„Die Autodominanz beim Spielzeug ist symptomatisch“
Bilderbücher sind voller Autos. Wie bringt man Kindern da die Verkehrswende nahe? Die Journalistin Daniela Becker hat Empfehlungen gesammelt
Daniela, du hast vor ein paar Tagen in einem Tweet die Crowd nach Tipps für ein Kinderbilderbuch mit wenig Auto, dafür viel Rad und Zug gebeten. Hast du Erfolg gehabt?
Großen Erfolg sogar. Von Fahrrad-Wimmelbuch über Klassiker wie “Henriette Bimmelbahn”, was ich selber gar nicht kannte, waren viele tolle Vorschläge dabei.
In deinem Tweet hattest du geschrieben, du willst ein Kind „indoktrinieren“. Das war Ironie, oder?
Der Hintergrund war folgender: Mein Neffe hat dieses beliebte Spiel „Bau Dir eine Straße“, bei dem man Straßenteile aneinanderlegen kann. Darauf sind jede Menge lustige Figuren, die Auto fahren. Was es nicht gibt, sind Fahrradfahrer oder Fußgänger. Natürlich muss man das nicht bierernst nehmen, aber ein bisschen symptomatisch ist es schon, wie sich die Autodominanz auch bei Spielzeug niederschlägt. Lego hat zum Beispiel auch überwiegend Bausätze für Autos, Fahrräder sind eher eine Rarität.
„Lego hat überwiegend Bausätze für Autos, Fahrräder sind eine Rarität“
Daniela Becker
Mein Neffe wächst im ländlichen Raum auf und wird täglich mit dem Auto gefahren, saß schon auf einem Trecker, aber noch nie im Bus oder in einem Zug. Und da will ich halt dagegenhalten, zeigen, dass es auch anderes gibt – mit einem schönen Weihnachtsgeschenk, das ihm hoffentlich gefällt. Insofern war das nur ein halber Scherz, der natürlich auch darauf anspielt, wie diese Debatte „Fahrrad versus Auto“ oft geführt wird.
Nämlich wie?
Sich negativ über den gesellschaftlichen Fokus auf autofreundliche Städte zu äußern, wird oft als ideologisch gebrandmarkt. Dabei ist es ja andersherum. Wir haben unser ganzes Leben um Autos herum aufgebaut, sind davon abhängig. So sehr, dass wenn Menschen über Verkehr sprechen, sie oft als erstes oder nur ans Auto denken, weil das so sehr in unserem Alltag präsent ist. Wir kennen unsere Städte nur noch zugeparkt und halten das deswegen für normal. Das zu „entlernen“ hat bei mir sehr lange gedauert, obwohl ich mich für ziemlich umweltbewusst halte und schon sehr lange kein eigenes Auto besitze.
Wie sollte Mobilität denn in Bilderbüchern aussehen?
Ich bin keine Expertin für Kinderbücher, arbeite aber viel zum Thema Klimakommunikation. Eine Erkenntnis ist, dass man die Menschen nicht ständig damit belasten kann, wie schlimm die Klimakrise ist. Zumindest nicht ohne Lösungen aufzuzeigen. Und was könnte dazu besser geeignet sein, als ein schön bebildertes, fröhliches Kinderbuch, in dem klimafreundliche Verkehrsmittel im Vordergrund stehen: Zug, Bus, Fahrrad und das zu Fuß gehen?
Wenn du selbst ein Bilderbuch zum Thema Mobilität gestalten könntest, was wäre die Story?
Ich will gar kein Bilderbuch gestalten, aber das ist eine Fragestellung, die Eltern ja mal gemeinsam mit ihren Kindern besprechen können. Ich freue mich auf die Bilder! Gemeinsam über solche Sachen reden, ist der erste Schritt um Dinge zu hinterfragen.
Hast du einen Buchtipp für Erwachsene, die sich selbst indoktrinieren wollen?
Ein Buchtipp nicht, aber wir bei RiffReporter.de, einer genossenschaftlich organisierten Plattform für guten Journalismus, haben jede Menge dazu berichtet, wie schön man ohne Auto mobil sein kann und welche tollen Initiativen es dazu gibt. Ich hab zum Beispiel erzählt, wie ich zur Radlbotschafterin wurde und warum Städte mit deutlich weniger Autos viel lebenswerter wären.
Selbst noch auf der Suche nach einem Geschenk, das hilft, die Welt für die nachfolgenden Generationen ein bisschen attraktiver zu machen? Hier sind die Kinderbuch-Empfehlungen aus dem Thread zu Daniela Beckers Tweet:
Doro Göbel, Peter Knorr: „Hier wird gebaut!“
Der Gegenentwurf zu den klassischen Häuslebauer-Stories aus dem Bilderbuch. Hier zieht die junge Familie einmal nicht ins an den Stadtrand gepflanzte Eigenheim, sondern mitten in ein Viertel, wo sie den Wandels des Quartiers zum durchgrünten Fahrradviertel miterlebt.
James Krüss: „Henriette Bimmelbahn“
Der Klassiker der ÖPNV-Literatur für den Nachwuchs und mit Abstand die häufigste Nennung im Thread zu Daniela Beckers Tweet. Weniger bekannt, aber allein schon dem Titel nach ein Verkehrswende-Darling, ist ein weiteres Werk von Krüss: “Die ganz besonders nette Straßenbahn”.
Alison Farrell: „Das große Fahrrad-Fest“
Dieses ebenfalls mehrfach im Thread genannte Buch vermittelt den Reiz der Verkehrswende nicht gerade mit dem feinen Pinsel, aber darum vielleicht umso effektiver. Der Plot: In einem Ort namens Radhausen findet ein Fahrradfest statt. Höchste Ehre bei diesem Event: An der Spitze des Festzugs zu radeln, was natürlich jeder der tierischen Bewohner der zweiradaffinen Ortschaft gerne würde.
Hanna Sörensen, Sven Leberer: „Autos für alle Fälle“
Der Titel führt mit bewusster Doppeldeutigkeit in die irre. Denn es geht in diesem Pixi-Buch gerade nicht darum, dass möglichst niemand mehr irgendwo zu Fuß gehen müsste, sondern um Autofahren als Ausnahmefall – und damit Carsharing als Lösung. An sich sehr zeitgemäß, trotzdem wurde das Buch von 2010 bislang nicht mehr neu aufgelegt.
Lior Steinberg: „The Car That Wanted to be a Bike“
Der Titel sagt bereits, wohin die Reise geht. Die Story: Johnny ist “ein liebes und freundliches Auto”. Doch als seine Besitzer.innen die Freude am Radfahren entdecken, träumt er davon, ein Fahrrad zu werden. Der weitere Plot klingt nach Mischung aus Kinderbuch und Kafka: “Kann Johnny sich in ein Zweirad verwandeln? Wie reagiert die Familie? Kann Johnny ein neues Ziel im Leben finden?” Das Buch erscheint im Frühjahr 2022 in englischer Sprache und ist hier vorbestellbar.
Michael Ende: „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“
Ebenfalls ein Klassiker, der aus heutiger Perspektive vielleicht etwas problematisch mit dem Thema Diversity umgeht, den schienengebundenen Verkehr dafür sympathischer nicht darstellen könnte. Und hinsichtlich des 1,5-Grad-Ziels ist die Existenz eines Perpetuum mobile natürlich wünschenswerter denn je.
Konrad Beck: „Alle Einsteigen“
Zeichner nehmen sich mitunter gewisse Freiheiten, wenn es darum geht, eher technische Themen kindgerecht aufzubereiten. In diesem Band aber begegnen einem keine surreal dimensionierten Fahrzeuge oder Brücken, die der Physik spotten. Denn Ziel des Autors war es, die Betriebsabläufe der Schweizerischen Bundesbahn vom Personenverkehr bis zum Betriebswerk präzise zu erfassen und zu erklären.
Olis Bahnwelt: diverse Titel
Auch die Deutsche Bahn müht sich um die Gunst der Jüngsten. Es gibt ICE-Pappbastelsätze, Wimmelbildmalbögen und auch eine eigene Pixi-Buchserie, in der Held Oli mal einfach Bahn fährt, mal den Zoo besucht, aber auch unterstützt von zwei Pinguinen das Thema Klimarettung angeht. Die Büchlein sind antiquarisch zu bekommen oder mit etwas Glück bei regelmäßigen Verlosungen.
Wenniges, Oliver: „Millo bekommt ein Fahrrad“
Ausschließlich antiquarisch ist dieses Onboarding-Buch für angehende Radbesitzer:innen erhältlich. Mit dessen schlenkerlosem Titel ist im Grunde auch schon alles gesagt. Vielleicht gleich mitschenken: die logische Folgelektüre “Kasimir hat einen Platten”.
Astrid Lindgren: „Na klar, Lotta kann Rad fahren“
Fomo – fear of missing out, also die Angst etwas zu verpassen, ist nicht der schlechteste Hebel, um Begehrlichkeit zu wecken. Insofern kann Heldin Lotta zum smarten U-Boot werden, den Wunsch nach einem eigenen Fahrrad bei den Zuhörer:innen zu platzieren. Die Heldin nämlich hätte gerne eins, bekommt es aber nicht, muss darum kreativ werden, zum Zweirad zu gelangen.
Janosch: „Der kleine Tiger braucht ein Fahrrad„
Den kleinen Tiger drängt es ebenfalls zum Rad, allerdings aus nur bedingt kindgerechtem Antrieb. Er wolle seine “Braut” Maja Papaya besuchen. Und so wird es Janoschs Geheimnis bleiben, ob der Bär die Gefahren des Radfahrens nicht nur vorschiebt, um seinen Gefährten nicht zu verlieren. Natürlich kriegt der Tiger sein Rad und lernt es zu beherrschen.
Friedrich Feld, Rolf Rettich: „Lok 1414 geht auf Urlaub“
Wenn man nach dem Klappentext geht, scheint dieses Buch eher die Vorlesenden als die junge Zuhörerschaft zu adressieren: Nach 61 Jahren Dienst auf immer derselben Strecke beschließt eine Dampflok, erstmals Urlaub zu machen und erlebt daraufhin “ auf unbekannten Gleisen und ungeachtet lästiger Fahrpläne” jede Menge Abenteuer. Aus Mobilitätswende-Perspektive könnte man hier natürlich auch eine frühe Heranführung und Free-Floating- oder Ridepooling-Konzepte erkennen.
Sicher lässt sich diese Liste noch um etliche Titel erweitern – was wir auch gerne tun werden. Wir freuen uns über weitere Kinder- und Bilderbuchtipps per Mail.
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Daniela Becker
Daniela Becker ist Umweltwissenschaftlerin und arbeitet seit 2010 als freie Journalistin für unterschiedliche Medien zu den Themen erneuerbare Energien, Energie- und Verkehrswende, Klimaschutz und Clean-Tech.
Mehr über DanielaKatja Diehl
Wer sich als Erwachsener gewissermaßen selbst indoktrinieren möchte, dem Katja Diehls Buch “Autokorrektur” empfohlen, das am 09.02.22 erscheint, und mit dem sie gegen die Fixierung auf das Auto als primäres Fortbewegungsmittel angeht.
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