Jahrzehntelanger Kampf um eine disruptive Idee
Rick Woodbury ist sich sicher: Amerikaner*innen, die in der Vorstadt leben, wollen nicht Busfahren. Für sie hat er schon vor Jahrzehnten ein ultraschmales Auto erfunden, dessen erster Käufer George Clooney war. Über den schweren Kampf um eine ungewöhnliche Idee
Im Frühsommer haben wir bei FUTURE MOVES den Feldzug der Mikroautos prophezeit und uns dabei eines einfach verständlichen Hashtags bedient, den Michael Weiser erfunden hat: #Thinmobility. Unter diesem Hashtag propagiert der Chefstratege von Commuter Cars sein besonders schmales E-Auto, das sein Freund und Chef Rick Woodbury unter dem Namen „Tango“ anbietet. Es hat Hunderte PS, beschleunigt in unter 3,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h und bietet Platz für zwei.
40 Jahre sind vergangen seit Woodbury die erste Idee hatte, den ein Meter breiten Zweisitzer in Serie produzieren. Doch so richtig geklappt hat es nie. Er betont: Der Tango sei kein Spielzeug, das eine Viertelmillion Dollar kostet, sondern der ernstgemeinte Versuch, den heutigen Pendelverkehr in Nordamerika neu zu denken. Ob und wie das gelingt, warum Tesla nicht disruptiv ist und wie viel Sinn Batteriewechselstationen ergeben, das hat FUTURE MOVES mit Rick Woodbury und seinem Chefstrategen Michael Weiser besprochen.
„Der Smart und der Hummer brauchen auf der Autobahn gleich viel Platz. Ich sehe darin also wirklich keinen Vorteil.“
Rick Woodbury, Gründer von Commuter Cars
„Ich hatte die Idee 1982, aber ich hatte nie genug Geld oder die Vorstellung, dass ich das wirklich schaffen könnte.“ Woodbury stand damals in einem elend langen Stau und stellte sich die Frage, wie viel Sinn es ergibt, dass er und die Insass*innen der anderen Autos in Reih und Glied stehen, wenn doch dazwischen genug Platz ist, um ein Motorrad passieren zu lassen. Geboren war die Idee eines schmalen Elektroautos. Ja, schon damals wollte Woodbury auf den Elektromotor setzen: „Elektroautos machen Sinn. Mit einem Benzinauto könnte man das nicht machen, weil es umkippen würde. Man kann den Schwerpunkt nicht tief genug setzen.“
Auch heute glaubt Woodbury weiter an sein Konzept und lehnt andere vermeintlich kleine Autos ab: „Der Smart und der Hummer brauchen auf der Autobahn gleich viel Platz. Ich sehe darin also wirklich keinen Vorteil.“ Selbst der Renault Twizy sei viel zu speckig, die magische Grenze von einem Meter Breite ist in Woodburys Augen der Schlüssel: „Vielleicht ist ein Smart ein bisschen einfacher zu parken, sonst hat man viele Vorteile nicht. Wenn man rechtwinklig parkt, kommt man in jede Lücke. Wir kriegen bis zu vier Tangos auf einen Parkplatz.“
Doch das geht natürlich nicht mal eben so, schließlich gelten Gesetze und Verordnungen, die zunächst angepasst werden müssen, wie zuletzt auch der Erlass der Parkgebühren für Zweiräder in Berlin gezeigt hat. Das sogenannte Lanesplitting, das es einem Motorrad oder eben einem Tango erlauben würde, zwischen sich stauenden Fahrzeugen hindurch zu fahren, das war lange nur in einem Bundesstaat erlaubt: Kalifornien. „Deshalb arbeiten wir mit der Legislative zusammen, um einen Gesetzesentwurf zu erstellen, der Tangos wie Motorräder behandelt und auf den HOV-Spuren (spezielle in den USA auf Schnellstraßen verbreitete Fahrspuren für Fahrzeuge mit zwei oder mehr Insass*innen, d. Red.) oder zwischen den Spuren fahren zu lassen.“ Woodbury ist zuversichtlich, dass das Lanesplitting in weiteren Bundesstaaten kommt, doch außer Montana und Utah hat noch kein weiterer Bundesstaat die für ihn so wichtige Freigabe erteilt. Und selbst dort, wo es ein Motorrad bereits darf, stößt der Tango immer wieder auf Ablehnung: „Der Antrag wurde vor einigen Jahren im Verkehrsausschuss mit 11 zu 1 Stimmen angenommen und dann abgelehnt, weil der Tango angeblich nicht so gut manövriert werden kann wie ein Motorrad. Er ist dem Motorrad tatsächlich um einiges überlegen. Zum einen kann er mindestens 18 Prozent schneller bremsen als ein Motorrad, und einen Zusammenstoß viel besser vermeiden, weil er direkter lenkt als ein Motorrad.“ Eine verpasste Chance, die durch Studien belegt sei, findet Woodbury, denn wo aktuell 2.000 Autos auf dem Highway fahren, könnten es auch locker 4.520 Tangos sein. Von halb so breiten Autobahn-Spuren träumt er auch schon, ganz ähnlich, wie es bei Spuren für Fahrräder und E-Roller schon Usus ist.
„Es gibt 140 Millionen Menschen in den USA, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, 107 Millionen fahren allein“
Rick Woodbury, Gründer von Commuter Cars
Doch auch denen gegenüber sei der Tango im Vorteil. „Einer der großen Vorteile gegenüber einem E-Bike oder einem Fahrrad, ist, dass du auf einer Autobahn fahren kannst.“ Zur in Europa diskutierten Umverteilung des öffentlichen Raums und einer Stärkung von Fahrrädern und ÖPNV merkt der Erfinder an: „Ich konzentriere mich auf den Pendlerverkehr. Es gibt 140 Millionen Menschen in den USA, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, 107 Millionen fahren allein – in einem Auto, das viermal so groß ist wie nötig.“
Der Grund dafür: Amerika sei vor allem durch Vorstädte geprägt. Außerhalb New York Citys stünden die Amerikaner*innen lieber im Stau als auf ein großes Haus zu verzichten und mit dem Bus zu fahren. „All diese Leute wollen keine öffentlichen Verkehrsmittel“, sagt Woodbury, lieber würden sie das Auto downsizen, was auch dringend nötig sei: „Ein Zimmermann, der nur einen Hammer hat, wählt den Vorschlaghammer, weil man damit alles machen kann. Aber die Arbeit ist mühsam, Nägel mit einem Vorschlaghammer einzuschlagen. Du solltest besser einen Zimmermannshammer benutzen, oder? Jeder, der heute auf der Autobahn unterwegs ist, benutzt einen Vorschlaghammer, um den Weg zur Arbeit und zurück zu bewältigen, und steht in LA zig Stunden im Stau.“
In mehr als zwei Jahrzehnten hat Woodbury zwölf Tango ausgeliefert, zu Stückpreisen um die 240.000 Euro. „Der erste Kunde, der beliefert wurde, war George Clooney“, sagt Michael Weiser. Woodbury fügt hinzu: „Wir haben einen Geschäftsplan erstellt und gezeigt, dass wir ein erschwingliches Auto bauen könnten. Wenn wir nur 5 Millionen Dollar mehr hätten, könnten wir den Preis wahrscheinlich auf etwa 70.000 senken. Um ein Auto zu bauen, das vollständig für die Europäische Union und die US-amerikanischen FMVSS (Federal Motor Vehicle Safety Standards) zertifiziert ist und 45.000 Dollar kostet, das würde mindestens 50 Millionen Dollar kosten. Und wenn wir 150 Millionen hätten, könnten wir den Preis auf etwa 30.000 senken.“
Die Zeit dafür sei reif, sagt Woodbury. „Seit 24 Jahren suche ich auf der einen oder anderen Ebene nach Investoren. Als wir anfingen, hatten wir noch kein Auto, das auch nur annähernd so alltagstauglich war wie heute. Jetzt gibt es überall Ladestationen. Die Leute dachten, dass ein Elektroauto absolut unmöglich sei und Tesla sofort scheitern würde. Das war das Umfeld als ich anfing, denn ich habe viele Jahre vor Tesla angefangen.“
„Disruption ist schwer. Erfolgreiche Leute wie Steve Jobs haben es geschafft, weil sie die Macht hatten, es alleine zu tun.“
Rick Woodbury, Gründer von Commuter Cars
Obendrein betreibe Tesla keine wahre Disruption, sondern verändere inkrementell. Wenn man etwas verändern will, muss man etwas tun, was Benzinautos nicht können, zitiert Woodbury aus dem Buch „The Innovator’s Dilemma“ von Harvard-Professor Clayton Christensen. „Und der Tango ist das einzige Auto auf der Welt, von dem ich weiß, dass diese Aussage stimmt. Disruption ist schwer. Erfolgreiche Leute wie Steve Jobs, Akio Morita bei Sony, Leute, die Branchen umwälzend verändert haben, die haben es geschafft, weil sie die Macht hatten, es alleine zu tun. Wenn man Ausschüsse hat wie bei General Motors oder einem anderen großen Hersteller, dann krempelt man nichts um. Die Leute sehen davon ab, das ist einfach zu riskant, sie sorgen sich um ihre Arbeitsplätze, sie werden dieses Risiko nicht eingehen.“ Menschen wie Elon Musk wünscht sich Woodbury herbei, er sei ein Risikoträger, und er solle in den Tango investieren. „Ich muss mich mit ihm treffen und ihn eine Runde damit fahren lassen, um zu sehen, was er davon hält.“
Die Geschichte des Erfinders Rick Woodbury und seinem Tango im Wortlaut
„Ich war etwa vier oder fünf Jahre alt, als mein Vater ein Elektrolyse-Experiment gemacht hat, bei dem wir ein Streichholz angezündet haben. Der Wasserstoff machte Plopp. Und ich habe gelernt, dass Wasser einfach nur aus Wasserstoff und Sauerstoff besteht. Das hat mich immer begeistert. Und die Tatsache, dass es keine Umweltverschmutzung gibt.
1975 schenkte mir meine Frau ein Buch oder eine Zeitschrift aus Brasilien namens Quatro Rodas. Da ich bereits Spanisch sprach, wollte ich damit Portugiesisch lernen. Und da war ein Artikel über diesen Typen namens Roger Billings, der ein Wasserstoffauto baute. Und ich dachte: „Oh mein Gott“. Seither liebe ich Wasserstoff. Ich trat der Wasserstoff-Organisation bei, studierte alles darüber und lernte, wie die Wasserstoffautos funktionieren würden. Ich lernte etwas über die Speicherung und Metallhydride und solche Dinge und so dachte ich, die Autofirmen werden es schon schaffen. Dann kamen die ersten Wasserstoff-Brennstoffzellen, von denen ich etwa 1997 erfuhr.
Damals hatte ich ein Segelboot, einen 35-Fuß-Dschunkenrigg-Schoner, zu dem ich etwa vier Stunden fahren musste. Ich war jedes Wochenende dort, um daran zu arbeiten. Meine Frau stellte mir ein Ultimatum und sagte irgendwann: Entweder ich oder das Boot. Du hast die Wahl. Also habe ich das Boot verkauft, und so hatten wir etwa 50.000 Dollar zum Spielen. Und ich kaufte ein Elektroauto. Es war ein Fiat Spider, der auf Elektroantrieb umgerüstet worden war. Es gab eine Menge Enthusiasten, die sich in den späten Neunzigern für Elektroautos und auch für Elektro-Rennen interessierten. Ich lernte Freunde kennen, die zufällig mit JB Straubel (Geldgeber und ehemaliger CTO von Tesla, d. Red.) befreundet waren, der zu dieser Zeit gerade einen 944er Porsche mit Elektroantrieb entwickelt hatte.
Jahre später zeigte ich den Tango bei einer Autoshow in Los Angeles und traf Martin Eberhard und Marc Tarpenning (die beiden Tesla-Gründer, d. Red). Weißt du, ohne Elon hätten sie es nicht geschafft. Und ich weiß nicht, ob sie das zugeben wollen oder nicht, aber das ist auch Schnee von gestern. Sie waren Fans der gleichen Leute wie ich, wie zum Beispiel AC Propulsion – die hatten den tzero, der wirklich schnell war. Ich glaube, es waren vier Sekunden von 0 auf 60 Meilen (rund 100 km/h, d. Red.) pro Stunde. Er wurde als Bausatzauto gebaut und war nicht sehr marktgängig, aber er zeigte, was man tun konnte und vor allem hat es gezeigt, was man mit Lithiumbatterien machen kann, wenn man sie zusammenzusetzt, um eine große Reichweite zu erzielen.
Ich rief dann das CARB an (Luftreinhaltungsbehörde von Kalifornien, d. Red.), das einen sehr starken Einfluss auf den Markt hat, weil so viele Autos in Kalifornien gekauft werden. Das CARB sah bis 2003 einen Anteil von 10 Prozent Elektroautos vor, allein General Motors hätte 400 Millionen Dollar pro Jahr an Strafen zahlen müssen, wenn das Unternehmen nichts unternahm. Ich fragte, gibt es noch andere schmale Autos? Die Antwort lautete nein.
Auf CARB-Empfehlung fuhren wird zum EVS 17, dem Symposium über Elektrofahrzeuge Nummer 17, das im Jahr 2000 in Montreal stattfand. Unser Prototyp sah ziemlich gut aus. Es war nicht so wie unser heutiges Auto, aber es sah aus wie ein Auto. Wir waren beim wichtigsten Nachrichtensender zu sehen und hatten auf Anhieb 700.000 Zuschauer. Wenn wir dort nur die Straße entlang fuhren, wusste jeder, wer wir waren. Von da an ging es richtig los. Ich habe versucht, verschiedene Hersteller zu erreichen, was das CARB uns ja auch empfohlen hat.
Schließlich trafen wir uns mit der Führungsspitze von General Motors. Wir trafen auch Bob Stempel, der einst Vorstandsvorsitzender von General Motors war. Er hatte ein Unternehmen, das Lithium- und Nickel-Metallhydrid-Zellen herstellte. Es sah wirklich nach einer schönen Zukunft aus. Er sagte, dass wir die Batterien eigentlich vermieten sollten. Sie sollten wie Treibstoff sein, und Energieunternehmen könnten die Batterien vermieten. Man bezahlt einfach nach Kilometern oder verbrauchten Kilowattstunden und tauscht dann die Batterien aus.
Das Mieten ist wirklich eine tolle Idee, denn dem Akkupack würde irgendwann die Reichweite verloren gehen. Angenommen, man kauft ein Akkupaket mit 300 Meilen Reichweite, und weil man einen langen Arbeitsweg hat, zahlt man so viel pro Meile dafür, und wenn es dann nur noch 80 % dieser Kapazität hat, kann man entweder ein neues Paket kaufen und die gleiche Miete zahlen, oder man kann, wenn man will, ein Downgrade vornehmen oder auf etwas anderes umsteigen. Tesla hat es versucht und entschieden, dass es nicht wirtschaftlich genug ist und besser sei, Schnellladung zu verwenden.
Wir sollten die Infrastruktur auf ein Minimum beschränken. Ich brauche fast nie eine Schnellladung, weil ich mein Auto einfach jede Nacht auflade. Ich habe jeden Tag eine volle Ladung, um das zu tun, was ich tun muss. Es hängt einfach davon ab, wie weit man fahren muss. Schnellladen ist lästig. Man muss 15, 20 Minuten warten, im Gegensatz zu vielleicht 5 Minuten an einer Tankstelle. Das Aufladen wird immer schneller. Es wird so schnell sein, dass es keinen Sinn mehr macht, all diese zusätzlichen Batteriewechselmaschinen einzusetzen.“
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Rick Woodbury
25 Jahre hat der Kalifornier Rick Woodbury investiert, um den Tango an den Start zu bringen, auf seinem Linkedin-Profil schreibt er: „Mein Leben gipfelt darin, dass ich die Lösung für die weltweite Verkehrsüberlastung im Berufsverkehr gefunden habe.“
Michael Weiser
Seit über neun Jahren setzt sich Michael Weiser für den Tango von Commuter Cars ein. Als Stratege und Büroleiter in Chicago hat er Lobbyarbeit betrieben und Treffen mit politischen und akademischen Führungskräften ausgerichtet. Außerdem steckt er hinter dem Hashtag #ThinMobility.