Eine Limousine steht in der Stadt. Ein engmaschiges Netz kleiner Lichtpunkte überspannt ihr Dach, sie bewegen sich ruhig und langsam. Das Auto fährt los, die Lichtimpulse  strömen schneller – so wie das Auto beschleunigt, rollt und bremst. Ein Fußgänger möchte an einem Zebrastreifen die Straße überqueren. Das Auto projiziert ein Band aus grünem Licht auf der Straße und zeigt ihm, dass er die Fahrbahn sicher überqueren kann. Ist ein:e Passant:in in Gefahr, leuchtet das Licht rot auf und fordert so zum Stehenbleiben auf; auf der Windschutzscheibe des Autos erscheint dann ein Stoppschild.

Im FUTURE MOVES Podcast #3 sagt Jessi Thön alias @JessiCarManiac von @TheCarCrash, dass „Licht das neue Chrom“ sei. Die Car-Influencerin muss es wissen, denn in ihren Youtube-Clips stellt sie jede Woche fünf neue Autos vor. Und tatsächlich hat sich das Straßenbild nach Anbruch der Dunkelheit verändert. Vor allem Elektroautos warten mit immer auffälligeren Lichtinszenierungen auf. Der Ioniq 5 kommt auf Wunsch mit LED-Leuchten, die an frühe Digitalzeiten erinnern, im Porsche Taycan baut sich die durchgehende Heckleuchte von innen nach außen auf und so gut wie jeder Autohersteller setzt auf Showeffekte. Doch Licht ist mehr als Selbstzweck und optischer Zierrat, der vom Verschwinden des Motorgeräuschs ablenken soll. Dank smarter Fahrzeugbeleuchtung werden Autos in Zukunft mit Menschen sprechen und dazu werden sie keine Worte brauchen, wie David Hasselhoffs K.I.T.T. Das ist keine Science-Fiction, sondern schon bald für uns alle Realität. Und soll insbesondere im Umgang mit autonomen Autos für mehr Sicherheit auf den Straßen sorgen.

Mit Hilfe von blauem Licht kommuniziert diese Studie von Mercedes. Foto: Mercedes-Benz

Damit die Sicherheit im Verkehr gesteigert werden kann und das Auto anderen Verkehrsteilnehmer:innen Vertrauen vermitteln, muss es menschliches Kommunikationsverhalten mit technischen Mitteln mimen. Zu Missverständnissen darf es dabei nicht kommen, Auto und Mensch müssen sich intuitiv verstehen. Stephan Berlitz, Leiter Entwicklung Licht bei Audi, sagt dazu: „Licht wird zum Kommunikationsmittel und erhält damit eine soziale und emotionale Komponente.“ Sein Kollege César Muntada, Leiter Lichtdesign, ergänzt: „Das Ziel ist eine einfache und direkte Kommunikation, die kulturübergreifend und weltweit ohne Wörter verständlich ist.“ Eine Mammutaufgabe, denn schon vermeintlich einfache Aufgaben wie das Zählen mit den Fingern ist nicht weltweit einheitlich, von Gebärdensprache ganz zu schweigen.

„Licht wird zum Kommunikationsmittel“

Stephan Berlitz, Audi

Derselben komplexen Aufgabe stellt sich auch Mercedes-Benz. Der Stuttgarter Autobauer spricht vom „kooperativen Fahrzeug“. Auf Anfrage von FUTURE MOVES erklärte eine Sprecherin: „Wir sind davon überzeugt, dass eine kooperative Außenbeleuchtung ein wichtiges Zukunftsfeld darstellt, vor allem in Verbindung mit autonomen Fahrfunktionen. Sie kann die Interaktion zwischen Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmern unterstützen und damit auch das Vertrauen in die Technologie autonom fahrender Fahrzeuge steigern.“

Auf den Weg zum kooperativen und kommunikativen Licht gehen die Hersteller aus Stuttgart und Ingolstadt viele kleine Schritte statt einen großen Satz nach vorne zu machen. Es beginnt mit  Probandenstudien und Vorentwicklungsprojekten, die eingangs erwähnte Limousine war bereits 2019 ein Showcar auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas. Und erste Anwendungen haben es schon in die Serie geschafft, Die Frontscheinwerfer in den Topmodellen von Audi- und Mercedes-Benz sind heute bereits zur Kommunikation fähig: Der Audi Q5 und der A8 haben Heckleuchten in digitaler OLED-Technologie (OLED = organic light emitting diode). Sie leuchten mit ihrer kompletten Fläche zur Warnung auf, wenn ein anderes Fahrzeug näher als zwei Meter an das stehende Auto heranfährt. 

Neuer Fahrzeuge projizieren Informationen auf die Straße. Foto: Audi

Außerdem gibt es schon einige Funktionen, die weniger Autobegeisterte wohl als Gimmick betrachten würden, wie die dynamischen Leaving-Home- und Coming-Home-Inszenierungen, die das stehende Auto zur Begrüßung und Verabschiedung auf die Straße oder die Garagenwand wirft. Kruppa misst dieser vermeintlichen Spielerei jedoch durchaus Bedeutung bei: „Wir können das Auto immer mehr zu einem ästhetischen, emotionalen Gefährten entwickeln, der schon vor Beginn der Fahrt Verbindung zu seinen Fahrerinnen und Fahrern aufbaut – und zwar jeweils auf die Person und die Situation zugeschnitten.“ 

„Die digitale OLED wird sich immer weiter zum Display entwickeln, das dynamische Formen und Symbole darstellen kann“, sagt Michael Kruppa, Leiter Lichtinnovationen bei Audi. Ihr LED-Licht wird von Beamern erzeugt; mehr als eine Million steuerbare Mikrospiegel zerlegen es in winzige Pixel. Dieses digitale Licht könnte jederzeit einen Zebrastreifen für Fußgänger auf die Fahrbahn projizieren. Doch da spielen die weltweiten Gesetzgeber noch nicht mit. Sie gestatten heute lediglich Lichtfunktionen, die den Fahrer:innen dienen, etwa ein Spur- und Orientierungslicht. In einigen Märkten wie in den USA sind hierzulande beliebte und in Neuwagen verbreitete Ausstattungen wie das Matrix-LED-Licht oder dynamische Blinker bislang verboten. Der nächste Schritt zum kooperativen Auto ist also nicht in Herstellerhand, sondern in der des Kraftfahrtbundesamt oder der amerikanischen Zulassungsbehörde NHTSA.

Dabei ist die autonome Limousine mit den Lichtpunkten im Lack technisch bereits machbar: Die dafür notwendigen flexiblen OLEDs, die sich den Rundungen des Blechs anpassen lassen, sind serienreif. Und sowohl bei Audi als auch bei Mercedes-Benz glaubt man, dass die Technologie einen echten Mehrwert bietet: „Unser Fokus liegt auf der Sicherheit“, erklärt Michael Kruppa von Audi. Und aus Stuttgart heißt es: „Unser Maßstab für neue Lichtsysteme ist stets die Steigerung der Verkehrssicherheit.“ Eine Sorge muss also niemand haben – dass demnächst rollende Discokugeln auf den Straße unterwegs sein könnten.

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SABINE ENGELHARDT

SABINE ENGELHARDT

„Damit Menschen Vertrauen zur Maschine fassen, müssen sie unmittelbar und intuitiv erkennen können, was ein autonomes Fahrzeug vorhat“, sagt Sabine Engelhardt, Zukunftsforscherin bei Mercedes-Benz. Die gebürtige Wormserin hat Informationswissenschaften, Publizistik und Philosophie studiert. Seit den 90er-Jahren arbeitet sie der Trend- und Zukunftsforschung des Automobilunternehmens. Ihr Themenschwerpunkt ist die Interaktion zwischen Kultur und Technologie. Auf Basis ihrer Trendanalysen hat Engelhardt eine Beduftungsanlage für den Maybach entwickelt.

CÉSAR MUNTADA

CÉSAR MUNTADA

Muntada wuchs in Barcelona als Sohn eines Architekten und Enkel einer Konzertpianistin auf. Er studierte Automobildesign in Coventry und arbeitet seit 2007 für Audi. Als Leiter Lichtdesign prägt er das Erscheinungsbild der Autos mit den vier Ringen seit Jahren stark mit. Seine Philosophie lautet: „Bei Audi sind Lichttechnologie und Lichtdesign nicht voneinander zu trennen. Licht wird zum sichtbaren Ausdruck von Vorsprung durch Technik. Wir verleihen dem Auto damit ein unverwechselbares Gesicht und schärfen den Charakter von Modell und Marke.“