CO2-neutrale Logistik auf See bis 2050: So soll es klappen
Die Frachtschifffahrt soll nach dem Willen der Branche bis 2050 klimaneutral werden. Dafür sind aber mehr als nur saubere Kraftstoffe und passende Motoren nötig
Machen wir uns nichts vor: Ohne Schiffe wäre der Welthandel nicht möglich. 90 Prozent aller weltweit bewegten Güter kommen auf dem Wasser voran. Die Schifffahrt verursacht dabei – je nach Quelle – bis zu drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Noch größer ist ihr Anteil an Schwefel- und Stickoxid-Verbindungen, die bei der Verbrennung von Schweröl, dem gängigen Treibstoff von Schiffsmotoren, entstehen. Die zweite Auflage des Meeresatlas der Heinrich Böll Stiftung spricht von 12 Prozent der Stickstoffdioxid- und 13 Prozent der weltweiten Schwefeldioxid-Emissionen. Hinreichend Potenzial also, die Situation zu verbessern.
Einen konkreten Rahmen dafür – etwa mittels eines CO2-Preises – zu schaffen, hat die UN-Organisation für die weltweite Schifffahrt IMO allerdings zuletzt verpasst. Auch das Pariser Klimaabkommen erfasst die Branche nicht und das Ziel des Weltreederverbandes ICS „minus 50 Prozent bis 2050“ genügt zumindest einigen Branchengrößen nicht. Sie wollen mehr: Klimaneutralität bis 2050.
„Offensichtlich haben einige Akteure den Klimaschutz als wichtiges Thema erkannt und werden hier aktiv“
Nils Meyer-Larsen, Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik
Woher die Motivation für dieses offensichtlich umfangreiche Vorhaben kommt, ist unklar. „Offensichtlich haben einige Akteure den Klimaschutz als wichtiges Thema erkannt und werden hier aktiv. Auch Kundenwünsche und Marktaspekte spielen dabei eine Rolle“, vermutet Nils Meyer-Larsen, Kompetenzbereichsleiter und Experte für Wasserstoff am Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL).
Ein Ziel ist das eine, die Umsetzung etwas anderes. Das gilt insbesondere in so komplexen Systemen wie der weltweiten Schifffahrt, für die sich nur schwer ein rechtlicher Rahmen setzen lässt, der für alle gilt. Einerseits erließen etwa „einzelne Länder und Regionen spezifische Emissionsverordnungen, die beim Verkehr in den jeweiligen Hoheitsgebieten zum Tragen kommen“, sagt Dominique von Orelli, Global Head of Ocean Freight beim Logistiker DHL Global Forwarding. Andererseits gibt es aktuell keine klare Emissionsgrenzen für die Einfahrt in europäische Häfen.
„Die Dekarbonisierung der Verkehrsträger und Lieferketten ist alternativlos“
Dominique von Orelli, DHL Global Forwarding
Es droht ein Flickenteppich von Regelungen, den man mit der vollständigen Dekarbonisierung in jedem Fall beschreiten könnte. Darum sei „eine Dekarbonisierung der Verkehrsträger und Lieferketten alternativlos“, so Orelli weiter. Um gemäß des Pariser Klimaabkommens die globale Erwärmung zu begrenzen – und letztlich am Markt bestehen zu können: „Wer zukünftig keine nachhaltigen Transportalternativen anbietet, riskiert seine License to Operate“.
Das ist ein weiter und sehr teurer Weg. Kein Reeder verschrottet ein 350 Meter langes Schiff, das 10000 oder mehr Container lädt und vielleicht gerade mal 20 Jahre alt ist. Darum lohnen sich auch nach Jahren Um- oder Aufrüstungen, denn die Verbrennung von jährlich rund 350 Millionen Tonnen Schweröl trägt maßgeblich zum immensen CO2-Fußabdruck der Branche bei. Bei Hapag-Lloyd etwa heißt ein entsprechendes Maßnahmenpaket „Fleet Upgrade Program“. Darunter fallen zum Beispiel optimierte Propeller, die bis zu 13 Prozent Kraftstoff und damit auch CO2-Emissionen einsparen. Das Unternehmen will bis 2045 klimaneutral sein.
Bereits heute bieten Logistiker indes CO2-neutrale Dienstleistungen an. DHL Global Forwarding (CO2-Neutralität ist für 2050 angepeilt) etwa zusammen mit Hapag-Lloyd mit Biokraftstoffen auf Basis von Altspeiseöl und anderen Reststoffen. Kund*innen können mit dem entsprechenden Logistik-Produkt – hier: Go Green Plus – den Einsatz des CO2-ärmeren Sprits einkaufen. Ein erster Schritt.
Ein entferntes Ziel ist der Einsatz von verflüssigtem Erdgas (LNG) als Kraftstoff. Mit der Umrüstung der Brussels Express hat Hapag-Lloyd weltweit als erste Reederei ein Großcontainerschiff mit der Kapazität des Äquivalents von 15.000 20-Fuß-Containern (TEU) in Dienst gestellt, dass mit LNG fährt. Das ist zwar noch fossilen Ursprungs, verbrennt aber viel sauberer und soll sich eines Tages mit nachhaltig erzeugter Energie auch synthetisch herstellen lassen. Doch schon heute sei die „CO2-Intensität um 15 bis 25 Prozent“ niedriger, so das Unternehmen auf Nachfrage. Ab 2023 ergänzen dann zwölf neue Schiffe mit jenem Antrieb die Flotte.
Auch Ethanol brennt gut und lässt sich synthetisieren – künftig, so der Plan, in gigantischen Mengen. Denn die sind nötig, um etwa die acht von der dänischen Reederei Maersk bestellten 16.000-TEU-Schiffe zu befeuern, die ab 2024 fahren sollen. Avisiertes Unternehmensziel für Klimaneutralität: 2040.
Ein weiterer heißer Kandidat für den Schweröl-Ersatz heißt Wasserstoff. Hier konzentriert sich die Forschung auf dessen nachhaltige Erzeugung und vor allem dessen Speicherung. Das leicht flüchtige Gas wird erst bei minus 253 Grad oder unter hohem Druck flüssig. Ein Weg könnte die Umwandlung in Ammoniak sein. Die wird etwa in Graz vom Large Engines Competence Center (LEC) erforscht. Dessen Chef Andreas Wimmer hält die Stickstoff-Wasserstoff-Verbindung für „einen der aussichtsreichsten Kandidaten für die effiziente Speicherung von elektrischer Energie“, wie er jüngst erklärte. Da Ammoniak bei der Verbrennung aber extrem klimaschädliches Lachgas entsteht, muss es entweder wieder in Wasserstoff umgewandelt oder die entsprechenden Abgase herausgefiltert werden. Auch diese Technologie steht also noch am Anfang. Ein völlig anderer Ansatz ist das von einem Konsortium aus europäischer Forschung und Wirtschaft gemeinschaftlich entwickelte HyMethShip, in dem aus CO2 und Wasser zunächst Wasserstoff und dann Methan erzeugt wird. Das benötigte CO2 stammt dabei aus der Verbrennung des Methans und gelangt so nicht in die Umwelt.
„Das Schiff wäre so schwer, dass es untergeht“
Uwe Lauber, MAN Energy Solutions
Und wie wäre es mit Akkus als Energiespeicher? Das will DB Schenker ab 2024 mit einem autonomen Schiff entlang eines norwegischen Küstenabschnitts testen. Nutzlast: 300 Tonnen. Der E-Antrieb mit Akkuspeicher ist für große Schiffe und lange Strecken allerdings keine Alternative, wie Uwe Lauber, Vorstand bei MAN Energy Solutions, erst Anfang September auf der Weltleitmesse der Maritimen Wirtschaft (SMM) sehr plastisch beschrieb: „Das Schiff wäre so schwer, dass es untergeht.“
Egal, welcher Kraftstoff sich letztlich durchsetzen wird: Auch das klimafreundlichste Frachtschiff macht noch keine CO2-Neutralität der ganzen Branche. Denn mit dem Anlegen des Frachters in einem der Häfen ist die Ware noch nicht einmal entladen, geschweige denn beim Kunden oder am Ort ihrer Weiterverarbeitung. Das vielschichtige Zusammenspiel von tausenden Akteuren wie Häfen mit ihrer Infrastruktur sowie Hafen- und Hinterlandlogistik ruft ebenfalls CO2-Emissionen hervor. Auch diese Unternehmen sind gefordert. So betreibt die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) in Hamburg bereits seit drei Jahren ein von unabhängiger Seite als CO2-neutral zertifiziertes Container-Terminal, das CTA. Die Umstellung von mit Diesel betriebenen auf elektrische Fahrzeuge und der Einsatz von Ökostrom reduzieren die Klimagas-Last direkt, der Zukauf von Kompensationszertifikaten indirekt.
Grüner, also unter Einsatz von nachhaltig erzeugter Energie hergestellter Wasserstoff beschäftigt die HHLA ebenfalls, auch wenn keine eigenen Schiffe unterwegs sind. Doch zum einen würde der Aufbau einer H2-Infrastruktur die Energieversorgung der Kunden-Schiffe sicherstellen. Zum anderen ließe sich daraus der Strom erzeugen, den die eigene, in Zukunft voll elektrische Flotte benötigen wird.
Ob das Ziel der gesamten Branche, bis 2040 oder zumindest 2050 klimaneutral zu sein, realistisch ist, ist aktuell nicht seriös abzuschätzen. „Die aktuell gebauten Schiffe werden bis 2050 „leben“ und kaum eines ist für den Betrieb mit alternativen Kraftstoffen eingestellt. Auch sind noch Fragen hinsichtlich der Kosten der neuen Technologien zu klären“, sagt Nils Meyer-Larsen vom ISL. Es gebe aber Ansätze – und Wasserstoff spiele eine „zentrale Rolle bei der Defossilierung.“ Ohne alternative Kraftstoffe und Unterstützung durch Politik und Gesetzgeber sei die Energiewende nicht zu schaffen.
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Andreas Wimmer
Der Geschäftsführer und wissenschaftliche Leiter des Large Engines Competence Center (LEC) in Graz sieht in der Speicherung von Wasserstoff in Form von Ammoniak die Zukunft des klimaneutralen Antriebs großer Schiffe. Für die Erreichung des Klimaziels bis 2050 müsse man „alle Register ziehen.“
Angela Titzrath
Die Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) Angela Titzrath glaubt an die Selbstregulierung des Marktes und will das Unternehmen bis 2040 klimaneutral machen. Die Verflechtung dieses mit den rein wirtschaftlichen Zielen der HHLA steht unter dem Leitmotiv „Balanced Logistics“.