraßen Strafzettel bis zum Gehtnichtmehr aus“

Mit diesem Wissen denke ich zurück an die Straße, in der meine Schule war. Dort gab es einen gigantisch großen Busbahnhof, wenig Parkplätze, vier Schulen mit – ich muss jetzt raten – wenigstens 3.000 Schulkindern. Eltern hielt das trotzdem nicht davon ab ihre Kinder zum Unterricht zu fahren, auch meine nicht immer. Wobei ich die entschuldigen muss, das Kind war manchmal zu faul mit dem Rad zu fahren. Natürlich wäre es clever, hier zumindest an beiden Enden des Schulkomplexes für Durchfahrtsverbote zu sorgen und Kennzeichen automatisiert abzugleichen. Ich würde sogar noch weiter gehen und mir wünschen, dass wir es so an jeder Umwelt- und Fußgängerzone sowie in „Anlieger frei“- und Fahrradstraße machen. In Schritt zwei prüfen wir so Parkscheine und -berechtigungen. Und wenn wir schon dabei sind: Wie wäre es mit der Messung der Durchschnittsgeschwindigkeit an Unfallschwerpunkten – etwa in der Nähe von Schulen?

Bevor jetzt bestimmte Interessensgruppen ihre Mail mit dem Hinweis auf Datenschutz an mich senden: Derselbe Staat, der mir mein Kennzeichen ausstellt, darf gerne mein Kennzeichen zu diesem Zweck speichern. Das finde ich nicht bedenklich. Das einzige Argument gegen die Videoüberwachung, das ich gelten ließe, wäre eine ungewollte Speicherung von Kennzeichenfotos über einen zu langen Zeitraum – natürlich müsste nach der Prüfung der Durchfahrtsberechtigung jedes Foto sofort gelöscht werden. Wege dürften nicht nachvollziehbar sein. Und auf keinen Fall sollten zu irgendeinem Zeitpunkt Fotos von Menschen, insbesondere Kindern, statt Fahrzeugen gesichert werden. Wäre das gesichert: Feuer frei, stellt in Schulstraßen Strafzettel bis zum Gehtnichtmehr aus. Ich bin sicher, dass sich die teure Anschaffung der Technologie schnell bezahlt machen würde.

Kontra: Christian Cohrs

Videoüberwachung zur effektiven wie effizienten Durchsetzung von Schulstraßen – das halte ich für eine schlechte Idee. Nein, nicht wegen der Alman-typischen #datenangst. Da mache ich mir als Nutzer von Twitter, Netflix, Amazon, dem Internet eher wenig Illusionen. Für mich ist ein anderer Punkt entscheidend. Durchfahrverbote via Kennzeichenerkennung samt angehängtem Inkasso zu erzwingen, klingt zwar super-smart, folgt aber vor allem der Hoffnung, man könne mit gesellschaftliche Defizite durch den Einsatz von mehr Technik lösen.

Ob dank Kameraüberwachung oder ohne – für Schulkinder sind autofreie Wege auf jeden Fall ein Gewinn

Natürlich würde das im Sinne einer Symptombekämpfung irgendwie schon funktionieren und darum schon einmal ein Fortschritt sein. Keine Autos vor der Schule = keine überfahrenen Kinder, soweit richtig. Allerdings verlagert man das Problem nur. Dann ballen die SUVs eine Ecke weiter im Halteverbot, bis die Eltern ihre Kinder auf dem Schulhof abgeliefert haben. Gut, man könnte dort dann Videoüberwachung zur Durchsetzung des Halteverbots installie… you got the point.

Mein Gegenvorschlag: Die Idee mit den Kameras gibt es ja vor allem deswegen, weil eine Kontrolle der Schulstraßen durch die Polizei oder das Ordnungsamt zu teuer wäre. Also sollte man vielleicht an dieser Stelle ansetzen. Ich bin mir sicher, dass sich sehr viele ältere Menschen oder andere Personen mit Tagesfreizeit finden würden, die sich sogar ehrenamtlich jeden Morgen und am frühen Nachmittag vor die Schule stellen und auf die Einhaltung der Regeln achten.

„Man sollte den Effekt von Social Shaming nicht unterschätzen“

Falls sich – was zu erwarten ist – jemand von Rentner*innen weniger abschrecken lässt als von einem garantierten Strafzettel, so könnten die die Missetäter*innen zumindest auf ihr Fehlverhalten coram publico hinweisen. Man sollte den Effekt von Social Shaming nicht unterschätzen. Und für die Kinder ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass sich hier jemand deutlich für ihre Interessen einsetzt. Eine Kamera kann das nicht leisten.

Bleibt der Punkt der Problemverlagerung. Hier ist mit Verbotszonen nicht viel auszurichten, denn für manche müsste man die wohl soweit verlängern, dass sie bis an die Garageneinfahrt reichen. Aber vielleicht tut auch hier ein Perspektivwechsel gut. Denn Eltern, die ihr Kind im Auto zur Schule fahren, direkt Faulheit zu unterstellen greift zu kurz. Die meisten haben schlicht Angst, ihren Kindern könnte unterwegs etwas passieren.

Es fällt leicht, das für übertrieben zu halten oder gar ob der innewohnenden Ironie zu spotten. Aber man könnte diese Befürchtungen auch als Anstoß nehmen, selbigen die Grundlage zu entziehen. Indem man beispielsweise die Rad- und Fußwege im Umkreis von einigen Hundert Metern um Schulen herum nicht nur weniger gefährlich macht (freuen sich die Eltern) und zugleich etwa durch Aufenthalts- und Spielgelegenheiten attraktiver (freuen sich die Kinder), so dass die Kleinen zur Schule gehen oder radeln wollen.

Am Ende gilt auch für das Thema Schulwege dasselbe wie für alle Aspekte der Verkehrswende. Wir müssen raus aus dem Gegeneinander-Denken und gemeinsame Lösungen finden. SUVs sollten darin keinen Platz finden, die eigentlichen Bedürfnisse ihrer Fahrer*innen aber schon. Und alle, die ihren Nachwuchs tatsächlich aus Faulheit zur Schule fahren, die haben dann halt wirklich Pech gehabt.

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Max Wiesmüller

Max Wiesmüller

Nein, ein Autofeind ist er ganz bestimmt nicht – im Gegenteil. Max Wiesmüller ist aber bewusst, dass wir unser Verhältnis zu Autos, Verkehr und Mitmenschen reparieren müssen, und das geht eben nur, wenn es in Städten nicht der standardmäßige Modus operandi ist. Hätte er ein Kind, es säße jeden Morgen im Cargobike.

Christian Cohrs

Christian Cohrs

Als jemand, der sein Kind (fast) ausschließlich mit dem Rad oder im ÖPNV transportiert, stellt sich Christian Cohrs die Frage des Drop-Offs nur ganz, ganz selten. Und für den Fall gibt es dann spezielle Kurzzeit-Parkplätze (die natürlich wiederum immer hoffnungslos überfüllt sind …)