Ein Fahrrad für Leute, die kein Fahrrad fahren
Wie kriegt man Pendler*innen vom Auto aufs Bike? Die Antwort des französischen Sportartikelanbieters Decathlon: Man muss das Fahrrad vom Pkw her neu denken
Klar, da ist die Sache mit dem Wetter. Regen geht gar nicht. Das sagen sie alle, wenn man Autofahrer*innen fragt: Was hält dich davon ab, das Fahrrad zu nehmen? Gut möglich, dass sie bei Decathlon genau in diesem Moment darüber sinnieren, wie sich das Problem mit dem Regen lösen lässt. Denn in etwa einem halben Jahr wird der französische Händler und Hersteller von Sportartikeln sein neues Concept Bike vorstellen. Wie das aktuelle soll es wieder als Ideen- und Technologieträger mit Innovationen überraschen, die sich anschließend so oder ähnlich in den regulären Produkten des Konzerns wiederfinden.
Welche das sind, ob es wieder ein E-Bike wird und welche Rolle das Thema Wetter spielt, das geben sie bei Decathlon nicht preis. Doch nach dem Gespräch mit dem Team hinter dem aktuellen Konzept „Magic Bike“ lässt sich erahnen, dass ein Gelingen der Verkehrswende zu einem ganz erheblichen Maße an Ingenieuren und Designern hängt, die Zweiräder nicht einfach besser machen wollen. Denn selbst notorische Autonutzer*innen wissen ja längst, dass das Rad die nachhaltigere und gesündere Alternative ist. Diese Argumente haben sie bislang nicht überzeugen können, weil ihnen – neben den Sprit- oder Strompreisen – ein anderer Aspekt am Ende nämlich viel wichtiger ist.
„E-Bikes werden von Autonutzern nicht verstanden“
Emerson Delcourt, Head of Design Decathlon International
„Wir haben immer versucht, uns als Autofahrer zu sehen“, sagt Victor Bourlay, Designer bei Decathlon und Mastermind hinter dem Magic Bike. Denn für die wurde dieses Konzept-Fahrrad entwickelt. Am Beginn des Projekts standen zwei Zahlen. Eine Studie hatte herausgefunden, dass in Frankreich selbst kurze Strecken von unter fünf Kilometer in 60 Prozent der Fälle mit dem Auto zurückgelegt werden. Darunter extrem viele Arbeitswege. Anders gesagt: Wenn es gelingt, diese Fahrten aufs Rad zu verlagern, würde die Verkehrswende einen tüchtigen Schritt vorankommen.
Doch: Warum nutzen nicht heute schon E-Bikes, wenn es ihnen vor allem darum geht, bequem vom A zum nahen B zu kommen? „E-Bikes werden von Autonutzern nicht verstanden – bis sie eins benutzen“, sagt Emerson Delcourt, Head of Design bei Decathlon International. Die Aufgabenstellung hinter dem Magic Bike war also, ein E-Bike so zu gestalten, dass es von Autofahrenden verstanden wird.
Vor diesem Hintergrund erscheint eine eigentlich wenig aufregende Besonderheit des Magic Bike als ziemlich cleverer Schachzug. „Es ist genau wie beim Auto“, erklärt der Designer Boulay bei der Präsentation des Bikes in einem schmucklosen Konferenzraum die Funktionsweise der Bremse. Es gibt nur einen Hebel, der gleichzeitig die Bremsen an Vorder- und Hinterrad aktiviert. Auf jemanden, der regelmäßig Fahrrad fährt, mag diese Lösung wie Schnickschnack wirken. Für Nicht-Nutzer*innen schafft sie eine kleine Hürde aus dem Weg.
Deutlich auffälliger ist eine andere Idee, die nach der Vorstellung des Magic Bikes innerhalb der Fahrrad-Branche viel diskutiert wurde: die Lichtanlage. Sie besteht aus einem starkem Frontlicht und einem Bremslicht – einer Innovation, die man auch schon bei anderen Herstellern gesehen hat. Ungewöhnlicher sind dagegen die Blinker. Die wären zwar als fest verbaute Teile nach aktueller Rechtslage nicht erlaubt, ihr Mehrwert liegt jedoch auf der Hand. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Sicherheitsempfinden einen großen Einfluss auf die Bereitschaft hat, statt des Autos das Rad zu nutzen. In Deutschland halten laut einer aktuellen Studie 42 Prozent der Befragten Fahrradfahren für gefährlich.
„Du versuchst, etwas zu machen, das allen gefällt“
Victor Bourlay, Designer des Magic Bike
Ein weiterer, wesentlicher Faktor für den Umstieg vom Auto aufs Rad ist Komfort. Das Magic Bike entriegelt sich bei Annäherung. Die konsequente Weiterentwicklung der Öffnung des Fahrradschlosses per App, wie man es von anderen Hersteller kennt. Die bieten unter dem Stichwort Connected Bike mittlerweile diverse Funktionen von Diebstahlschutz über Tracking bis Fehleranalyse aus der Ferne an. Und das bei Modellen, die man kaufen kann.
Denn wie es bei Konzeptfahrzeugen nun einmal so ist. Hier darf viel geträumt werden und die Praxistauglichkeit und die Aussicht auf eine Produktion zum marktfähigen Preis spielen nur eine untergeordnete Rolle. Ziel sei darum auch nicht, das Magic Bike so oder ähnlich auf den Markt zu bringen, erklärt Innovationschef Delcourt. „Es geht darum, unterschiedliche Technologien zu testen.“ Und darum, die Kolleg*innen bei Decathlon zu inspirieren.
Womöglich ist das Magic Bike auch ein bisschen Inspiration für die Ex-Kolleg*innen von Boulay und Ansporn, seinem Beispiel zu folgen. Bis zum Wechsel zu Decathlon vor rund drei Jahren war der Designer nämlich mehrere Jahre in der Autoindustrie für Volkswagen und Volvo tätig. In diesen Jobs hat er eine Tugend beigebracht bekommen, die der Schlüssel sein könnte, Massen vom Auto auf das Rad zu kriegen: „Dort versuchst du immer, etwas zu machen, das allen irgendwie gefällt.“ Und in der Praxis bedeute das vor allem: die Dinge einfach zu machen.
Want to know more?
Victor Boulay
Ein bisschen fühle es sich schon an, als arbeite er gegen seine früheren Arbeitgeber, sagt Victor Boulay. Und ein bisschen stimmt es auch. Grund für den Wechsel vom Auto- zum Fahrrad-Design sei der Wunsch gewesen, nicht nur an Details zu feilen, sondern Produkte zu gestalten, die die Mobilitätswende voranbringen.
Emerson Delcourt
„Mein Job ist es, Leute zusammenzubringen und dafür zu sorgen, dass die Dinge in Gang kommen“, erklärt der Chefdesigner von Decathlon. Und nach über 20 Jahren im Unternehmen, dürfte dort keiner besser als Emerson Delcourt wissen, wo man die richtigen Leute für innovative Konzepte wie das Magic Bike findet.