Im selbstgebauten Solar-Land-Rover zum Nordkap. Cool! Aber wozu?
15.000 Kilometer in 100 Tagen: Studierende der Hochschule Bochum sind in einem Geländewagen unterwegs, der mit Strom aus der Photovoltaikanlage geladen wird. Es geht bei dem Projekt aber um mehr als die Zukunft des nachhaltiges Reisens
Friedbert Pautzke von der Hochschule Bochum ist der Urvater des Solarcar-Projekts, das seine Anfänge 1999 in England nahm. Damals konnten Studierende von der Bochumer Hochschule an einer britischen Uni das erste Solarauto bauen. „Ich war da ganz jung Professor an der Hochschule und dann habe ich mich da eingeklinkt“, so Pautzke, heute Professor am Institut für Elektromobilität an der Hochschule Bochum. 2001 fuhr das Solarauto dann erstmal bei der World Solar Challenge in Australien mit. Als sein britischer Kollege später nach Neuseeland ging, überließ er Pautzke „die Klamotten“, wie er die Bauteile nennt.
„Wir haben in 20 Jahren acht Autos gebaut, zwei mal sind wir mit dem gleichen gefahren. Und einmal sind wir 30.000 Kilometer, also einmal um die Welt gefahren. Ab 2010 hatten die Autos eine Straßenzulassung.“ Damit ließen sich zwar keine Rennen mehr gewinnen, aber um so mehr lernen. In diesem Jahr entschied sich die Uni aus Umweltgründen gegen eine Reise nach Australien und plante stattdessen für eine ambitionierte Europatour: 15.000 Kilometer, 100 Tage, 31 Länder, vier Studierende und ein Geländewagen, der mit Strom aus der Photovoltaikanlage geladen wird. Vor rund einem Monat ging das Team in einem Elektro-Defender auf die Reise. Doch die verläuft nicht ohne Probleme.
„Wir müssen circa alle 100 Kilometer an eine Ladesäule fahren“
Maximilian Frankholz, Projektleitung Solarcar
Das Überraschende vorweg: Das Problem scheint nicht der zum Solar-Mobil umgebaute Land Rover Defender sein, der eigentlich verschrottet werden sollte und im letzten Moment gerettet werden konnte. Zwar müssen jeden Tag alle Paneele ab- und wieder aufgebaut werden und die Batterien von morgens bis nachmittags laden. „Wir haben festgestellt, dass die elektrischen Begleitfahrzeuge nicht die Performance haben, die wir erwartet haben“, erklärt Maximilian Frankholz, der das Solarcar-Projekt leitet. Über Elektro-Wohnmobile und die Herausforderungen, die es damit noch gibt, können die Reisenden jetzt ein Lied singen. Anders als erwartet bieten die zwei Lieferwagen, einer davon als Wohnmobil ausgebaut, lediglich eine Realreichweite von bis zu 150 Kilometern. „Auch die Solar-Fläche, die wir gebaut haben, um den E-Defender zu laden, bringt nicht die erwünschte Leistung, sodass wir die Begleitfahrzeuge nicht solar laden können. Das heißt, wir müssen circa alle 100 Kilometer an eine Ladesäule fahren.“ Der Solarstrom aus Eigenproduktion bleibt dem „Landy“ vorbehalten, wie ihn die das Team liebevoll nennt.
„Zwei Sachen sind entscheidend: die Zeit, denn die Studierenden müssen ja wieder in die Vorlesungen und der Wunsch, die Fahrt zum größten Teil mit Solarenergie zu bewältigen“, sagt Frankholz. Auch wenn mangels Ladesäulen für die Begleitfahrzeuge die Fahrt zum Nordkap ins Wasser fällt und die Länder Norwegen und Finnland umfahren werden, ist die Reise eindrucksvoll – das zeigt schon das Live-Tourtagebuch. Das Team besteht übrigens nicht nur aus vier Reisenden und der Projektleitung, sondern aus rund 20 Personen. 15 fahren auf der Reise mit und werden durchgetauscht. Ein Support-Team ist Anfang Juli aufgebrochen, um die Reisenden zu treffen und ein neues Getriebe mitzubringen, von dem man sich Effizienzvorteile verspricht.
Pautzke selbst glaubt noch nicht mal unbedingt an das Solarauto in Serie: „Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, die Solarzellen aufs Auto zu bauen. Wir machen das als Projekt, damit die Studierenden was lernen.“ Pautzke glaubt nicht, dass sich Solarzellen als Massenprodukt durchsetzen werden. Höchstens auf Luxusfahrzeugen, für das man 150.000 Euro oder mehr ausgebe. Durchaus einen Mehrwert böten die Panels auf Bussen und Lkw, um etwa die Kühlaggregate anzutreiben. Grundsätzlich aber, so Pautzke, sei es „viel günstiger und energieeffizienter, Solarzellen auf versiegelte Flächen zu bringen.“
Neben der technischen Entwicklung soll das Team auch nachhaltiges Reisen erforschen: „Das Ziel ist immer, eine große Menge unterschiedlicher Fachdisziplinen zu involvieren, weil ich glaube, dass die deutschen Ingenieure sich auch fachlich weiterentwickeln müssen“, sagt Pautzke. Mit dabei sind deshalb auch Studierende der „Nachhaltigen Entwicklung“, einem Studiengang, den Pautzke vor zehn Jahren gestartet hat. Die Studierenden haben im Vorfeld 80 Nachhaltigkeitsideen erarbeitet, die sie vor und auf der Reise testen wollen. Dazu gehört ein wiederverwendeter Antriebsstrang samt Batterien eines Tesla Model S und recycelte Solarzellen. Es geht aber auch um alltägliche Verbesserungen: Vom Leerräumen des Kühlschranks vor Abreise, über das lokale Einkaufen und Verwenden nachhaltiger Kosmetikprodukte vor Ort bis hin zu den Souvenirs, die sie mitbringen. Die Erkenntnisse sollen als Broschüre veröffentlicht werden und Menschen dabei helfen, bessere Entscheidungen zu fällen.
„Aus dem Projekt sind schon acht neue Firmen entstanden“
Friedbert Pautzke, Hochschule Bochum
Das interdisziplinäre Arbeiten scheint Pautzke besonders bedeutsam zu sein: „Ich glaube, dass die deutsche Industrie und Gesellschaft sich unheimlich gut weiterentwickeln können, wenn wir auf einer gesunden Basis gut miteinander arbeiten, obwohl wir unterschiedlichen Interessen verfolgen. Und das wird unserer Gesellschaft weiterhelfen.“
Und wie? „Aus dem Projekt sind schon acht neue Firmen entstanden. Wir hatten einen Teamchef, der Bauingenieur war. Der ist heute Vorstand eines Elektrounternehmens“, sagt Pautzke. Der Weg ist also gar nicht das Ziel der Rekordfahrt. Es geht darum, die Gründer von morgen zu inspirieren und zu motivieren etwas auszuprobieren – auch, wenn es scheitert. „Ich glaube, eines hat man in Deutschland noch nicht verstanden. Es ist wichtig, dass es 100 Ausgründungen gibt, auch wenn es hinterher nur ein Google oder Microsoft gibt.“
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Friedbert Pautzke
Er ist nicht nur Studiengangsleiter für Nachhaltige Entwicklung und Professor am Institut für Elektromobilität an der Hochschule Bochum. Friedbert Pautzke gründete außerdem die Westfälischen Automobilwerke, die im ehemaligen Opel-Werk in Bochum E-Fahrzeuge bauen sollte. Doch der Deal platzte.
Maximilian Frankholz
An der Hochschule in Bochum legt Max Frankholz seinen Master in Mechatronik ab und übernahm innerhalb des Solarcar-Projekts bereits Teamleitung und ist aktuell Projektmanager. In diesem Jahr begleitet er die Tour nicht und unterstützt von zu Hause aus.