Was dauert nur zwei Sekunden und muss versichert werden? Hanna Bachmann weiß es selber nicht. „Das braucht aktuell in Deutschland noch kein Mensch“, sagt die Mitgründerin von Hepster, könnte in Zukunft aber immer relevanter werden. Die Idee der Augenblicks-Versicherung zeigt die technischen Möglichkeiten des Start-ups. Und im Ansatz, selbst kurze Zeiträume versichern zu können, steckt die Radikalität, mit der die Rostocker das Thema neu denken und so ihren kleinen Beitrag zur Verkehrswende leisten. Hepster macht das nervige To-Do Versicherung zum Teil einer positiven User-Exerience. Das wiederum trägt am Ende auch dazu bei, dass mehr Menschen aufs Rad umsteigen.
Aber von Anfang an: Vor der Gründung von Hepster im Jahr 2016 hätten Bachmann und ihre beiden Mitgründer, die zur für klassische Versicherungskonzerne tätig gewesen sind, eine simple Frage gestellt: „Warum gibt es keine situativen Versicherungsprodukte?“ Also zum Beispiel eine Versicherung für das Sport-Equipment, die man nur für die Dauer des Urlaubs abschließt. Und die man dann bestellen kann, wenn einem einfällt, dass man sie braucht – beispielsweise beim Auspacken der Ski nach Ankunft im Urlaubsort.
„Neue Geschäftsmodelle brauchen neue Versicherungsmodelle“
Hanna Bachmann
Dabei ist Hepster keine Versicherung im eigentlichen Sinne und verfügt über keine eigene Lizenz. „Wir übernehmen alle Funktionen eines Versicherungsunternehmens“, sagt Bachmann. Also: Entwicklung von Produkten wie einer E-Bike-Versicherung, Marketing und Vertrieb sowie sämtliche Vertragsangelegenheiten und die Schadensabwicklung mit den Kunden:innen. Die tatsächliche Absicherung der Policen aber geschieht im Hintergrund über zehn Partnerversicherungen, mit denen Hepster kooperiert.
Die Leistung von Bachmann und ihrem Team besteht darin, innovative Produkte zu entwickeln und dafür eine Vetriebsplattform zu bauen. Und natürlich, eine Branche, die sich mit dem Thema Digitalisierung schwer tut, zur Zusammenarbeit zu bewegen. Wie gut dies gelungen ist, zeigt sich etwa in der Zeit, die Hepster benötigt, um einen Risikoträger für ein neues Produkt zu finden. Anfangs waren es anderthalb Jahre, heute sind es nur noch sechs Wochen.
Direkt nach dem Start beging das Hepster-Team zunächst jedoch einen klassischen Gründer-Fehler: Aus Angst, eine Gelegenheit zu verpassen, stellten sie ihr Start-up beim Thema Reiseversicherungen möglichst breit auf. Doch wer überall mitmischen will, fasst nirgendwo richtig Fuß. Ab 2020 erfolgte darum die Fokussierung eines Themas: Mobilität. Denn in dieser Sparte haben die Gründer:innen die meiste Dynamik für ihre Produkte erkannt. „Neue Geschäftsmodelle brauchen neue Versicherungsmodelle“, sagt Bachmann. Und Hepster könne für jeden Bedarf etwas bauen – schneller als jeder Konzern.
Ein weiteres Learning aus den Anfangstagen: Gegen die gewaltigen Werbebudgets der Konzerne hat ein Start-up keine Chance. Darum haben sich die Rostocker vom Endkund:innengeschäft auf ein B2B2C-Modell verlegt. Das Start-up kooperiert mit über 2.000 Partner-Unternehmen. Diese wiederum bieten ihren Kund:innen die Police zusammen mit ihren Produkten an. Embedded Insurance heißt dieses Model von Versicherungen, die als Add-on quasi als Bestandteil hochpreisiger Güter verkauft werden.
Hepsters Strategieschwenk weg vom Massenmarkt zu Speziallösung für Mobility-Produkte erwies sich als richtig. „Wir sind unter anderem wegen dieser Nischenmärkte gewachsen“, sagt Bachmann. Besonders beliebt sind E-Bike-Versicherungen. Die machten inzwischen 50 Prozent des Umsatzes aus. Und das Business wächst, aktuell um 70 Prozent gegenüber Vorjahr. Bis Ende 2022 wollen die Rostocker die Schwelle von 200.000 Endkund:innen knacken.
Das Portfolio deckt mittlerweile fast die komplette Fahrradbranche ab: Hepster-Versicherungen gibt es als Add-on zu Tracking-Sensoren und Highend-Bike-Cockpits, als Absicherung beim Gebrauchtwagenkauf oder zusammen mit dem E-Bike-Abo oder dem Leasing-Fahrrad. Und Bachmann ist optimistisch. Die Mobilitätswende sowie die ungebrochene Popularität von Zweirädern und zugehörigen IoT-Produkten würden für Hepster reichlich Raum für weiteres Wachstum schaffen.
„Wer Produkte verbessern will, muss immer auch den Service verbessern“, sagt Bachmann. Umso mehr, wenn es sich um physische Produkte handelt, die schon ziemlich ausgreift sind und bei denen das Potenzial zur Digitalisierung begrenzt ist. Sie nennt Fahrradhelme als Beispiel. Die könnte man zusammen mit einer Versicherung anbieten, die im Fall einer Beschädigung dafür sorgt, dass die Käufer:innen kostenfreien Ersatz erhalten. So würde nicht nur das Produkt attraktiver, die Versicherung sorge auch für eine stärkere Kundenbindung.
„Die Generation Tiktok geht nicht mehr zum Versicherungsmakler“
Hanna Bachmann
Man habe es nicht speziell auf die Hausratsversicherung abgesehen, sagt Bachmann. Aber natürlich zielt der Ansatz darauf: Wenn die Versicherung Teil des Produkts wird, erspart das den Kund:innen die Mühe, jedes Mal genau zu checken, ob ihre Hausratsversicherung denn auch den Diebstahl des Smartphones abdeckt oder nicht. „Die Generation, die heute auf Tiktok unterwegs ist, die geht nicht mehr zum Versicherungsmakler“, sagt Bachmann „die will darüber nicht mehr nachdenken.“ So erkläre sich der Erfolg der Embedded-Insurance-Produkte.
Apple Care ist ein anschauliches – und sehr erfolgreiches – Beispiel dafür, dass die Versicherung immer mehr zum Teil des Produkts wird. Im Jahr 2020 soll der Konzern nach Schätzungen 8,8 Milliarden Dollar mit der Garantieverlängerung umgesetzt haben, bei der es sich im Kern um eine Versicherung handelt. Davon ist Hepster noch etwas entfernt. Doch die Rostocker befinden sich klar auf Wachstumskurs. Gerade ist man nach Frankreich expandiert, wo die Entwicklung des Fahrradmarkts der in Deutschland um vier Jahre hinterherlaufe, wie Bachmann erklärt. Doch nun nimmt auch dort die Digitalisierung Fahrt auf. Es zeichnet sich eine Verschiebung weg vom stationären Fahrradhandel ab. Paris wolle zur global führenden Fahrradmetropole werden. Viel Umsatzpotenzial für die Rostocker also.
Für 2022 kalkuliert Bachmann mit einem „satt achtstelligen Umsatz“ und einer erneuten Verdopplung zum Vorjahr. Zwischen 1.500 und 2.500 neue B2B-Partner würden sich in der Pipeline befinden, so die Hepster-COO. Und sie denkt auch über neue Geschäftsfelder nach. Die Themen Mobility-as-a-Service und Multimodalität findet Bachmann „extrem spannend“. Hier könnte dann auch Bedarf für Mikroversicherungen sein, die in Echtzeit abgeschlossen werden. Etwa, um einen multimodale Reisekette aus Miet-E-Scooter, Bahnreise und anschließender Carsharing-Fahrt zum Ziel abzusichern. Und wer weiß, wenn es eines Tages möglich wird, Menschen von A nach B zu beamen, dann gibt es ja vielleicht tatsächlich auch noch den passenden Usecase für Hepsters Zwei-Sekunden-Versicherung.
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Hanna Bachmann
Man kann nicht gerade behaupten, dass Hanna Bachmann und ihre beiden Co-Founder Christian Range und Alexander Hornung den leichtesten Weg gewählt haben: Sie gründeten Hepster fernab der üblichen Start-up-Hubs und Versicherungsstandorten. Plus in Rostock: Viel Unterstützung für Gründer – und die Nähe zum Meer natürlich.
Patrick Wirth
Auch die klassische Versicherungswelt hat die Mobility-Branche auf dem Zettel. Ergo und Allianz haben Hubs, in denen etwas Insurance-Produkte für autonome Pkw entwickelt werden. Bei Baloise baut Patrick Wirth gerade eine ganzes „Ökosystem Mobilität“ mit Start-ups – mit und ohne Bezug zum Thema Versicherung auf, die in dem Feld unterwegs sind.