Mit dem elektrischen LKW Grenzen im Kopf überwinden
Wie das Berliner Logistik-Startup Sennder die wachsende Nachfrage nach grüner Logistik bedient – und durch beispielhafte E-Mobilitäts-Projekte weiter vorantreibt
Wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, dann erlaubt die Gegenwart manchmal einen Blick in die Zukunft. Zum Beispiel Mitte November auf der Autobahn zwischen Rotterdam und Antwerpen. Dort war nämlich erstmals ein rein elektrisch betriebener 40-Tonner im Auftrag des Spezialchemie-Herstellers Cabot unterwegs. Die rund 300 Kilometer lange Tour hin und zurück zwischen den beiden Städten absolvierte der LKW mit zwei Ladestopps, aber ohne lokale Emissionen. Damit dürften bei diesem Transport zwischen 240 und 300 Kilogramm CO2 eingespart worden sein.
Das Problem: Die Zukunft des CO2-neutralen Langstreckentransports ist bislang auf optimale Rahmenbedingungen angewiesen. Es muss einen Spediteur geben, der die entsprechenden Fahrzeuge in seiner Flotte hat. Dann muss am Streckenrand die Infrastruktur vorhanden sein, um die Akkus der E-Trucks ohne Umwege laden zu können. Und natürlich müssen die Auftraggeber:innen bereit sein den Aufpreis zu zahlen, der aktuell für klimaneutrale Logistik noch fällig wird.
Auch für das Berliner Unternehmen Sennder, das Frachtaufträge digital an Spediteure vermittelt und das die E-LKW-Testfahrt zusammen mit Cabot realisiert hat, sind fast ausschließlich konventionelle Diesel-LKW unterwegs. „Wir sehen uns nicht als grünes Unternehmen“, sagt darum auch Tom Christenson, COO von Sennder. Aber man „brenne“ für das Thema, reduziere die eigenen CO2-Emissionen, wo es gehe. Vor allem aber steckt im Businessmodell des 2015 gegründeten Logistik-Startups, das bis Ende des Jahres seine millionste LKW-Ladung vermittelt haben will, mehr CO2-Einsparpotenzial, als durch die Elektrifizierung der Schwerlastverkehrs in nächster Zeit zu erreichen sein dürfte.
„Unsere Branche ist extrem ineffizient“, sagt Christenson. Aktuell sei jeder dritte LKW komplett ohne Ladung unterwegs, über 50 Prozent der Fahrzeuge seien nicht einmal zur Hälfte beladen. Ein Grund: Vor allem kleine und mittlere Speditionen haben nur begrenzten Zugang zu Aufträgen der großen Auftraggebenden. Es fällt ihnen darum schwer, ihre Routen zu optimieren und die Auslastung ihrer Fahrzeuge zu steigern. Dieses Problem will Sennder lösen, indem sich die Plattform als „digitale Spedition“ zwischen Auftraggebende und -nehmende schaltet.
Wenn Christenson sagt, Sennder sei kein grünes Unternehmen, dann darum, weil es dem Startup im Kern um mehr Effizienz in der Logistik geht und darum, das gleiche Produkt billiger anbieten zu können. Preis und Qualität, das seien laut Christenson letztlich für alle Kund:innen die entscheidenden Faktoren im Frachtgeschäft. Allerdings komme seit einiger Zeit Nachhaltigkeit als neuer Faktor dazu und stehe bei einigen bereits an erster Stelle.
„Die Herausforderung ist nicht die Nachfrage, sondern das Angebot.“
Tom Christenson, COO Sennder
Immer mehr Unternehmen suchten nach Wegen, ihren CO2-Fußabdruck zu minimieren. Im Vergleich zur Produktion ist der Transport oft nur für einen kleinen Teil der Emissionen verantwortlich. Dafür ist die Logistik gut zu kontrollieren und zu verändern. Sennder bietet diesen Unternehmen an, für ihre Touren eine Betankung mit Kraftstoffen zu buchen, die aus Pflanzen oder Speiseölresten hergestellt wurden. Damit ließen sich die CO2-Emissionen gegenüber fossilem Diesel um 60 bis 90 Prozent reduzieren, so Christenson. Immer mehr Kund:innen sei dies ein Preisaufschlag zwischen zehn und 20 Prozent wert.
Allerdings stehen diese Optionen nicht bei allen Routen zur Verfügung. „Die Herausforderung ist nicht die Nachfrage, sondern das Angebot“, sagt Christenson. B100-Biodiesel bietet Sennder aktuell allein in Frankreich an. Sprit aus recyceltem Speiseöl ist in nur Deutschland, den Niederlanden, Schweden und den baltischen Staaten flächendeckend verfügbar. Abseits dieser Länder, vor allem in Südeuropa, ende der Versuch, allein auf alternative Kraftstoffe zu setzen, schnell in einem „routing nightmare“, wie es der Sennder-COO nennt. Und das wiederum widerspricht der Grundidee des Startups, alles daran zu setzen, Umwege zu vermeiden.
Doch die Nachfrage nach CO2-neutraler Logistik sei inzwischen enorm, so Christenson. Eine Idee sei darum, ein firmeninternes Kompensationssystem zu entwickeln. Wenn für einen Auftrag keine CO2-reduzierten Kraftstoffe verfügbar wären, könnte ein anderer LKW entsprechend betankt werden und Sennder so die erzeugten Emissionen über Bande ausgleichen.
Mit Blick auf das eigene Unternehmen begrüßt Christenson das wachsende Umweltbewusstsein der Logistik-Kund:innen. „Wir sehen uns im Mittelpunkt der Zukunft“, sagt der Sennder-CEO. Denn vor allem den kleinen Speditionen böte die grüne Transformation der Branche Wachstumschancen. Bestes Beispiel: die niederländische E-LKW-Spedition Breytner, mit der Sennder und Cabot für ihren Pilotversuch zusammengearbeitet haben.
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Marie-Jose Baartmans, Inhaberin Breytner
Die von Baartmans geführte Spedition aus Rotterdam war Sennders Partner beim Test. Breytner gehört zu den Pionieren der E-Logistik: Die komplette Flotte besteht aus elektrisch angetriebenen LKWs. Zu den Kund:innen gehört unter anderem die Smoothie-Marke Innocent, die O-Saft emissionsfrei vom Hafen ins Werk fahren lässt.
Sönke Kleymann, Geschäftsführer euroShell Deutschland
Vermeiden, reduzieren, als letztes Mittel kompensieren, das seien die Schritte hin zum klimaneutralen Fuhrpark, sagt Kleymann. Um Fahrtrainings und weniger Leerfahrten müssen sich Speditionen selbst kümmern. Den CO2-Ausgleich will Shell via Tankkarte pushen, für die als Add-on eine automatische Kompensation buchbar ist.